Bohème für Jammerlappen?
In der taz gibt es einen guten Artikel über die wahren Arbeitsbedingungen für Künstler und Kreative: "Digitale Bohème, ein Abgesang: Wir nennen es Blase".
So sehr ich bei dem Artikel immer wieder nur nicken kann, macht er mich auch wütend. Und zwar aus zweierlei Gründen:
Ich kann dieses idealisierte Bohème-Image des armen Poeten nicht mehr hören.
Zufällig lese ich gerade in einem Buch über die echte Bohème, die zwischen 1900 und 1930 in Paris dahinvegetierte und Kunst aller Art schuf. Diese Künstler waren bitter arm. Sie froren sich im Winter den Hintern ab in ungeheizten, baufälligen Zimmern, die wir heute Slums nennen würden. Sie hatten nichts zu beißen. Und schufen die aufsehenerregendste Kunst des ganzen Jahrhunderts.
Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Zu der Zeit waren in Paris nämlich alle Unterschichten bitter arm, Krankenkassen und Sozialsysteme gab es nicht. Zu dieser Zeit lebten alle Menschen am Montmartre in einer Art Slum und organisierten sich im Winter von irgendwoher das letzte Brennmaterial, weil die Kohlepreise zu hoch waren. Die meisten Künstler waren außerdem Emigranten ohne französischen Pass und ohne viel Hab und Gut gestrandet.
Trotzdem hat die Bohème damals sehr viel leichter und vor allem steuerfrei die verrücktesten Gelegenheitsjobs ergreifen können. Fehlte das Geld, hat man mal wieder ein wenig gearbeitet, dann konnte man wieder Kunst machen. Arbeiter hatten diese Freiheit selten. Oder man suchte Mäzene - damals war Kunstförderung Prestige und Selbstverständlichkeit bei denen, die Geld hatten.
Maler wie Modigliani hielten es schon damals anders als jobbende Kollegen - nie wollte er Geld mit etwas anderem machen als mit Malerei. Also erzeichnete er sich sein Essen mit Portraits in den Kneipen. Utrillo malte reihenweise Postkarten ab und verkaufte die Ansichten an Touristen. Andere feilschten mit Händlern, tauschten auch mal Werke gegen Produktionsmittel. Und viele versenkten ihr letztes Geld in Alkohol und Drogen.
Die meisten von dieser Bohème haben nicht reich geerbt oder reich und bequem geheiratet, wie man das heute in der Literaturszene ab und an beobachten kann, sondern trotz alledem wie die Besessenen an der Kunst gearbeitet. Diejenigen, die nicht im Ersten Weltkrieg umkamen oder an einer der üblen damaligen Krankheiten, erhielten dafür spät, aber doch bei Lebzeiten eine Belohnung. Irgendwann zogen sie um ins feinere Montparnasse und irgendwann fuhren sie im Bugatti vor.
Wer heute von digitaler Bohème redet, tut der echten bitter Unrecht. Die Bohème in Paris - das war kein Sascha Lobo, der sein Konterfei und seine Worte allüberall bestens verkauft, das waren echte Künstler, die zudem eines gelernt hatten: alles mögliche geschickt zu Geld zu machen und trotzdem sich selbst nicht zu verkaufen.
Ich kann diese Jammerei von den hungernden Selbstständigen und Freiberuflern nicht mehr hören.
Wer diese Berufsart ausübt, nur weil ihm nichts besseres einfällt oder weil er nichts gelernt hat, wird stranden. Wer mit sinkenden Honoraren zu kämpfen hat (was außer Frage steht), sollte sich endlich klar darüber werden, dass dies ein gesamtgesellschaftliches Problem ist: Immer mehr Menschen brauchen zwei oder drei Jobs, um eine Familie ernähren zu können. Da läuft mehr schief als eine Verachtung der armen Künstler.
Angestellte können sich so leicht nicht wehren, wenn sie der Chef erpresst - ein Freiberufler kann durchaus Nein sagen, den Vormittag über im Bett bleiben oder den Auftraggeber wechseln. Seien wir uns dieser Freiheit auch mal wieder bewusst! Und machen wir uns die Folgen unserer Freiheit bewusst, deren Ursache nicht so fein schmeckt. Freiberufler haben sich in weiten Teilen schlechtere Arbeitsbedingungen und Honorare selbst zuzuschreiben, weil allzu viele sich verschenkt, ja geradezu prostituiert haben. Wie viele gut Verheiratete kann ich aufzählen, die eine Arbeit für einen Appel und ein Ei machen, weil sie es nicht nötig haben - und es macht ja ach so Spaß. Wie viele Möchtergerns werden vorgezogen, weil sie Arbeiten sogar umsonst erledigen! Keiner von ihnen merkt, dass er den Ast absägt, auf dem er selbst sitzt.
Natürlich muss man als Künstler anders und mit anderen Körperteilen malochen als ein Bandarbeiter. Und meist verdient man sehr viel weniger, erschreckend viel weniger. Aber will man tauschen?
Natürlich ist es eine Illusion, mit Büchern oder gar Internettexten gemütlich und dick Geld verdienen zu wollen. Wie bekloppt muss man eigentlich sein, um zu glauben, Texte in den Social Media brächten ein tolles Einkommen, wenn schon die Social Media selbst nicht viel bringen?
Ich fürchte, da ist einigen Leuten die Realität ein wenig verrutscht.
Man kann mit schreibenden Berufen immer noch Geld verdienen, so ist das nicht. Die Konkurrenz ist größer, das Gehype lauter. Aber es gilt immer noch und immer wieder:
Qualität und Professionalität haben ihren Preis.
Und zur Professionalität gehört auch, die richtigen Preise auszuhandeln. Eben nicht ein Buch für 13 Euro die Seite zu übersetzen, für zwei Euro die Seite zu lektorieren, einen Hardcoververtrag mit 6% Tantiemen zu unterschreiben - nur weil das manche Dummchen machen, die lieber ihre Haut zu Markte tragen, als auf den schlimmsten Auftraggeber zu verzichten. Das ist der sichere Weg ins Prekariat und in die Selbstausbeutung!
Der Weg aus der Armut unterscheidet sich kaum von dem der Angestellten: Bildung, Weiterbildung, ständige Übung, Vervollkommung anderer Fertigkeiten, Professionalität.
Texten allein ist kein Beruf, aber man kann einen daraus machen. Texte schreiben kann jeder Nicht-Analphabet, gute Texte für gutes Geld schreiben - das will gelernt sein.
Nur liegen diese guten Jobs nicht im Internet herum, werden so häufig wie behauptet nicht via Social Media vergeben. Da muss man manchmal ganz altmodisch per Telefon und Papier oder persönlich aktiv Aquise betreiben.
Mehr zum Thema "gute Arbeit für gutes Geld": Protextbewegung
Die Autorin dieses Artikels arbeitet als Literaturübersetzerin und als Übersetzerin und Texterin in der PR.
Das ermöglicht es mir, nur noch Bücher zu schreiben, von denen ich selbst rundum überzeugt bin, - und flexibel zu bleiben. In allen Berufen nutze ich das Internet als Werkzeug, aber die eigentliche Arbeit landet im Endergebnis weiter auf Papier!
Kein einziger meiner Geschäftskontakte kam je über Social Media zustande, aber 80% durch persönliche Empfehlung. Angebote über Social Media boten dafür aber zu etwa 95% Bezahlungen im Spektrum zwischen Dumping und Unverschämtheit an ...
So sehr ich bei dem Artikel immer wieder nur nicken kann, macht er mich auch wütend. Und zwar aus zweierlei Gründen:
Ich kann dieses idealisierte Bohème-Image des armen Poeten nicht mehr hören.
Zufällig lese ich gerade in einem Buch über die echte Bohème, die zwischen 1900 und 1930 in Paris dahinvegetierte und Kunst aller Art schuf. Diese Künstler waren bitter arm. Sie froren sich im Winter den Hintern ab in ungeheizten, baufälligen Zimmern, die wir heute Slums nennen würden. Sie hatten nichts zu beißen. Und schufen die aufsehenerregendste Kunst des ganzen Jahrhunderts.
Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Zu der Zeit waren in Paris nämlich alle Unterschichten bitter arm, Krankenkassen und Sozialsysteme gab es nicht. Zu dieser Zeit lebten alle Menschen am Montmartre in einer Art Slum und organisierten sich im Winter von irgendwoher das letzte Brennmaterial, weil die Kohlepreise zu hoch waren. Die meisten Künstler waren außerdem Emigranten ohne französischen Pass und ohne viel Hab und Gut gestrandet.
Trotzdem hat die Bohème damals sehr viel leichter und vor allem steuerfrei die verrücktesten Gelegenheitsjobs ergreifen können. Fehlte das Geld, hat man mal wieder ein wenig gearbeitet, dann konnte man wieder Kunst machen. Arbeiter hatten diese Freiheit selten. Oder man suchte Mäzene - damals war Kunstförderung Prestige und Selbstverständlichkeit bei denen, die Geld hatten.
Maler wie Modigliani hielten es schon damals anders als jobbende Kollegen - nie wollte er Geld mit etwas anderem machen als mit Malerei. Also erzeichnete er sich sein Essen mit Portraits in den Kneipen. Utrillo malte reihenweise Postkarten ab und verkaufte die Ansichten an Touristen. Andere feilschten mit Händlern, tauschten auch mal Werke gegen Produktionsmittel. Und viele versenkten ihr letztes Geld in Alkohol und Drogen.
Die meisten von dieser Bohème haben nicht reich geerbt oder reich und bequem geheiratet, wie man das heute in der Literaturszene ab und an beobachten kann, sondern trotz alledem wie die Besessenen an der Kunst gearbeitet. Diejenigen, die nicht im Ersten Weltkrieg umkamen oder an einer der üblen damaligen Krankheiten, erhielten dafür spät, aber doch bei Lebzeiten eine Belohnung. Irgendwann zogen sie um ins feinere Montparnasse und irgendwann fuhren sie im Bugatti vor.
Wer heute von digitaler Bohème redet, tut der echten bitter Unrecht. Die Bohème in Paris - das war kein Sascha Lobo, der sein Konterfei und seine Worte allüberall bestens verkauft, das waren echte Künstler, die zudem eines gelernt hatten: alles mögliche geschickt zu Geld zu machen und trotzdem sich selbst nicht zu verkaufen.
Ich kann diese Jammerei von den hungernden Selbstständigen und Freiberuflern nicht mehr hören.
Wer diese Berufsart ausübt, nur weil ihm nichts besseres einfällt oder weil er nichts gelernt hat, wird stranden. Wer mit sinkenden Honoraren zu kämpfen hat (was außer Frage steht), sollte sich endlich klar darüber werden, dass dies ein gesamtgesellschaftliches Problem ist: Immer mehr Menschen brauchen zwei oder drei Jobs, um eine Familie ernähren zu können. Da läuft mehr schief als eine Verachtung der armen Künstler.
Angestellte können sich so leicht nicht wehren, wenn sie der Chef erpresst - ein Freiberufler kann durchaus Nein sagen, den Vormittag über im Bett bleiben oder den Auftraggeber wechseln. Seien wir uns dieser Freiheit auch mal wieder bewusst! Und machen wir uns die Folgen unserer Freiheit bewusst, deren Ursache nicht so fein schmeckt. Freiberufler haben sich in weiten Teilen schlechtere Arbeitsbedingungen und Honorare selbst zuzuschreiben, weil allzu viele sich verschenkt, ja geradezu prostituiert haben. Wie viele gut Verheiratete kann ich aufzählen, die eine Arbeit für einen Appel und ein Ei machen, weil sie es nicht nötig haben - und es macht ja ach so Spaß. Wie viele Möchtergerns werden vorgezogen, weil sie Arbeiten sogar umsonst erledigen! Keiner von ihnen merkt, dass er den Ast absägt, auf dem er selbst sitzt.
Natürlich muss man als Künstler anders und mit anderen Körperteilen malochen als ein Bandarbeiter. Und meist verdient man sehr viel weniger, erschreckend viel weniger. Aber will man tauschen?
Natürlich ist es eine Illusion, mit Büchern oder gar Internettexten gemütlich und dick Geld verdienen zu wollen. Wie bekloppt muss man eigentlich sein, um zu glauben, Texte in den Social Media brächten ein tolles Einkommen, wenn schon die Social Media selbst nicht viel bringen?
Ich fürchte, da ist einigen Leuten die Realität ein wenig verrutscht.
Man kann mit schreibenden Berufen immer noch Geld verdienen, so ist das nicht. Die Konkurrenz ist größer, das Gehype lauter. Aber es gilt immer noch und immer wieder:
Qualität und Professionalität haben ihren Preis.
Und zur Professionalität gehört auch, die richtigen Preise auszuhandeln. Eben nicht ein Buch für 13 Euro die Seite zu übersetzen, für zwei Euro die Seite zu lektorieren, einen Hardcoververtrag mit 6% Tantiemen zu unterschreiben - nur weil das manche Dummchen machen, die lieber ihre Haut zu Markte tragen, als auf den schlimmsten Auftraggeber zu verzichten. Das ist der sichere Weg ins Prekariat und in die Selbstausbeutung!
Der Weg aus der Armut unterscheidet sich kaum von dem der Angestellten: Bildung, Weiterbildung, ständige Übung, Vervollkommung anderer Fertigkeiten, Professionalität.
Texten allein ist kein Beruf, aber man kann einen daraus machen. Texte schreiben kann jeder Nicht-Analphabet, gute Texte für gutes Geld schreiben - das will gelernt sein.
Nur liegen diese guten Jobs nicht im Internet herum, werden so häufig wie behauptet nicht via Social Media vergeben. Da muss man manchmal ganz altmodisch per Telefon und Papier oder persönlich aktiv Aquise betreiben.
Mehr zum Thema "gute Arbeit für gutes Geld": Protextbewegung
Die Autorin dieses Artikels arbeitet als Literaturübersetzerin und als Übersetzerin und Texterin in der PR.
Das ermöglicht es mir, nur noch Bücher zu schreiben, von denen ich selbst rundum überzeugt bin, - und flexibel zu bleiben. In allen Berufen nutze ich das Internet als Werkzeug, aber die eigentliche Arbeit landet im Endergebnis weiter auf Papier!
Kein einziger meiner Geschäftskontakte kam je über Social Media zustande, aber 80% durch persönliche Empfehlung. Angebote über Social Media boten dafür aber zu etwa 95% Bezahlungen im Spektrum zwischen Dumping und Unverschämtheit an ...
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