Präzisionswerkzeuge

Ach, wie hieß das doch gleich, was ich schreiben wollte, dieses Dingens, also das, was man, wenn man, dieses Dingens, verdammt noch mal, ich komme einfach nicht auf das Wort ...

Wenn mir so etwas in einem wilden Anfall von Europlais* passiert, habe ich eine gute Ausrede: Überflutung des Sprachzentrums. Befällt es mich jedoch beim Texten, dann fehlt es schlicht an sprachlicher Präzision, einem Handwerkszeug, das man öfter üben sollte.

Hilfreich selbst für gestandene Autoren: Sich öfter mal wieder mit den Finessen der Rechtschreibung zu befassen. Und die Lust an der achtsamen Interpunktion zu entdecken, die grundlegend Melodien und Rhythmen erzeugen und verändern kann.
Mein blinder Fleck sind die berühmten drei Punkte, die ich oft zu exzessiv verwende ... Müssen sie immer sein? Nein, sie zeigen Auslassungen an, Pausen und können darum auch im Textrhythmus als "dehnende" Interpunktion eingesetzt werden. Stärker vielleicht als Gedankenstriche - die eher Dinge einfügen - bilden sie einen Moment der Stille. Etwas versandet im Nichts ...
Wer den Unterschied begreifen will, der setze beide Zeichen abwechselnd und lese den Text laut. Was macht die Stimme? Wie verschiebt sich die Bedeutung des Texts? (So etwas lässt sich übrigens auch mit Punkt, Komma und Semikolon durchspielen oder mit der Wahl zwischen Punkt und Ausrufezeichen etc.) Sprache ist Musik. Geschriebene Sprache hat wie die Notenschrift Zeichen zur Strukturierung, für die Pausen, die Betonungen.
Und wer wie ich immer noch nicht begreift, wie man die drei Punkte richtig setzt, lernt das ganz schnell und korrekt hier.

Sprachliche Präzision lernt man auch, wenn man sich das Bedeutungsumfeld von Wörtern anschaut oder sich damit befasst, in welchen Bedeutungsnuancen sie verwendet werden können. Mein Leib- und Magenlink, den ich auch benutze, wenn sich so gar keine Schlagzeile in die vorgegebene Länge einpassen will, ist "Wortschatz Deutsch" von der Uni Leipzig.

Eine unerschöpfliche Quelle, um Wortbedeutungen präzise erfühlen zu lernen, sind etymologische Wörterbücher. Sie zeigen nicht nur die Urbedeutungen eines Wortes und seine historischen Bedeutungsveränderungen, sondern bilden auch eine Art Landkarte von Wortverwandtschaften oder Geschwisterwurzeln. Es gibt unterschiedliche Wörterbücher, wobei sich manche leider nachträglich an die Rechtschreibreformen anbiedern und oft die Wurzel vor dem Zahn ziehen. Ich selbst benutze den Kluge (Kluge: Etymologisches Wörterbuch, De Gruyter Verlag), der zudem den Vorteil bietet, dass Wörter datiert sind. Muss ich z.B. im Duktus des 17. Jahrhunderts schreiben, kann ich nachschlagen, ob es ein bestimmtes Wort damals schon gegeben hat.

Eine Präzisionsübung der Sonderklasse ist das Übersetzen. Schon vor Jahren habe ich mir bei Unsicherheit, welches Wort am besten passen könnte, dieses in eine Fremdsprache übersetzt und dann in einem möglichst umfangreichen Wörterbuch nachgeschlagen. Prompt erhält man unterschiedliche deutsche Übersetzungsmöglichkeiten und staunt nicht schlecht, wie stark sich Bedeutungen verschieben können. Nun gut, ein Synonymlexikon wäre wahrscheinlich die bequemere Wahl - aber mir ist das zu passiv. Im fremdsprachlichen Wörterbuch werde ich außerdem auf schräge, abwegig scheinende Pfade gelockt, die mich oft inspirieren.

Im Moment lerne ich Deutsch durch Fremdsprachen. Jeder kennt wahrscheinlich den Effekt vom Vokabellernen in der Schule: So ein fremdsprachiges Wort kann seltsam unterschiedliche Bedeutungen im Deutschen annehmen. Wenn es mir z.B. im Französischen an die morale geht, werde ich noch lange nicht unanständig, sondern leide schlichtweg an schlechter Laune - ich habe also eher "den Moralischen". Aufmerksam muss man das im Wörterbuch nachschlagen, während man dem eigenen Text in der Muttersprache gar nicht so genau aufs Maul schaut. Warum eigentlich nicht? Drei Beispiele aus meiner Übersetzung von gestern, die illustrieren, wie präzise Ausdrücke verwendet werden wollen:

- Besucht man am Abend ein Schauspiel oder eine Vorstellung? Handelt es sich um Hamlet, ist die Sache eindeutig. Tritt jedoch ein Autor auf, muss man fragen: Was macht der genau auf der Bühne?
- Lebt jemand "planlos" oder "von der Hand in den Mund"? Im ersten Fall könnte der Mensch durchaus reich sein, im zweiten ist er nicht unbedingt chaotisch.
- Jemand wird charakterisiert mit einem Ausdruck, der viel heißen kann: geistlos, witzlos, nicht schlagfertig, alles andere als geistreich. Als was stempelt man ihn denn nun genau ab?

Auch wenn Übersetzen die eigene Sprache schärft, muss man nicht unbedingt den Umweg über die Fremdsprachen nehmen. Es genügt, einen eigenen Text Wort für Wort durchzugehen mit der Frage: Wollte ich wirklich genau das sagen? Gibt es vielleicht einen treffenderen Ausdruck? Was passiert mit der Bedeutung, wenn ich ein Synonym einsetze?

Es soll Schriftsteller geben, die zwar nicht unbedingt das Telefonbuch als Bettlektüre nutzen, die aber doch hin und wieder in den seltsamsten Wörterbüchern schmökern, als seien es Kriminalromane. Auch eine schöne Regenwetterbeschäftigung: Schmökern in Enzyklopädien.

*Europlais: Im Elsass sprechen wir oft drei Sprachen simultan und gleichzeitig im Satz vermischt, wie es gerade kommt. Gesellen sich dann noch militante Einsprachler oder Ausländer mit Viertsprache hinzu, kann die Logik schon mal aushaken. Früher auch als Arbeitssprache beim Turmbau von Babel gebräuchlich.

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