Genialische Anbiederer?

Ich finde es immer wieder höchst spannend und befruchtend, Themen über den eigenen Berufshorizont hinaus zu reflektieren. Erinnert sich jemand an den Beitrag "Hund beißt Schwanz"? Da habe ich untersucht, ob ein Buch dem Marketing folgen solle oder das Marketing dem Buch. Habe von AutorInnen erzählt, die sich krampfhaft an irgendwelche "Märkte" oder "Zielgruppen" (aus Halbwissen und Wunschdenken gebastelt) anzupassen versuchen, noch bevor sie die eigene Stimme entwickelt haben. Und die auf diesem Weg nach Ratgeberrezepten und Baukastensystemen für den perfekten Roman suchten.

Kulturmanager Christian Henner-Fehr schreibt dazu:
Der von Petra van Cronenburg in ihrem Blogpost beschriebene Prozess der Anbiederung an die potenziellen LeserInnen ist in meinen Augen eigentlich nur dann möglich, wenn ich diese nicht ernst nehme.
Ich finde diesen Satz atemberaubend. Denn er stellt scheinbar völlig auf den Kopf, was die Verfechter einer solchen Anpassung, seien es Autoren oder Lektoren, propagieren. Die tun nämlich so, als würde man da Dienst am Kunden praktizieren. Aber welchem Kunden?

Wenn ich diesen Satz richtig verstehe, bedeutet er, dass dieser Pseudoluftblasentraum von "die Leserin von heute will..." nicht nur eine Illusion ist, sondern die Leserin zudem absolut nicht ernst nimmt. Zuerst wollte ich das nicht glauben. Der Satz ist unbequem. Er schreckt aus dem Trendschlaf auf.

Aber wenn man ihn weiterdenkt, heißt die Konsequenz, dass ich auch meine Leserinnen und Leser in ihrer Vielschichtigkeit und Diversität ernst nehmen muss. Dann heißt das, dass es DIE Leserin gar nicht gibt, weil jede einzelne von ihnen ein einzigartiger Mensch ist. Dann heißt das, dass es an der Zeit ist, diese Blubberblasen von Fertigrezepten endlich in den Müll zu treten, sich mit Menschen auseinanderzusetzen - anstatt mit Pappkameraden und Schablonenfiguren.

Subversiv gefragt: Könnte es möglich sein, dass mein Menschenbild als Autorin sich in der Vielschichtigkeit der Charaktere widerspiegelt, die ich erfinde? Dass ich automatisch platte Schablonenfiguren schaffe, wenn ich ein Bild habe, dass es DIE Leserin gibt, die will... ?
Henner-Fehr schreibt weiter in einem Kommentar, dass bei der von mir beschriebenen Anpassungsmethode nicht erschaffen würde. Solche Künstler versuchten lediglich, den Erfolg anderer zu kopieren und Prozesse abzubilden.

Wer sich selbst in dieser Hinsicht noch etwas intensiver hinterfragen will, dem empfehle ich den Artikel im Kulturmanagement-Blog: "Kunst und Business: Sie müssen sich entscheiden" nebst Diskussion in den Kommentaren.

4 Kommentare:

  1. Statt "Roman" kann man den Begriff "Sachbuch" oder "Ratgeber" einsetzen und dann stimmt es auch für diesen Bereich!

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  2. Hast recht, Sabine! Ich habe mich jetzt derart auf den Roman konzentriert, weil es vor allem in entsprechenden Foren und Netzwerken darum geht. Sachbuchautoren gelten selbst unter Kollegen manchmal gern als Autoren zweiter Klasse ;-)

    Ich würde nicht mal bei Autoren stehenbleiben, die Problematik treibt Künstler aller möglicher Sparten um.

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  3. Das Problem, Petra, ist, dass die diejenigen, die sich nicht an die vermeintlichen Leserwünsche anbiedern, kaum die Chance bekommen, dass es auch anders geht. Es reicht aus, dass die EntscheiderInnen bei den Verlagen davon ausgehen, man müsse sich dem vermeintlichen Trend anpassen. Wer daneben liegt hat wenig Chancen bei den Großen unterzukommen und die kleinen Verlage habe kaum die Möglichkeit wirklich wahrgenommen zu werden.
    Aus der Sicht der EntscheiderInnen in den Verlag ist das auch durchaus konsequent. Da giest man besser alten Wein in neue Schläuche und kann den Flop damit verteidigen, dass das doch jahrelang funktioniert hat (wobei der alte Wein in neuen Schläuchen sich im Großverlag immer noch besser verkaufen dürfte als der gelungene neue Wein im neuen Schlauch im Kleinverlag). Wird etwas gewagt, werden die anderen sagen, dass das doch wohl vorhersehbar war.
    Wow - jetzt habe ich viel getextet.

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  4. Ich halte das für ein böses Gerücht, Alexander, und ich frage mich, wer es in die Welt gesetzt hat: diejenigen, die nicht ankommen (was meist ganz andere Gründe hat und gern so ausgelegt wird) oder die Entscheider, die bei Großverlagen oft nicht länger als sechs Monate auf ihrem Sessel sitzen. und ergo nicht für immer entscheiden.

    Du vergisst eins: Zwischen den ganz großen und den nicht wahrgenommenen kleinen Verlagen gibt's im deutschsprachigen Raum ein sehr breites Mittelfeld - aber das ist ja bei Anfängern "ibäh" - siehe meine Erstbewerbung als Dummchen bei Bertelsmann, die ebenfalls in die Hose ging...

    Warum ich das für ein Gerücht halte: Ich bin seit Anfang der 1980er im Schreibgeschäft, seit 1998 im Buchgeschäft. Ich habe noch NIE gemacht, was angeblich im Trend liegt, sondern immer quer geschrieben. Und gerade deshalb und nur deshalb verkauft und mich so lange halten können. Inzwischen ist es sogar schon Markenzeichen. Selbst Texte, die beim einen als nicht marktkonform ankamen, bekam ich irgendwann woanders los.

    Ich habe aber anfangs eine Menge Texte weggeworfen. Die waren nicht verkäuflich, weil sie zu glatt, zu angepasst, zu marktkonform waren.

    Nun soll man bekanntlich nicht von sich selbst hochrechnen, aber ich bin kein Einzelfall.

    Wenn dein Rezept wirklich der Realität entspräche, gäbe es all die fantastischen Verlage mit ihren fantastischen Büchern nicht, die bei mir regelmäßig über den Schreibtisch rutschen.

    Vielleicht magst du recht haben, wenn man den fünfhundertachtundachtzigsten Serienkiller-Roman loswerden will. Aber in der Diskussion beim Kulturmanager ging es um KUNST. Ganz anderer Markt.

    Und ich bin mir sogar sicher, dass man auch einen verqueren 588. Serienkiller verkaufen kann, wenn man sich aus der Soße heraushebt und sehr genau hinschaut, wie und wo man verkauft. Vorausgesetzt natürlich, das Ding ist so irre gut, dass man es auf Nr. 587 noch draufsetzen kann...

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