An die Wand!

Heute ist ein Tag, an dem ich mehrfach versucht war, das Buch, das ich übersetze, an die nächste Wand zu werfen. Bei der ersten Passage musste ich noch lachen, weil kürzlich jemand meinte, was ich denn nur dauernd mit den Russen hätte, wie seltsam und verdächtig ... Ich weiß auch nicht, aber plötzlich liefen Lenin, Trotzki und ein paar andere durchs Buch. Mit denen hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Auch nicht damit, Trotzkis Sprüche aus dem Französischen übersetzen zu müssen - ich hasse Übersetzungen aus Zweitsprachen. Zum Glück wurden beide ganz schnell wieder aus Paris ausgewiesen und ich freute mich auf bequemere Textteile.

Pech gehabt. Einige Kurzzitate von Berühmtheiten gingen ja noch. Aber an Monsieur Cocteau blätterte ich mir dann doch die Finger wund. Warum bitte zitiert "mein" Autor ausgerechnet immer die Originalpassagen, die nie auffindbar ins Deutsche übersetzt wurden? Könnte er nicht einmal einen Text bringen, bei dem ich nur das Lektorat anweise: bitte vorhandenen deutschen Text einsetzen? Nun gut, die gelben Markierungen zeigen mir, über welche infernalischen Spitzen ich mir noch höllische Formulierungsgedanken machen muss.

Und jetzt irrt auch noch der Autor! Wahrscheinlich hat er nur falsch recherchiert oder versteht nichts anderes als Französisch oder beides. Jedenfalls bringt er einen richtig dicken Hammer: Macht aus einer Kunstzeitschrift eine Balletttruppe, lässt das Blatt von einem Choreografen leiten und ... ach ... Beinahe wäre das Buch an der Wand gelandet. Zum Glück konnte sein Autor meinen Fluch nicht hören.

Was macht man in so einem Fall?
Man könnte den Mist so übersetzen, wie er dasteht. Weil man es selbst nicht merkt.

Man kann sich als Übersetzer auch die Mühe machen, sich entweder inhaltlich auszukennen oder den komischen Sachverhalt zu recherchieren. Dann zur wörtlichen Übersetzung eine Anmerkung mit Berichtigung schreiben. Spaßig zu lesen, solche Fußnoten, aber es würde den Autor bloßstellen.

Man kann aber auch vorsichtig korrigieren. Hier etwas umgestellt, dort etwas ergänzt und einen Namen stillschweigend verändert, schon liest sich die Übersetzung völlig korrekt. Keiner wird merken, dass der Autor einen Bock geschossen hat, den auch sein Lektor übersehen hatte. Nicht hämisch lachen, solche Böcke kommen öfter vor, als man denkt! Übersetzer irren zwar auch, machen ebenfalls Fehler, aber Böcke schlachten sie oft stillschweigend ab. Man könnte fast sagen, je häufiger ein Buch übersetzt wird, desto genauer wird es.

Wieder etwas gelernt: Übersetzer sind im Idealfall Freunde der Autoren. Auch wenn der meine mir das an Tagen wie heute ganz schön schwer macht ...
Am Freitag werden übrigens die Vertreter in die Übersetzung schauen. Und ich bin mir sicher, dass sie ähnlich überrascht sein werden wie ich angesichts der Fülle von Wissen, Anekdoten und Geschichten aus einer hochspannenden Zeit. Da darf der Autor auch mal einen Bock schießen und eine Zeitschrift zur Balletttruppe machen. Solange er Trotzki nicht noch tanzen lässt ...

PS: Soeben ist der Autorin klargeworden, dass heute bereits Freitag ist. Nur noch zwei Seiten bis zu einem arbeitsreichen Wochenende. Und allen ein schönes!

4 Kommentare:

  1. Feierabend, Feierlaune. Elf Seiten geschafft. 360 Seiten deutscher Text stehen.

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  2. Klasse, Petra! Die Schwierigkeiten des Übersetzens hast du sehr anschaulich dargestellt. Da kann ich froh sein, dass Erasmus von Rotterdam lange genug unter der Erde ist, so dass ich ihn ohne Bedenken zitieren kann ...´

    Herzlichst
    Christa

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  3. Christa, ist es möglich, dass es hier ein Missverständnis gibt? Es geht nicht um Urheber- oder Zitatrecht.

    Das funktioniert so: Angenommen, ich habe ein französisches Buch, in dem jemand Texte von Cocteau abdruckt (Rechte sind dann geklärt). Ich muss das GANZE Buch übersetzen. Wäre C. ein Unbekannter, kein Problem.

    C. ist aber berühmt, seine Texte sind bekannt. Nun käme das schlecht, wenn ich kleiner Dumbo dessen literarischen Übersetzern (und Könnern) Konkurrenz machen wollte und das Ei noch mal erfinden. Also recherchiert man solche "Klassiker" in bereits vorhandenen Textausgaben, setzt den entsprechenden Text ein. Der deutsche Verlag kümmert sich dann wiederum um die Rechte dieses Einschubs.

    In meinem Fall geht das so einfach nicht. Mein Autor bringt ausgerechnet immer Fremdtexte, die erstaunlicherweise noch nie ins Deutsche übertragen wurden. Ich hänge ja schon ständig hoffend an den Werkausgaben von Suhrkamp und Co. - nichts.
    Also bin ich gezwungen, selbst zu übersetzen. Aber das ist eigentlich schon wieder ein anderes Metier, nämlich literarische Übersetzung.

    Ein Kollege hier hat mal von seinen Schweißausbrüchen erzählt, als in einem Krimi plötzlich ein Gedicht zitiert wurde. Ich habe diese Schweißausbrüche schon bei mancher Prosa. Und dann schaffe ich eben keine zehn Seiten, sondern ein oder zwei.

    Allerdings lernt man dabei, dass Berühmtheiten oft auch nur mit Wasser kochten. Zwei von ihnen haben in ihren Anfangszeiten ein gebrochenes Französisch geschrieben, dass ich seither keine Komplexe mehr habe, wenn ich le und la verwechsle. Einem schrieb sogar die Mutter, aus ihm würde nie etwas werden, wenn er nicht mehr auf seine Rechtschreibung achte. Sie hat ganz und gar nicht recht behalten.

    Herzlichst,
    Petra

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  4. "Es geht nicht um Urheber- oder Zitatrecht."

    Nein, das dachte ich auch nicht. Ich meinte nur, dass es bei mir anders liegt ...

    Herzlichst
    Christa

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