Feminismus und Darwin
Trotzdem legt man ihnen auch heute noch Evolutionsbremsen in den Weg, schimpft auf die wilde Lilith und kettet Evaweib an Apfelsünden. Was könnte die Evolution schon weit sein, wenn wir Frauen könnten, wie wir wollten!
Können wir doch? Ist doch alles so schön modern hier?
Das dachte ich auch mal. Als Kind der ich-weiß-nicht-wievielten Emanzipationswelle glaubte auch ich irgendwann, es müsse nun gut sein, endlich gäbe es nur Menschen auf der Erde. Denkste.
Da war mal ein Projekt, das mir extrem am Herzen lag. Nennen wir es mal verschleiernd das "Projekt Kohle". Ich war dazu gekommen, wie die Jungfrau zum Kind (typisch Frau), weil ich schon als solches gern in schwarzen, unterirdischen Gängen herumkroch. Und weil ich über Jahre Zugang zu einem der besten Archive und zu Fachleuten hatte. Damals, noch ohne meinen wunderbaren jetzigen Agent, machte ich mich damit etwas dilettantisch auf die Socken. Ein Programmchef, männlich, fand, ein "Kohle"-Sachbuch sei nichts ohne saftige Intrigen, heiße Liebesgeschichten und Konkurrenzkampf. Aha. Schreibt man heute so Sachbücher? Oder frau?
Es endete schlimm. Jeder sagte mir, wenn ich aus dem Sachbuch einen historischen Roman basteln würde, wäre das DER Hammer. Also hämmerte ich mal; man, pardon frau, ist sich ja zu nichts zu schade. "Die Kohlebaronin" ging an einen großen bekannten Verlag und mir wurde schon vom Arbeitstitel schlecht. Boah, Hammer, alles drin, Liebesschnulz, Intrigen, Feinde, Krieg, hammse vielleicht noch ne Vergewaltigung, Reichtum, klasse (ich hatte von jenem Programmchef gelernt), nehmen wir sofort, kaufen wir! Wenn Sie eine klitzkleine Änderung...?
Man und frau zeigen sich ja immer kooperativ als Autoren. Offenheit signalisieren. Teamfähigkeit. Sogenannte soft skills, früher sagte man "weibliche Fähigkeiten", sind gefragt in unserer Branche.
Ja, könnten Sie nicht ... die Kohle ... also, die macht so dreckig. Die ist so schwarz. Wir machen Bücher für Frauen. Und das ist alles so dreckig und Dreck ist männlich und Frauen brauchen was Schönes. Könnse nicht aus der Kohlebaronin was mit Pelz oder Edelsteinen machen? Vielleicht ne Goldmine. Aber nee, lieber doch nicht, da laufen dann schwitzende, dreckige Arbeiter durchs Bild, das wollen Frauen auch nicht. Machense Glamour rein und wir kaufen.
Die Autorin versenkte das gute Stück in der verborgendsten Schublade. Glamourprostitution ist nicht.
Dann kam der Klimawandel, dann kam die Energiekrise, und die Autorin bekam leuchtende Augen. Heureka! Wenn jetzt nicht Zeit ist, wann dann! Und diesmal bleiben wir eiskalt und knüppelhart beim Sachbuch, arbeiten ein völlig neues Konzept aus - das ist das Thema der Zeit. Und dass ich Kulturgeschichte beherrsche, habe ich ja schon gezeigt. Was soll da noch schiefgehen?
Einige Monate später schütteln Agent und Autorin nur noch den Kopf und fassen es nicht, was aus unserer Welt in Sachen Emanzipation geworden ist. Kein Verlag habe das explizit so ausgesprochen, aber alle hätten durch die Blume signalisiert, dass dieses Projekt mit einem ganz großen Fehler behaftet sei: Die Autorin ist eine Frau. Noch dazu eine Frau, die sich auf dem weiten Feld der "Kohle" noch keinen Doktortitel erworben hat. Einer Frau traut man es nicht zu, über solche Sachen Bescheid zu wissen, eigentlich mit Doktortitel auch nicht. Und dann die Leser! Männer sind kritisch. Und dann steht da ein Frauenname ohne Titel, ohne Meriten.
Ich beneide Georges Sand. Sie konnte noch den Namen wechseln, um als Frau ernst genommen zu werden. Mir bringt ein männliches Pseudonym nichts, denn ich müsste noch eine Biografie erfinden, sprich fälschen. Das hilft nur, wenn ein Verlag seine Leser, pardon Leserinnen, betrügen will. Das hilft leider nicht innerhalb einer Branche, in der zwar überwiegend Frauen arbeiten, aber Rollenspiele von anno dunnemals fröhlich Urständ feiern.
Als ich klein war, durften einige meiner Freundinnen nicht aufs Gymnasium, weil "Mädchen heiraten ja eh". Ich habe einst das Studium für einen damals noch hauptsächlich männlich besetzten Beruf ergriffen. Als ich mein Volontariat für die Redakteursausbildung absolvierte, war ich als Frau in einer extrem kleinen Minderheit. Ich fühlte mich aber immer akzeptiert, respektiert und ganz "normal" als Mensch. Meine Ausbilder sagten: Als Journalist hast du gefälligst alles zu können, egal, ob du Frau oder Mann bist, egal ob mit Doktortitel oder ohne, du musst über Hot Dogs genauso schreiben können wie über Kohle oder künstliche Intelligenz.
Eine der drolligsten Absagen, die ich als Buchautorin kassierte, hätte mich stutzig machen sollen (übrigens für das erfolgreich veröffentlichte "Das Buch der Rose", das auch Männer lesen): "Ich erwarte von einer Autorin einen anmutigeren Stil, etwas Sanfteres..."
Nein, es kommt beim Veröffentlichen nicht immer nur auf Inhalte und Qualität an. Manchmal ziehen sie einen bis aufs Hemd aus.
Also, Darwin, mach mal ein bißchen hinne mit der Emanzipation!
Dein Peter
PS: Gestern, bei der Künstlerberaterin, erzählte ich von meinem neuen Vertrag. "Wie kommen Sie denn als Frau auf so ein schräges Thema?", war die erste Reaktion meines weiblichen Gegenübers. Mehr Androgyn bitte, meine Damen!
Lesetipp:
- Stefan Bollmann: Frauen, die schreiben, leben gefährlich. Elisabeth Sandmann Verlag
- Virginia Woolf: Ein eigenes Zimmer, Essay (These: Der vollkommene Autor ist androgyn) - in Neuübersetzung als fischer-tb und als Hörbuch bei Random House Audio (Sprecherin: Erika Pluhar)
Hi Petra,
AntwortenLöschenich glaube aber, dass mittlerweile Autorinnen - außerhalb des Sachbuchgenres - mehr gefragt sind als Autoren. Immerhin sagen die Marketingleute, dass die überwiegenden Buchkäufer -innen sind. Ich wurde zB von meinem damaligen Agenten gefragt, ob ich bereit wäre unter weiblichen Pseudonym zu veröffentlichen. Da nahmen manche Verlage wohl lieber in Kauf, dass bei Lesungen das auffliegt als dass die Käuferinnen durch einen männlichen Namen erschreckt werden.
(Geholfen hat das allerdings auch nichts) - aber vielleicht wird es ja jetzt was (ist übrigens ein Lektor, der das MS nun angefordert hat, keine Lektorin)
Hi Alexander,
AntwortenLöschendu hast natürlich recht, ich weiß von Männern, die gezwungenermaßen unter Pseudonym Liebesschmalz schreiben oder Freche-Frauen-Romane. Aber die können eben mithilfe von Pseudonymen schreiben.
Ich denke, es ist ein qualitativer Unterschied, ob man ein Pseudonym braucht, um das Publikum zu betrügen, oder ob man grundsätzlich wegen seines Geschlechts gar nicht erst zum Zuge kommt oder erst nach Kämpfen. Ich kenne auch in der Belletristik Kolleginnen, die mit harten Bandagen kämpfen müssen, weil ihre Themen "nicht weiblich genug" sind. Und das sagen ihnen Frauen.
Allerdings ist die Struktur dahinter die gleiche: Verlage halten künstlich Uralt-Rollenbilder aufrecht, die es in der Gesellschaft nicht mehr im gleichen Maße gibt. Dort sitzen eben Männer, die Liebesromane beherrschen, und Frauen, die harte Schwertkämpfe hinlegen.
Es wird immer argumentiert, die Leserinnen wollten das so. Wollen sie das wirklich? Sind unsere Leserinnen (mit Lesern argumentiert man selten) wirklich so rückständig?
Warum erschrickt eine Frau angeblich vor einem männlichen Namen auf dem Frauenromancover? Warum erschrickt ein Mann angeblich vor einer gebildeten Frau, die ein Sachbuch schreibt?
Die Welt kann doch im 21. Jhdt. nicht so schreckhaft sein!? ;-)
Schöne Grüße,
Petra
PS: Unter "Aufgeschnappt" schreibt Elke, gewisse Verlage wollten zur Bewerbung jetzt jugendfrische Portraitfotos (man vergleiche das sogenannte "Fräuleinwunder" in der Literatur oder die Koppelung des deutschen Buchpreises an Fernsehauftritte) - das passt in die gleiche Schiene:
AntwortenLöschenWie viel Äußerlichkeit muss sein, damit ein Projekt ein Buch wird? Kam es nicht früher mal auf den Text an?
"hammse vielleicht noch ne Vergewaltigung"
AntwortenLöschenWenn das jetzt nicht rein satirisch war, dann habe ich ein Gegenbeispiel: Mir wurde eine Vergewaltigung gestrichen! Und bei Rosamunde Pilcher, so las ich kürzlich, gibt es überhaupt keinen Sex. So unterschiedlich sind die Geschmäcker!
Mit der Jugendfrische tun die Verlage weder ihren Autorinnen noch den LeserInnen etwas Gutes, denke ich: Sind doch die meisten Leserinnen zwischen 40 und 60 Jahre alt,und selbst die Bundesregierung schielt mehr und mehr auf die zunehmend Älteren, deren Stimmen sie doch dringend braucht. Mein erster Verlag hat sogar eine Sonderproduktion 50+ eingerichtet.
Herzlichst
Christa
""hammse vielleicht noch ne Vergewaltigung"
AntwortenLöschenWenn das jetzt nicht rein satirisch war..."
Das war es leider nicht, Christa. Zu der Zeit erntete gerade "Die Wanderhure" größte Erfolge und jener Verlag war einer von denen, die glauben, man muss nur Versatzstücke aus anderen Verlagen montieren ;-)
Aber natürlich formuliere ich oft etwas überspitzt, um Sachverhalte noch deutlicher zu machen. Ein bißchen Polemik muss bei manchen Themen auch mal sein.
Übrigens glaube ich nicht an die Sache mit dem Jugendwahn. Das Fräuleinwunder hat nur im Feuilleton existiert, nicht im Leben. Mir ist kein Autor bekannt, der wegen seines Alters abgelehnt worden wäre. Und wer seine Autorenfotos vom Profi machen lässt, der weiß, wie solche Fotos lügen.
Schriftsteller ist ein Beruf, in dem man auch mit 60 erst durchstarten kann und arbeiten muss, bis einem der Griffel aus den gichtigen Fingern fällt.
Nehmen wir mal nur die beiden vielleicht erfolgreichsten Jugendbuchautorinnen: J.K. Rowling ist saftige 44, Cornelia Funke 51. Die Kids kaufen trotzdem. Dagegen hängen grauhaarige, bebrillte Herrschaften einem 34jährigem Kehlmann andächtig an den Lippen und lesen Frauen im Klimakterium die 31jährige Charlotte Roche.
Herzlichst,
Petra