Lachgebiete

Nein, ich habe es nicht gelesen. Ich werde es auch nicht mehr lesen, weil es nach der gestrigen Doku in ARTE zu redundant wäre. Aber ich habe mich köstlich amüsiert über die Sendung , die Charlotte Roches "Feuchtgebiete" in zwei offensichtlich doch sehr unterschiedliche Erotikkulturen verfrachtete.

Wenn das Buch tatsächlich das bringt, was im Film herüberkam und zitiert wurde, dann ist es wirklich gelungener Klamauk. Klamauk, der allerdings Inhalte zur Diskussion stellt, die man vor rund 200 Jahren in Frankreich vielleicht in ein Pamphlet gesteckt hätte. Die in den 1970ern Stoff für "Die neue Frau"-Reihen gewesen wären. Und die, hätte die Autorin das adäquatere Sachbuch gewählt, gouvernantenhaft in der Ratgeberecke ausgetrocknet wären. Der Griff zur Form des Romans war zwar kein literarischer, aber ein Kunstgriff.

Überhaupt fand ich bei der ganzen Diskussion, dass sie mal wieder mehr über den Zustand der LeserInnen und der Gesellschaft aussagt als über das Buch selbst. Mag ja sein, dass einige sehr seltene sexuelle Grenzgänger in diesen Szenen etwas Erotisches finden mögen - die Geschmäcker sind bekanntlich verschieden und auch exotisch - aber wenn das Pornographie ist, dann waren wir in den 1960ern schon mal weiter. Man schaue sich die Autorin an: Sie behauptet selbst nicht, Schriftstellerin zu sein - und sie kann bei Lesungen keinen Satz geradeaus sprechen, ohne sich vor Lachen zu krümmen. Dass sie sich dabei wie eine Gouvernante mit Kleinmädchenfrisur à la anno dunnemals kleidet, ist perfekt inszeniert.

Ich kann ihr das nachfühlen. Die Phase hat doch jeder schon als Kleinkind, das Sprechen lernt. Scheisse. - Man sagt nicht Scheisse, das ist ibah. - Scheisse. - Wenn du nochmal Scheisse sagst, bekommst du keinen Nachtisch!
Na - welches Wort wird der Sprössling folglich immer öfter mit Wollust aussprechen? Ist das schon Pornographie?

Die nächsten Feuchtgebiete warten auf Mädchen in der Pubertät, wenn sie sich gegen Mamas Erziehung auflehnen. Bei mir hat die Dreckphase etwas länger gedauert. Ich war als kleines Mädchen wie ein Püppchen ständig in weiße Kniestrümpfe gesteckt worden. Sie ahnen, was jetzt kommt? Genau. Ich habe zwar kein Buch geschrieben, aber sobald ich von zu Hause weg war, Gummistiefel gekauft. Und fortan saute ich herum, was Schlamm und Modder hergaben. Endlich nicht mehr Prinzesschen sein, endlich herumdrecken. Charlotte Roche hat mit der Methode einen Bombenerfolg gelandet - und die jungen und alten Mädchen des Landes offensichtlich von irgendetwas befreit. Sie hat privaten Trotz, den jede(r) in sich trägt, in die Öffentlichkeit gezerrt und mit Flutlicht beleuchtet.

Traurig finde ich, dass die jungen Frauen von heute offensichtlich erst wieder Freiräume erkämpfen müssen, die meine Generation in mehreren Emanzipationsanläufen schon einmal erreicht hatte. Wir dachten damals noch, das Patriarchat sei schuld, und ahnten nicht, dass Werbeindustrie und Turbokapitalismus es noch viel doller treiben können.

Und ich bin natürlich amüsiert gespannt, wie dieser deutsche Aufschrei in Frankreich ankommen wird. In einem Land, in dem Farben, Parfums und Reizwäsche nicht vordergründig zur Verführung verwendet werden, sondern auch als reiner Selbstzweck, als Sinnenlust, als Freude am Schönen, am Luxus - ob mit oder ohne Mann und mit oder ohne Frau. Das alles ist seit hunderten Jahren fester Bestandteil der Kultur! Sich absichtlich verschmutzen, wozu? Ein feministischer Gedanke ist doch nicht weniger politisch, wenn er aus einem geschminkten Mund kommt?

Tja, Frauen in Frankreich bräuchten nämlich ein ganz anderes Buch. Eines, das Männer vermehrt zum Gebrauch von Hygiene und Kondomen bringt. Es ist nämlich nicht nur AIDS wieder brutal auf dem Vormarsch, die guten alten Geschlechtskrankheiten breiten sich hierzulande schneller aus als Charlotte Roches Roman das jemals können wird... Und das tötet dann wirklich jedes letzte Restchen Erotik.

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