Ballets Russes: Prachtbücher

Ja, schon wieder. So ist das halt, wenn man von einer Sache gebissen ist. Ich jedenfalls bekomme dieses Thema nicht aus dem Fleisch und kaufe immer noch Bücher, Bücher, Bücher... Gestern waren sie da und zu empfehlen sind sie alle - für Menschen, die sich für Ballett interessieren, für die Avantgarde von ca. 1900-1930, für Kunst und Kultur zwischen Frankreich und Russland.

John E. Bowlt: Moskau & St. Petersburg. Kunst, Leben & Kultur in Russland 1900-1920, dtv

Über den bildreichen Prachtband habe ich bereits gejubelt, froh bin ich, ihn jetzt mein eigen zu nennen - solche Bücher holt man sich nicht nur zeitweise aus der Bibliothek, die liest man über Jahre hinweg immer wieder oder schaut einfach nur die Bilder an. Überraschung war der Preis, der seltsam stark gesunken war. Erst auf den zweiten Blick merkte ich, warum: Das Buch, das eigentlich bei Christian Brandstätter erschienen war, kam nun von dtv. Und der einzige feststellbare Unterschied ist das Softcover, selbst das Format ist nahezu das Gleiche. Leider habe ich das Hardcover schon abgegeben, ich muss es noch mal vergleichen. Aber so radiert man sich eigentlich das Hardcover aus, wenn nur der Pappdeckel derart viel mehr Geld kostet. Oder mir ist einfach nur etwas entgangen.

Sjeng Scheijen: Diaghilev. A Life. Profile Books, London

Typisch für Bücher über die Ballets Russes ist, dass sie bisher immer in anderen Sprachen erscheinen. Scheijens Großbiografie mit bisher unveröffentlichtem Material aus russischen Archiven ist nun endlich aus dem Holländischen übersetzt. Das Buch ist ein riesiger, fetter Brummer, der sich allerdings leichter und flüssiger liest, als das extradicke Papier wiegt. In Sachen Nijinsky wenigstens nichts Neues, was ich nicht auch schon wusste - so dass ich ruhig schlafen kann. Überfällig ist diese Biografie, weil das Bild Diaghilevs bisher von der Biografie Nijinskys verzerrt wurde, die dessen Frau Romola schrieb. Und die Dame hasste bekanntlich den ehemaligen Lebenpartner ihres Mannes inständig.

Absolut neu ins Licht gerückt wird deshalb die Bedeutung Diaghilevs nicht nur fürs Ballett, sondern auch für die Kunst überhaupt. Kaum ein Mensch hat je so viele Genies und Berühmtheiten (und Mäzene) um sich versammelt, sie angestachelt, Gewagtes und Neues zu schaffen und so Theater, Tanz, Mode, Design, Bildende Kunst etc. prägend beeinflusst. Auf Schritt und Tritt begegnet man in seinem Umfeld der Avantgarde von Paris. Hilfreich: Der Autor arbeitet viele Originalschriften und Augenzeugenberichte der Zeit ein, so dass ein abgerundetes Bild entsteht.

Purvis, Rand, Winestine (ed.): The Ballets Russes and the Art of Design, The Monacelli Press, New York

Mit Beiträgen von Bowlt, Grafola, Zafran, Woodcock und Lobanov-Rostovsky
Ganz ehrlich: Ich habe gequietscht, als ich das Coffee-Table-Book in die Hand nahm. Ich habe inzwischen viele Bücher über die Ballets Russes, auch Ausstellungskataloge. Dieses ist das prächtigste und es lohnt allein wegen der umwerfenden, großformatigen Fotos und Kunstdrucke sogar den Kauf, wenn man kein Englisch kann. Eine Augenweide. Ein Novum. Dadurch, dass hier einmal nicht mit Bildern aus der Sammlung Neumeier gearbeitet wurde, die in europäischen Veröffentlichungen verbreitet sind, kann der Fan völlig Neues und Unerwartetes entdecken. Und das richtet sich nicht allein an Ballettfreunde.

Im Buch wird das künstlerische Design der Ballets Russes untersucht, es enthält Entwürfe von Bühnnbildern und bemalten Hintergrundvorhängen, Gemälde, Fotos von Originalkostümen, Plakate, Postkarten und sogar Meissner Porzellankitsch. Hier wird deutlich, welch faszinierendes Gesamtkunstwerk die Truppe bot - und wie damals schon der Handel mit Fanprodukten erfunden wurde. Die Kostüme und Bühnenausstattungen, die auch ich in dieser Zusammenstellung so noch nie gesehen habe, lassen zusammen mit Fotos der Truppe ein Bild entstehen, wie das damals ausgesehen und gewirkt haben mag.

Eine perfekte Zeitmaschine, ein Buch, das deutlich macht, wie sehr das Phänomen Ballets Russes die Kunst und Kultur einer ganzen Epoche prägte - bis heute spürbar. Leider geht es nur um Design für die Aufführungen selbst, der riesige Komplex der Avantgardekünstler, die für die Ballets Russes in Auftrag standen, wie z.B. Picasso oder Braque, ist ausgespart. Das kann aber ein einziges Buch nicht leisten. Ein Prachtband, für Interessierte das absolute "must have". Und der Euro steht zum Dollar erfreulich...

Und eine schlechte Nachricht, weil ich natürlich derzeit vermehrt ungeduldige Anfragen bekomme: Mein Buch "Ich will eine Liebesschlange. Eine Annäherung an Vaslav Nijinsky" steckt in Produktionsschwierigkeiten, die sich meiner Verantwortlichkeit entziehen. Ich kann im Moment nichts dazu sagen, außer dass ich über ein späteres Erscheinen hier natürlich rechtzeitig informieren werde. Deutschlands Ballettkritiker Nr. 1, Horst Koegler, hat das Manuskript bereits vorab begeistert gelesen, ich hoffe sehr, dass dieses Vergnügen noch viele andere haben werden...

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