Bumerang aus Wurmlöchern
Manche Kolleginnen und Kollegen kennen sicher diese seltsamen Eigenschaften mancher Romanfiguren oder Geschichten: Auch wenn man sie nicht schreibt, nicht schreiben will, lassen sie einen nicht los. Es kommt in unserem Beruf ab und zu vor, dass wir jemanden ad acta legen und der brüllt umso lauter los, manchmal nach Jahren. Mein Polenroman ist so einer, den ich erfolgreich zu verhindern versuchte und nun gegen alle Vernunft schreiben muss. Und da ist noch so etwas ...
Im Januar begrub ich ein Projekt, um nicht daran zu verzweifeln, dass ich für deutsche Verlage diesbezüglich das falsche Geschlecht habe. Es war nicht einfach, innerlich damit abzuschließen, nachdem ich bald 20 Jahre mit diesem Thema förmlich lebte. Bei diesem Sachbuch geht es um Menschen, die wirklich existiert haben. Einer aus jenem Clan hängt als Porträt aus dem 19. Jahrhundert immer noch an meiner Wand. Weil er mich fasziniert, weil ich alles aufgesogen habe, was über sein Leben zu erfahren war. Und weil er mir ein Beispiel ist, gegen jeden noch so großen Widerstand von außen an die eigenen Visionen zu glauben.
Ich war verrückt bei dieser Recherche. Holte mir aus seinem Garten - heute eine Wildnis - eine Rose, die er selbst gepflanzt hatte (wer das Vorwort in "Das Buch der Rose" liest, wird die Geschichte wiedererkennen, verewigt sind die Blüten auf dem Foto im Buch). Ich stieg heimlich an der Concierge vorbei (einmal hat sie mich erwischt) in sein baufälliges Schloss ein, um zu sehen, wie er gelebt haben mochte; um "zu atmen", wie man damals lebte. An ganz spinnerten Tagen berührte ich dort das Treppengeländer und stellte mir vor, dass jener Clan das auch einmal berührt hatte. Ich hätte etwas darum gegeben, wenn Treppengeländer Gespräche aufzeichnen könnten!
Und ich hätte etwas darum gegeben, seine weithin bekannte Bibliothek erlebt haben zu können, bevor der gesamte Besitz 1930 bei seinem Tod versteigert worden war. Bücher in allen Sprachen soll er besessen haben, Wissenschaft, Literatur. Er war ein wahrer Bücher- und Forscherwurm, und ich war der Theorie von den Wurmlöchern fast böse, dass sie zur Zeitmaschine nicht taugte.
Vorhin habe ich nach einer ersten Grundsäuberung meine kleinen Preziosen genauer gesichtet. Bei einem schwungvoll eingeschriebenen Namen stutzte ich. Den hatte ich schon einmal gehört. Ach ja, ein Nachfahr von jenem Clan. Nichts Besonderes. Ich schlage ein weiteres Buch auf, eine uralte deutsche Sprachlehre. Vorne hat jemand mit bräunlich verblassender Tinte und wunderschönen alten Lettern den eigenen Namen hineingeschrieben. Seine Schwester! Also die Schwester dieses Schlossbesitzers, nach dessen Bibliothek ich mich immer sehnte. Und dann waren da noch drei Bücher aus dieser Bibliothek, ein Schiller im Original, ein Goethe auf Französisch und ein damals wichtiges chirurgisches Fachbuch mit persönlicher Widmung des Autors - mit dem er befreundet war.
Ich kann machen, was ich will, ich bekomme diesen Mann nicht los.
Selbst diverse Museen bedauern, dass sein Besitz damals in alle Winde zerstreut wurde. Dass man nichts mehr von ihm findet. Und ich falle zufällig über einen Haufen Krempel und Müll am Straßenrand, den einer beim Frühjahrsputz loswerden wollte - und falle sozusagen direkt hinein in seine Bibliothek! Ich trau mich gar nicht, sein Portrait anzuschauen. Ich fürchte, er wird zwinkern und grinsen.
Vielleicht wird dieses Sachbuch wirklich nie etwas werden. Aber eines Tages schreibt eine durchgeknallte Autorin vielleicht einen Roman, wie sie von einem Buch quer durchs Raum-Zeit-Kontinuum verfolgt wurde? Uuups ... wo ist sie denn? Wo ist sie geblieben? Hier?
Petra, Petra.... kann es sein, daß du ein kleines bißchen begriffsstutzig bist?
AntwortenLöschenWas meinst du, warum dich der Herr so beharrlich verfolgt?
Der will kein Sachbuch, der will, daß du seine Romanbiografie schreibst, ist doch klar!!!
(Denn wie ich mir hab sagen lassen, erfreut sich gerade dieses Genre in den literarischen Kreisen Frankreichs größter Beliebtheit.)
Öhm, Jan, du bist ja schlimmer als der Hofastrologe von Versailles ;-)
AntwortenLöschenLass mich erst mal meine Dingens-Biographie fertig schreiben... dann sehen wir weiter, ob ich das überhaupt kann, hehehe.
Hallo Petra,
AntwortenLöschenmanchmal, wenn jemand wie du gebissen wurde (wie du es immer ausdrückst), dann wirst du so lange nicht mehr von einem Thema losgelassen, bis du das Thema annimmt.
Und ich würde dir auch raten, den Herrn eine kleine Romanbiographie zu verehren, damit vielleicht, aber auch nur vielleicht das mit dem Museum doch noch klappt...
Gruss
Thomas
Hallo Thomas,
AntwortenLöschen"je suis mordue" sagt man ja auf Französisch, wenn man sich leidenschaftlich für etwas begeistert.
Ich gebe natürlich so schnell nie auf. Wenn deutsche Verlage meinen, sie trauten Frauen die Bewältigung technischer Themen nicht zu, tun sie mir erstens erbärmlich leid (vor allem, wenn das von Frauen kommt) und zweitens fordern sie meinen Trotz heraus. Da sind längst Tentakel in Frankreich am Werk, aber eine Übersetzung muss finanziert werden.
Außerdem muss ich mit meinen Kräften haushalten. Im August muss ich mein Hörprojekt abgeben und mich in den Jubiläumrummel stürzen und bis April will ich mich größenwahnsinnig um ein Stipendium für meinen Roman bewerben. Im Juni habe ich Premiere mit meinem Bühnenprogramm und noch keinen Text, keine Plakate, geschweige denn geprobt... Mit meinem Amtsärger zusammen bin ich da, fein französisch ausgedrückt "à la limite".
Also, kommt Zeit, kommt Buch ;-)
Schöne Grüße,
Petra
"Also, kommt Zeit, kommt Buch ;-) "
AntwortenLöschenJa, das will der Hofastrologe doch auch schwer hoffen.
Der hat übrigens noch mal in seine Zeichungen und Tabellen geschaut und verkündet:
Nein, der Herr möchte keine "kleine" Romanbiografie, sondern eine auf ihm entsprechendem Niveau :))
(PS: Post ist unterwegs)
So so, die Herren möchten also... und die möchten dann womöglich auch noch ein Buch von einer AutorIN lesen... (schrilles Gekicher)
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