Professionelle Gelassenheit

Eigentlich bin ich derzeit Gemüse. Und klopfe wartend auf den Schreibtisch, dass gewisse Mails eintreffen, ohne die ich nicht arbeiten kann. Ich müsste nämlich eigentlich noch weg. Und auch noch korrigieren. Und versenden und dies und das und zuunterst zuoberst.
Früher haben mich solche Situationen verrückt gemacht und ich habe das letzte aus mir herausgepresst, um festzustellen, dass ich immer die erste war und als einzige an Wochenenden arbeitete. Kollegen kennen Ähnliches von den Fahnenkorrekturen für Bücher - egal, ob gerade der Himmel herunterfällt, da heißt es ranklotzen im Affenzahn.

Ich werde jetzt meinen Text korrigieren; ausgeschlafen, weil ich ihn über Nacht habe "abhängen" lassen (anstatt ihn gestern nachts noch fertig zu machen). Und meine Abfahrt steht fest. Klappt es vorher, gut. Klappt es nicht, fahre ich auch. Der Mensch hat nur zwei Beine und ein Gehirn. Lebenszeit ist begrenzt, auf 24 Stunden pro Tag.

Als ich gestern mit jemandem über dieses Gefühl sprach, wenn zuerst eine Menge Zeit ins Land geht und dann immer alles auf die letzte Minute erledigt werden muss, ohne Berechnung, dass Außergewöhnliches dazwischenkommen könnte, bekam ich die Antwort: "das ist immer so".
Muss "es" immer so sein? Müssen Freiberufler wirklich immer Gewehr bei Fuß stehen, bereit, sich für eine gewisse Zeit wie eine Zitrone auspressen zu lassen, währenddessen und danach unfähig, das Wichtigste zu erledigen: das Leben?

Natürlich haben wir diese Berufsform meist gewählt, weil wir bei regelmäßigem Büroschlaf eingehen würden. Irgendwie brauchen wir das Durchpowern und Ranklotzen auch, denn es beflügelt. Nur - wenn wir es übertreiben, macht es irgendwann flügellahm. Wenn wir es zur Normalität erklären, drehen wir an einer Teufelsspirale, die uns irgendwann auffrisst. Burnout nennt man das dann bildreich. Wenn man den hat, ist man selbst zum Büroschlaf nicht mehr fähig. Und weil ich den mal beinahe hatte - habe ich umgelernt.

Man macht sich gern selbst glauben, dass man Aufträge verlieren könnte, wenn man nicht "funktioniert". Und wenn einem ständig erzählt wird, dass die Konkurrenz groß sei, übertrifft man sich selbst, um besser und schneller als alle anderen zu sein. Mit dem Ergebnis, dass man irgendwann wirklich auf dem Müll landet, denn schnelle Arbeit ist nie so gut wie sorgfältige Arbeit. Aber ich muss doch, mir bleibt nichts anderes übrig, sagen viele. Wirklich?

Ich habe den Wahnsinn einmal bei einem Publikumsverlag mitgemacht. Für meinen ersten Roman nahm ich mir als Anfängerin noch neun Monate Zeit, eine Schwangerschaft sozusagen. Beim zweiten Roman hatte ich weniger Zeit, aber mehr Routine, falls man das bei einem Zweitling behaupten darf. Da wurde mit angedient, ich müsse zwei Monate früher abgeben. Die Gründe waren massiv, als würde das Buch sonst gar nicht erscheinen können, ach das Programm, das immer schuldige Programm. Als wäre ich sehr viel langsamer als alle anderen KollegInnen, die ja Schlange standen, man kennt das, um einen zu ersetzen. Den zweiten Roman schrieb ich also pflichtschuldig in einem bösen Witz von Zeit.

Ich schaffte es, schlief nur drei bis vier Stunden, arbeitete Tag und Nacht. Kochen konnte ich mir die letzten Wochen kaum noch etwas Ordentliches, selbst das Büchsenöffnen und Wärmen war schon Mühsal, bei der ich fast einschlief. Freunde, Leben - Fremdworte. Irgendwann war ich sogar zu erschöpft, einen Telefonhörer zu stemmen. Ich gab pünktlich ab. Musste erleben, dass jetzt andere Prouktionsbeteiligte keine Zeit hatten, in Urlaub gingen und das Buch nicht mehr Werbung bekam als das erste - nämlich gar keine. Und wieder kam der Druck mit pünktlicher Fahnenkorrektor, als ich eigentlich längst beim Arzt hätte sitzen müssen.

Da bin ich aufgewacht. Warum muss man eigentlich einen Roman in vier Monaten herunterreißen? Tut das einem Buch gut? Wer sich wundert, warum ich meine Romane nie empfehle: Ich sehe die Schwächen. - Und wird man wirklich ersetzt, wenn man drei Monate länger braucht? Das wollte ich doch mal sehen.

Heute setze ich eisern meine eigenen Termine. Wenn etwas nicht geht, geht es nicht. Wenn ein Buch nur deshalb nicht erscheinen soll, weil die Autorin nicht bereit ist, drei Monate schneller zu arbeiten als vorgesehen, dann stimmt etwas Grundlegendes nicht. Können Sie mal das und das in einer Woche? Ja, ich kann das, aber in vierzehn Tagen, weil ich davon acht Tage an etwas anderem arbeite. Basta. Frau Sowieso war in Urlaub und konnte daher nicht? Ach wie schade, jetzt kann ich gerade nicht, hätten Sie mich früher gefragt. In drei Wochen hätte ich einen Termin frei.

Das klappt, klappt bestens. Und als ich für meine Übersetzung unlängst kleinlaut Verlängerung erbeten habe, erlebte ich die große Überraschung: Ich war noch extrem schnell. Ich liege auch mit Verlängerung in der Zeit. Ein Kollege erzählte, wie auf dem Romansektor bei Übersetzungen gleich soundsoviel Verlängerung eingerechnet wird. Nur Kleindoofie auf dem Billigsektor, das Sklavenarbeiterle, schafft sich krank und sagt nie Nein, weil es diese angeblich vor der Tür stehenden tausenden Konkurrenzsklaven fürchtet. Und nie gelernt hat, das Zauberwort zu sagen, das Lebenserhaltende: NEIN.

Die Welt muss sich nicht schneller drehen als die eigene DNA. Nicht, dass ich nicht ochse wie eine Verrückte, wenn ich verschiebe oder Nein sage oder Termine mit Luft plane. Aber ich ochse nicht mehr über meine körpereigene Energie hinaus. Sollen sie doch die Konkurrenten reinlassen, her damit, sollen die sich totarbeiten. Und siehe da, ein Wunder: da draußen vor der Tür steht gar keiner. Die drei Hanseln, die sich in der Ecke herumdrücken, sind Nichtprofis, die mit Dumpingpreisen punkten. Wer die nimmt, hat meine Arbeit nicht verdient. Gute Arbeit hat ihren Wert - und sie braucht ihre Zeit.

Und die dehnt sich plötzlich, wenn man so denkt. Warum eigentlich ungeduldig auf andere warten, die sich verspäten? Solche Löcher lassen sich bestens auffüllen: mit Ruhe und Entspannung. Rennautos überholen auch nicht ständig, sondern werden zur Wartung in die Werkstatt gebracht. Das Beste geben, nicht das Letzte - das reicht völlig aus.

Und wie ist das mit der Konkurrenz? Ein ehemaliger Konzernchef, der sein Leben lang nur geschuftet hat, hat mir einmal etwas gesagt, das mir zum Programm wurde: Du musst dich nur fürchten, solange du austauschbar bist, solange du etwas machst, was alle anderen ganz genauso machen. Dann zählt der Schnellere, der Billigere. Arbeite daran, etwas anders zu machen, suche nach dem Einzigartigen in deiner Tätigkeit, nach einer ganz eigenen Kombination, spezialisiere dich. Und dann strebe darin nach höchster Professionalität.

Recht hat er gehabt. Anfangs verliert man Auftraggeber oder Verträge nach dieser Methode. Aber genau da trennt sich die Spreu vom Weizen. Irgendwann kommen die interessanten Kunden, diejenigen, die Qualität zu schätzen wissen, die selbst Qualität produzieren. Ja, auch heute noch. Und für die schiebt man dann die Überstunden mit Lust und malocht - weil man sich in dieser Arbeit selbst wiederfindet. Vor allem aber schafft man sich dadurch Freiräume und ein ordentliches Energiemanagement, so dass man auch in Jahren noch arbeiten kann.

Und plötzlich erkennt man, dass es berühmte Autoren gibt, die an einem Roman mehrere Jahre gearbeitet haben. Die hat auch keiner durch billige Auftragsschreiber ersetzt. Und bei der Arbeit in der freien Wirtschaft hört man plötzlich von einem Kunden, der abgesprungen war und mit dem Dumping-Dienstleister voll auf die Nase fiel.

Entspannt werde ich jetzt meine Mails checken, meinen Text lektorieren, absenden - und fort fahren.

7 Kommentare:

  1. und beobachten, das gerade jetzt die Sonne scheint.

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  2. Bei uns ist's TRÜBE!!!

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  3. Vielleicht verletze ich jetzt Urheberrechte....aber ich weiß nicht, von wem der Spruch ist:

    Ich bin der/die Schnellste! Wenn andere noch rutschen, dann lieg ich schon auf der Schnauze.....

    Schönen Tach noch!

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  4. Ich liebe diesen Artikel! Jedes Wort ein Wort aus meinem Herzen. Danke!

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  5. Ganz toll beschrieben, Petra! Besonders der Absatz, dass immer alle anderen keine Zeit haben und in Urlaub fahren, wenn man sich abgerackert hat.

    Christa

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  6. Das ist eine sinnvolle Einstellung, die da im Text ausgedrückt wird.

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  7. Es hat sich absolut gelohnt gestern, siehe nächster Beitrag, wenn Blogger das Lahmen aufgibt...
    @Sabine:
    Kurzzitate sind immer erlaubt und in einer "Unterhaltung" kann einem auch mal der Erfinder eines Spruchs entfallen.

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