Meilenstein von einem Buch

Es passiert äußerst selten und ist kaum wiederholbar. Zum Glück. Ja, es ist ein wenig wie mit dem Glücklichsein, das Lesen - gäbe es das Unglück nicht, nicht die Niederungen eines austauschbaren Alltags, würde man Glück kaum noch empfinden. Und so wird einem manchmal, ganz selten, ein Buch zuteil. Ein herausragendes, eines, das Hunderte andere vergessen lässt - das einem zeigt, warum man sich das ständige Lesen manchmal regelrecht antun kann ... um einmal vielleicht wieder so ein Buch zu finden. (Von einem Buch gefunden zu werden?)

Bevor ich selbst Bücher schrieb, arbeitete ich unter anderem als Literaturkritikerin. Es ist mein Beruf, über alles schreiben zu können, was man mir über den Schreibtisch schiebt. Sogar auf Zeilenbestellung. So entdecke ich z.B. derzeit die Bücher von Colum McCann, den ich für einen begnadeten Erzähler halte und dessen Form von mit Realitäten spielenden Romanen, die keine Biografien mehr sind, mich faszinieren. Ich könnte auf Auftrag hin sofort Rezensionen dazu in allen Wunschlängen schreiben.

Und dann wollte ich über dieses Buch schreiben, das mich so tief beeindruckt hat. Ein Buch, wie es einem wohl nur alle zehn Jahre einmal in die Bibliothek gerät. Es ist einer dieser Meilensteine, mit dem die Literatur eine neue, unverbrauchte Facette gewonnen hat - nicht zuletzt, weil sein formales Experiment so erschütternd deutlich unser Bewegen in der Welt und im Denken-Lesen-Schreiben-Leben-Schöpfen-Sterben abbildet. Es ist ein Buch, bei dem ich Zeile um Zeile unglücklicher darüber war, dass sich beim Lesen Gedanken um die Endlichkeit von Text aufdrängten - und doch glücklich darüber bin, dass ich auch nach mehrmaligem Lesen nicht alles entdeckt haben werde.

Aber ich kann es nicht rezensieren. Weil auch die bestmögliche Rezension diesem Buch nicht gerecht würde. Es bliebe Gestammel angesichts einer Bezauberung.

Weil da Kosmen stecken, Welten, die nicht an der Erdoberfläche Halt machen. Eine Woche, nachdem ich es ausgelesen habe, lässt es mich immer noch nicht los, weil es mich so intensiv aufs Leben zurückgeworfen hat. Es hat unauslöschbare Spuren hinterlassen. Und Sätze zum Umarmen. Es ist sperrig und faszinierend, unbequem und saugend, es entführt, verführt... Es hat oft mythische Tiefe und ist unwahrscheinlich unterhaltsam.

Deshalb keine Rezension, sondern nur eine Empfehlung an Menschen, die das Besondere suchen:

Olga Tokarczuk: Unrast, Schöffling Verlag
in einer wunderbaren Übersetzung aus dem Polnischen von Esther Kinsky
Im Original erschien "Bieguni" 2007 - Olga Tokarczuk hat 2008 wohlverdient den höchsten Literaturpreis des Landes Polen dafür verliehen bekommen (Nike-Literaturpreis), für den sie schon zuvor mehrfach nominiert war. Dass deutsche Leser dieses Vergnügen so schnell haben dürfen, ist der Förderung der Übersetzung zu verdanken - Kunst braucht Geld.

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