отдых

Ein neues Projekt verhält sich zu Beginn wie ein zartes Märzpflänzchen und ich als Autorin verhalte mich wie eine Januarmimose. Im Aussaatstadium bin ich bis zur Ekstase begeistert, im Keimstadium möchte ich am liebsten den Glassturz des Kleinen Prinzen ausleihen, ständig darum bangend, der kleinste Windhauch könnte mein zartes Pflänzchen erfrieren lassen - oder ich wäre als Gärtnerin absolut ungeeignet. Wenn ich meine eigenen Ansprüche nicht ständig höher schraube, beginne ich mich zu langweilen. Aber gleichzeitig fürchte ich mich davor, außer Atem einer Idee nachzurennen, der ich von vornherein nie hätte folgen können.

Nichts beruhigt mich dann, nicht einmal die lobende Zustimmung der Verlegerin. Jetzt lobt sie noch, denke ich, aber was ist, wenn es bei diesen mickrigen zwölf Seiten bliebe? Wenn danach die Luft weg wäre? Wenn ich die großartigen Kopfideen nicht auf Papier bringe? Wenn ich nur einen Abklatsch dessen schreiben kann, was ich mir vorstelle? Nichts beruhigt mich in dieser Phase - nur das Schreiben selbst. Strecke machen. Nicht nachdenken, keine Wenn und Aber. Kein Grübeln. Nur lustvolles Schreiben, mit der Lust an Fehlern, schlechten Formulierungen, unvollkommenen Rhythmen und all diesen gelb markierten xxxx-Stellen, die ich recherchierend nachschlagen müsste. Nein, nur nicht aus dem Fluss bringen lassen, zuerst den Atem der Geschichte finden.

Leserinnen und Leser? Sind mir in dieser Phase herzlich egal. Irgendwer wird meinen Dingens schon lesen, pardon hören. Irgendwem wird er gefallen, irgendwer wird ihn in der Luft zerreißen. Das ist immer so. Jetzt, in diesem aufgeregten Anfangsstadium ist das eine keimende Liebesbeziehung nur zwischen mir und Dingens. Jeder Dritte würde stören. Staunend lese ich in den Kaffeepausen, dass es Kollegen gibt, die Wörter wie "Zielpublikum" benutzen, die von Erwartungen sprechen und diskutieren, ob eine Warze am kleinen Zeh der Hauptfigur zu weniger Abverkäufen führen könnte, oder wann man der starken Frau im Vordergrund welchen Sex gönne. Seltsam. Erwartungen?

Irgendwo in den Tagebüchern von Dingens habe ich gelesen, wie er sich freut, eine effektive Methode zum Beseitigen von Hühneraugen gefunden zu haben. Damit sie nicht wieder nachwachsen, lässt er sie zuerst fröhlich sprießen und rubbelt sie dann mit Bimsstein ab. Sollte ich ernsthaft darüber nachdenken, wie viele Abverkäufe es mich kosten wird, wenn ich dieses Wissen über Dingens unterschlage? Das Publikum könnte sich sehr wohl für seine Füße interessieren. Ich könnte einen Diskurs mit Kollegen über die Sinnhaftigkeit feingeschliffener Hühneraugen von Protagonisten beginnen. Stattdessen schreibe ich und suche nach etwas anderem: dieser leidenschaftlichen tranceartigen Stimmung, wenn ich besessen von meiner Geschichte, das eigene Leben fast wie ausgelöscht, mit jener Figur kommuniziere. Weil sie lebendig geworden ist. In diesem Moment, aber erst in diesem, gelingt es mir, Dingens auch für andere lebendig erscheinen zu lassen.

Dementsprechend schaffe ich dafür so etwas wie ein Treibhaus, einen Schutzmantel aus Stimmungen, die es mir erleichtern, zwischen Amtsformularen und Einkäufen und all den anderen Zeitverschwendungen nicht aus meinem Zweitleben zu fallen - dieser Geschichte. Atemlos arbeite ich wie ein Läufer, um zu dem Augenblick zu gelangen, in dem ich um Dingens keine Angst mehr haben muss. Wenn auch er gehen kann, ohne umzufallen. Wenn ihn nichts mehr anficht und er selbstbewusst dasteht und sagen kann: Nehmt mich oder werft mich weg. Ich bin einfach so.

Die wichtigste Zutat für mein Treibhaus ist die Musik, vorher und nachher, nie während des Schreibens. Ich kann bei jedem meiner Bücher noch nach Jahren sagen, was ich zur Einstimmung gehört habe. Diesmal ist es noch schlimmer, weil Dingens ja ein Hörprojekt aus Musik und Text werden wird. Ich weiß nicht, wie oft ich schon ein gewisses Stück von Debussy gehört habe, nach dem mein erstes Kapitel tönen soll. Diesmal höre ich nicht nur, diesmal lese ich Partituren. Irgendwann im fortgeschrittenem Stadium werde ich mit Seziermesser und Nadel und Faden an Debussy und an den Text gehen müssen. Bis dahin habe ich die Töne hoffentlich in Fleisch und Blut - und die Melodie des Texts sauberer komponiert.


Farben brauche ich in jenem Treibhaus. Diesmal sind es kräftige Primärfarben. Manchmal reicht eine Vase, ein Windlicht. Manchmal muss ich achtgeben, dass ich mich nicht allzu schräg kleide, nur weil es zum Buch passt. Diesmal gibt es keine Probleme mit der Innendekoration. Ich lebe längst in der Zeit meines Projekts, täglich. Ich habe schon als Kind die Gemälde jener Zeit auf Kunstpostkarten gesammelt, war später in Ausstellungen und platzte irgendwann vor Stolz, wenn ich entsprechende Möbel vom Flohmarkt restaurieren konnte. Eine Musik, die ich für mein Hörbuch verwenden werde, hat mir ein seltsam wehes Erinnern beschert, als ich jeden einzelnen Ton wiedererkannte wie einen alten Freund. Die Musik meiner Anfangszeit im Studium, Trösterin in all dem Neuen, Unbekannten. Die Bilder, die Dingens auch gesehen haben muss - im Original - hängen als Kunstdrucke an meinen Wänden.

Und dann fiel es mir ein. Centre Pompidou vor Urzeiten ... ein Bild auf dem Speicher. Wenn etwas meinen Dingens ausdrücken konnte, dann dieses. Darin steckt das ganze Geheimnis. Seitdem hängt Kandinskys Bild "Moskau" an meiner Wand, das er 1916 gemalt hat. Mein Dingens beginnt viel früher, Moskau ist die falsche Stadt, aber irgendwie lebt er darin. Wenn ich befürchte, den Faden zu verlieren oder meinem Text nicht mehr gewachsen zu sein, laufe ich ihm darin nach.

Es wirkt immer wieder. Und jetzt ist es so weit: Ich brauche den Treibhausschutz nicht mehr. Ein Viertel meines Hörprojekts steht, das Kapitel mit dem großen Rundumwurf ist geschrieben. Dingens tanzt sich selbstbewusst in mein Leben, nichts wird ihn mehr umwerfen können. Frech stellt er sich gegen alle Erwartungen seiner und meiner Zeit, passt in keine Schublade. Er hat sich mit Verve selbst gelebt, mit allen Konsequenzen. Mich reißt er in all seine Höhen und Tiefen, scharfkantige Extreme, Verwirbelungen eines Lebens. Und nach jeder Etappe fühlt sich der tiefe Atemzug nach dem Innehalten wie ein Sturm an. Ein Sturm großer Ruhe, denn die Geschichte lebt nun.

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