Enteignung oder Fortschritt?
Die seltsamen amerikanischen Bibliotheken
Noch einmal ein praktisches Beispiel, warum viele Urheber in Europa über "kalte Enteignung" sprechen, wenn es um das Vorhaben von Google Books und ähnlichen Strategien geht (im folgenden G. abgekürzt). Über die Theorie lässt sich ja vortrefflich in beide Richtungen polemisieren, schauen wir einmal die Praxis an.
Viele Autoren glauben immer noch, G. erfasse ja nur vergriffene Werke - wie schön und praktisch für die Leserwelt. Und ganz lesen könne man ohnehin nur die von Autoren, deren Urheberrecht längst gesetzlich erloschen sei. Außerdem erfasse G. nur amerikanische Bibliotheken (es ist ja immer noch ein amerikanischer Konzern). Falsch! Die Wahrheit sieht anders aus.
Ich habe spaßhalber dort meinen Namen eingegeben. Auf den ersten Blick sieht das wie eine gute Sache aus, weil ich endlich erfahre, wie viele Autoren meine Texte in ihren Büchern zitiert haben. Das mag das Ego streicheln, bringt aber dann doch nicht so viel.
Ich staune, wie viele meiner Bücher bei G. erfasst sind. Gut, eine Vorschau gibt es zum Glück nicht, noch lebe ich, noch leben die Bücher. Aber kann mir einer verraten, wie Bücher von Hanser oder Parthas in eine amerikanische Bibliothek geraten? Woher haben die die Daten? (Zumal Michael Krüger von Hanser beim Appell für Publikationsfreiheit als einer der ersten unterzeichnet hat?) Wo bedient sich G. tatsächlich?
Leider kann ich mich nicht beruhigt zurücklehnen. Denn G. behält sich zukünftig das Recht vor - selbstherrlich in den USA entschieden, ohne die Europäer - mit jenen Büchern in seiner Datenbank nach eigenem Gusto verfahren zu können. Ohne die Autoren zu fragen. Sei etwas nicht rechtens, müsse sich eben der kleine winzige Autor gegen den großen ausländischen Konzern wehren. Solch ein riesiger Präzedenzfall der Umkehrung des Urheberrechts könnte Schule machen! Und welcher Autor kann sich die nötigen internationalen Fachanwälte leisten?
Merke: Nicht mehr ICH, die Urheberin, entscheide, was jemand mit meinen Büchern macht. Es entscheidet nicht einmal mehr unbedingt der Verlag, den ich mir ausgesucht habe, den ich wohlweislich geprüft und für vertrauenswürdig gehalten habe. Niemand durchschaut mehr die Kanäle.
Der Schwindel dahinter
Es kommt noch dicker. Eines meiner Bücher ist bei G. fast komplett sichtbar: Schwarze Madonnen.
Ich bin noch nicht 70 Jahre tot. Diese Ausgabe dieses Buches ist noch nicht vergriffen. Die "eingeschränkte Voransicht" ist ein Witz - man hat lediglich die Seiten mit den Abbildungen herausgenommen. Der Text ist fast komplett, so weit ich das durch schnelles Scrollen übersehen kann. (Überhaupt lassen sich diese "eingeschränkten Voransichten" austricksen.) G. listet dieses Buch also gegen meinen Willen und meine Genehmigung. Ohne dass ich überhaupt davon erfahren habe. (edit: "fast" nachträglich korrigiert - der Satz war natürlich falsch, wenn Seiten fehlen).
Der Hinweis auf den Seiten, es handle sich um urheberrechtlich geschütztes Material, ist ein zynischer Witz. Klickt man rechts auf "Urheberrecht", gelangt man auf den Copyright-Vermerk im Buch. Wobei die Amerikaner wohl nicht begreifen, dass ein amerikanisches Copyright kein europäisches ist und beides zusammen nicht identisch ist mit dem Urheberrecht. Man darf dieses Buch ohne meine ausdrückliche Zustimmung nicht veröffentlichen! Aber dieses Wissen kann man ja nicht verlangen, selbst KollegInnen kapieren das oft nicht.
Wie kann so etwas passieren? Die deutschen Verlage sind ja vielleicht noch der Einhaltung des Urheberrechts hinterher. Aber deutsche Autoren sind ja glücklich, wenn sie auch einmal Lizenzen verkaufen. Verlage in anderen Ländern nehmen es vielleicht nicht so genau. Verlage in anderen Ländern legen ihre Bücher vielleicht tatsächlich in amerikanischen Bibliotheken ab. Und sie informieren nicht unbedingt den Lizenzverkäufer, was sie mit dem Buch anstellen, schon gar nicht den Urheber. Ich weiß nicht, wie es passiert ist. Ich habe weder die Kraft noch die Zeit, noch die finanziellen Mittel, den Schuldigen ausfindig zu machen und mich effektiv zu wehren.
Und die Folgen? Hugendubel, der Verlag, bei dem die Originalfassung erschienen ist, wurde gerade an Random House verkauft. Ich habe, als die deutsche Ausgabe vergriffen war, ziemlich vergeblich versucht, von Hugendubel meine Rechte zurück zu bekommen. G. nimmt sich Rechte mit Fingerschnipp. Egal, ob sie zeitlich begrenzt vergeben worden waren oder auf Lebenszeit (wie in vielen alten Verträgen). G. schreibt keine langen Briefe oder hält Fristen und Formalia ein. Die sind nicht so blöde wie wir Autoren. Im Moment bin ich dabei, meine Rechte von Random House zurück zu holen. Das funktioniert jetzt zwar, aber G. war bei jener Ausgabe schneller.
Da ich noch lebe und mein Buch in der deutschen Fassung (die italienische lief munter weiter) nur nicht mehr zu haben war, weil ein Verlag ständig verkauft wurde und einmal zwischendurch fusionierte (das kann jeden Autor treffen), hätte ich jetzt zwei Möglichkeiten:
1. Ich könnte versuchen, einen neuen Verlag für das Buch zu begeistern.
Geht nicht mehr. Ein Manuskript, das einmal im Internet stand, ist "verbrannt". Wozu soll ein Verlag noch in mich und meine Arbeit investieren, wenn das Ding online verschenkt wird?
2. Ich könnte für meine Fans das Buch selbst als E-Book herausbringen. Und weil ich ja irgendwie vom Schreiben überleben muss, verkaufen - wenn auch billig. Sagen wir, ich würde zwei Euro für das E-Book verlangen, keine große Sache für Leser.
Geht nicht mehr. Warum soll mir ein Leser freiwillig zwei Euro zahlen, wenn er das Buch kostenlos online haben kann?
3. Ich könnte selbst nicht mehr hinter einem vergriffenen Buch stehen. "Schwarze Madonnen" ist meinem heutigen Kenntnisstand nach und einigen neueren Forschungen zufolge in Teilen überholt oder nicht mehr korrekt. Ich würde es in dieser Form heute nicht mehr veröffentlichen, müsste es überarbeiten. Ich selbst stehe absolut nicht hinter der damals trendigen Vermarktung des nicht mehr existenten Verlags, der meinte, man müsse sich dringend an esoterisches Publikum wenden, um die Auflage zu steigern. Ich habe später mit den BBC ernsthaft und mit Hand und Fuß über das Thema gearbeitet und war froh, dass ich mit dem Verlags-Werbeschnulz für die starken, göttinbewegten Frauen nichts mehr zu tun haben musste.
Wie aber wehre ich mich gegen die weltweite Veröffentlichung eines "alten Schinkens", den ich selbst nicht mehr als zeitgemäß und nach neuen Erkenntnissen korrekt ansehen kann? Wie wehre ich mich gegen den Eindruck, ich stünde noch auf dem Boden veralteten Wissens?
Ich will das Recht haben, meine eigenen Werke dem Publikum auch entziehen zu können!
Noch eine Folge: Da ist ein anderes vergriffenes Buch von mir, dessen Rechte ich eben vom Verlag zurück bekam. Tatsächlich hatte ich vor, es wieder "unters Volk" zu bringen. Aber das dauert, weil ich meine Datei erst einmal neu lektorieren und als pdf erfassen muss. Wenn ich als Autor nämlich meine Rechte zurück bekomme, betrifft das nur meinen eigenen Text. Die Aufmachung, der Satz, das Layout - all das verbleibt dem Urheberrecht gemäß beim Verlag! ICH kann nicht einfach mein Buch einscannen und verkaufen - dann bereicherte ich mich an fremder Arbeit, die der Verlag bezahlt hat.
Google dagegen kann das. G. nimmt sich das Recht heraus, das einfach zu dürfen. Wer fragt denn bitte heute beim wilden lustigen Einscannen noch nach Designern und Layoutern? Da nehmen wir doch sogar noch die Cover dazu! Rechte der Fotografen am Bild? Alles Quatsch. Interessiert nicht mehr.
Ich kleiner dummer, auf Gesetze bedachter Autor trete jetzt mit meinem eigenen Werk in einen Wettlauf mit der Zeit. Will ich mein Buch je noch einmal an den Mann oder die Frau bringen, muss ich schneller sein als ein amerikanischer Konzern. Und doch hat diese Eile gar keinen Sinn! Denn wie bitte soll ich, die ich den Inhalt meines Kühlschranks bezahlen muss und nur Schreiben gelernt habe, wie soll ich gegen einen Giganten ankommen, der mein Werk weltweit VERSCHENKT?
Was viele KollegInnen auch nicht bedenken: Ein vergriffenes Buch ist nicht zwangsweise gestorben. So mancher Autor, der seinen Durchbruch erst spät schaffte oder plötzlich einen Preis bekam, wurde auch mit seinen alten, vielleicht schlecht verkauften Werken plötzlich wieder interessant. Unsere großen Literaturpreisträger sind lebendige Beispiele. Bisher hat man solche alten Werke dann wieder aufgelegt.
Warum aber soll ein Verlag ein altes Werk seines Autors neu auflegen, wenn es längst kostenlos im Internet zu haben ist?
Vielleicht wird einigen an diesem praktischen Beispiel verständlich, warum manche Autoren von Enteignung sprechen. Man entzieht uns einen Teil unserer Lebensgrundlage. Und das - viel gewichtiger - ohne uns zu fragen, ohne all die gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten, zu denen selbst wir AutorInnen verpflichtet sind. Und man schafft dadurch einen Präzedenzfall ungeahnter Größe - weltweit.
Die Freiheit
Ich bin stolz darauf, in einem Land (Frankreich) zu leben, das in einer ungeheuren Kraftaktion der Geschichte das Menschenrecht der FREIHEIT erkämpft hat. Seit der Französischen Revolution sind die Freiheit und das Recht auf Selbstbestimmung in Europa zum Allgemeingut geworden.
Ich möchte in keinem Bereich des Lebens rückwärts hinter diese Errungenschaften gehen müssen. So viele Menschen sind für diesen Kampf um die Freiheit gestorben, sind guillotiniert worden. Soll das alles umsonst gewesen sein?
Ich poche auf mein Recht, frei zu entscheiden, was mit meinen Werken passieren soll. Ich will mir das Recht herausnehmen, Verleger oder Veröffentlicher ablehnen zu können.
Wie sich wehren?
Ein Autor allein kann sich nicht effektiv wehren, das ist Augenwischerei. Es ist schon ein Witz, binnen kürzester Frist und nur wenn man des Englischen mächtig ist, zu durchschauen, wie man zu den läppischen paar Kröten kommen kann, die G. einmalig für seine Bereicherung auszahlen will. Aber G. sagt auch offen, dass es mit den Büchern und Werbeeinschaltungen Profit machen will.
Nun sind wir Autoren ja nicht allein. Auch diejenigen, die nicht im Schriftstellerverband sind, haben immerhin die VG Wort. Beide empfehlen, Widerspruch vom Einzelautor habe kein Gewicht. Klingt verständlich, aber wer widerspricht für mich und wo und wie? Die VG Wort wäre normalerweise zuständig für das Einkassieren und das Wahren der Rechte. Kann sie aber nicht so unkompliziert, sagt sie, weil das alles nicht so einfach ist. Man hat diese Online-Entwicklungen in Deutschland irgendwie verschlafen.
Ich kann jetzt nur für mich selbst sprechen: Ich bin kein Jurist. Schon gar kein auf Urheberrecht spezialisierter. Ich verstehe bei den Verlautbarungen der VG Wort nur Bahnhof. Irgendwo habe ich etwas gelesen, was so klingt, als sollte ich ihr jetzt wieder irgendwelche Rechte abtreten. Bringt dann künftig die VG Wort meine vergriffenen Bücher als E-Book heraus und macht damit Profit? Oder habe ich nur alles falsch verstanden? KollegInnen, die ich frage, sind genauso ratlos.
Wir verstehen nur so viel: Wir Autoren kommen in all den Diskussionen kaum vor. Niemand fragt uns. Alle jonglieren mit unseren Werken, verdienen daran, planen irgendetwas. Und wir?
Wenn wir dann mal öffentlich den Finger heben, wirft man uns vor, zu polemisieren oder hoffnungslos rückständig alte Pfründe bewahren zu wollen, nicht mit der Zeit zu gehen.
Wir brauchen die Politiker und eine eindeutige und laute Reaktion, die international gehört wird.
Neue Konzepte in Sicht?
Angenommen, ich würde mit der Zeit gehen. Angenommen, ich wäre der Meinung, Kunst und Kultur sollten künftig als Allgemeingut für umme weltweit im Internet verschenkt werden, weil ohnehin kaum noch einer bezahlen will. Angenommen, ich würde das Märchen glauben, verschenkte Bücher seien eine irre gute Werbung für mich. Angenommen, meine verschenkten Bücher würden tatsächlich von Millionen Menschen gelesen.
Wovon lebe ich? Schreiben ist mein Beruf - ich habe sogar zwei Berufe, in denen ich schreibe. Wie bezahle ich meine Stromrechnungen, mein Brot?
Hand aufs Herz, liebe Internet-User, Leserinnen und Leser: Wären Sie wirklich bereit für neue Wege? Eine Gesellschaft konsumiert Werke kostenfrei und leistet sich Urheber, wie man früher den Dorfschamanen angestellt hat: Man stellte ihm Kost und Logis, schob ihm die Schweinehälften hinüber, sorgte für sein Leben. Wer von Ihnen wäre bereit, eine Kultursteuer zu zahlen oder ein Grundgehalt für Urheber? Was sind Ihnen die Menschen wert, die Kunst und Kultur schaffen, die Bücher schreiben, Filme erfinden, Musik machen, Theaterstücke schreiben etc.?
Wer nach neuen Zeiten schreit, muss den Weg konsequent zu Ende gehen. Jetzt. Sofort. Nicht erst, wenn die Urheber ausgestorben sind und keiner mehr schreiben will, weil einen Schreiben endgültig zum Paria macht und in die Armut treibt.
Sorry, dass das so länglich wurde. Aber der Umgang der Gesellschaft und der Politik (!) mit Kunst und Kultur derzeit bringt mich auf die Palme. Als Journalistin habe ich allein in den letzten zwei Wochen drei bereits etablierte, wunderbare Kulturprojekte erlebt, die ums nackte Überleben kämpfen, weil nicht nur staatliche oder kommunale Unterstützungen ausbleiben, sondern auch private Sponsoren und Mäzene. Ohne die solche übrigens nicht kleinen Projekte nicht überleben können, weil sie den Preis für Eintrittskarten nicht heraufschrauben können. Alle drei Projekte sparen nun an der einzigen Stelle, an der sie sparen können: an den Künstlern. Ein Teufelskreis. Denn das Publikum, das die billigen Eintrittskarten geil findet, ist ja schließlich verwöhnt, will Hochkarätiges "fürs Geld". Drei Projekte in zwei Wochen nur in meinem Sichtumkreis kurz vor dem Aus. Es röcheln weit mehr im Todeskampf.
Spätestens seit den urzeitlichen Nutzern der Höhlen von Lascaux gestehen wir Kunst und Kultur zu, zivilisatorische Errungenschaften zu sein, die den Menschen angeblich vom Tier unterscheiden.
edit: Mein letzter Satz ist überholt, wie eine große Ausstellung über Kunst und Kultur der Eiszeit ab September zeigen wird. Kunst und Kultur sind also mindestens doppelt so alt - rund 30.000 Jahre.
Noch einmal ein praktisches Beispiel, warum viele Urheber in Europa über "kalte Enteignung" sprechen, wenn es um das Vorhaben von Google Books und ähnlichen Strategien geht (im folgenden G. abgekürzt). Über die Theorie lässt sich ja vortrefflich in beide Richtungen polemisieren, schauen wir einmal die Praxis an.
Viele Autoren glauben immer noch, G. erfasse ja nur vergriffene Werke - wie schön und praktisch für die Leserwelt. Und ganz lesen könne man ohnehin nur die von Autoren, deren Urheberrecht längst gesetzlich erloschen sei. Außerdem erfasse G. nur amerikanische Bibliotheken (es ist ja immer noch ein amerikanischer Konzern). Falsch! Die Wahrheit sieht anders aus.
Ich habe spaßhalber dort meinen Namen eingegeben. Auf den ersten Blick sieht das wie eine gute Sache aus, weil ich endlich erfahre, wie viele Autoren meine Texte in ihren Büchern zitiert haben. Das mag das Ego streicheln, bringt aber dann doch nicht so viel.
Ich staune, wie viele meiner Bücher bei G. erfasst sind. Gut, eine Vorschau gibt es zum Glück nicht, noch lebe ich, noch leben die Bücher. Aber kann mir einer verraten, wie Bücher von Hanser oder Parthas in eine amerikanische Bibliothek geraten? Woher haben die die Daten? (Zumal Michael Krüger von Hanser beim Appell für Publikationsfreiheit als einer der ersten unterzeichnet hat?) Wo bedient sich G. tatsächlich?
Leider kann ich mich nicht beruhigt zurücklehnen. Denn G. behält sich zukünftig das Recht vor - selbstherrlich in den USA entschieden, ohne die Europäer - mit jenen Büchern in seiner Datenbank nach eigenem Gusto verfahren zu können. Ohne die Autoren zu fragen. Sei etwas nicht rechtens, müsse sich eben der kleine winzige Autor gegen den großen ausländischen Konzern wehren. Solch ein riesiger Präzedenzfall der Umkehrung des Urheberrechts könnte Schule machen! Und welcher Autor kann sich die nötigen internationalen Fachanwälte leisten?
Merke: Nicht mehr ICH, die Urheberin, entscheide, was jemand mit meinen Büchern macht. Es entscheidet nicht einmal mehr unbedingt der Verlag, den ich mir ausgesucht habe, den ich wohlweislich geprüft und für vertrauenswürdig gehalten habe. Niemand durchschaut mehr die Kanäle.
Der Schwindel dahinter
Es kommt noch dicker. Eines meiner Bücher ist bei G. fast komplett sichtbar: Schwarze Madonnen.
Ich bin noch nicht 70 Jahre tot. Diese Ausgabe dieses Buches ist noch nicht vergriffen. Die "eingeschränkte Voransicht" ist ein Witz - man hat lediglich die Seiten mit den Abbildungen herausgenommen. Der Text ist fast komplett, so weit ich das durch schnelles Scrollen übersehen kann. (Überhaupt lassen sich diese "eingeschränkten Voransichten" austricksen.) G. listet dieses Buch also gegen meinen Willen und meine Genehmigung. Ohne dass ich überhaupt davon erfahren habe. (edit: "fast" nachträglich korrigiert - der Satz war natürlich falsch, wenn Seiten fehlen).
Der Hinweis auf den Seiten, es handle sich um urheberrechtlich geschütztes Material, ist ein zynischer Witz. Klickt man rechts auf "Urheberrecht", gelangt man auf den Copyright-Vermerk im Buch. Wobei die Amerikaner wohl nicht begreifen, dass ein amerikanisches Copyright kein europäisches ist und beides zusammen nicht identisch ist mit dem Urheberrecht. Man darf dieses Buch ohne meine ausdrückliche Zustimmung nicht veröffentlichen! Aber dieses Wissen kann man ja nicht verlangen, selbst KollegInnen kapieren das oft nicht.
Wie kann so etwas passieren? Die deutschen Verlage sind ja vielleicht noch der Einhaltung des Urheberrechts hinterher. Aber deutsche Autoren sind ja glücklich, wenn sie auch einmal Lizenzen verkaufen. Verlage in anderen Ländern nehmen es vielleicht nicht so genau. Verlage in anderen Ländern legen ihre Bücher vielleicht tatsächlich in amerikanischen Bibliotheken ab. Und sie informieren nicht unbedingt den Lizenzverkäufer, was sie mit dem Buch anstellen, schon gar nicht den Urheber. Ich weiß nicht, wie es passiert ist. Ich habe weder die Kraft noch die Zeit, noch die finanziellen Mittel, den Schuldigen ausfindig zu machen und mich effektiv zu wehren.
Und die Folgen? Hugendubel, der Verlag, bei dem die Originalfassung erschienen ist, wurde gerade an Random House verkauft. Ich habe, als die deutsche Ausgabe vergriffen war, ziemlich vergeblich versucht, von Hugendubel meine Rechte zurück zu bekommen. G. nimmt sich Rechte mit Fingerschnipp. Egal, ob sie zeitlich begrenzt vergeben worden waren oder auf Lebenszeit (wie in vielen alten Verträgen). G. schreibt keine langen Briefe oder hält Fristen und Formalia ein. Die sind nicht so blöde wie wir Autoren. Im Moment bin ich dabei, meine Rechte von Random House zurück zu holen. Das funktioniert jetzt zwar, aber G. war bei jener Ausgabe schneller.
Da ich noch lebe und mein Buch in der deutschen Fassung (die italienische lief munter weiter) nur nicht mehr zu haben war, weil ein Verlag ständig verkauft wurde und einmal zwischendurch fusionierte (das kann jeden Autor treffen), hätte ich jetzt zwei Möglichkeiten:
1. Ich könnte versuchen, einen neuen Verlag für das Buch zu begeistern.
Geht nicht mehr. Ein Manuskript, das einmal im Internet stand, ist "verbrannt". Wozu soll ein Verlag noch in mich und meine Arbeit investieren, wenn das Ding online verschenkt wird?
2. Ich könnte für meine Fans das Buch selbst als E-Book herausbringen. Und weil ich ja irgendwie vom Schreiben überleben muss, verkaufen - wenn auch billig. Sagen wir, ich würde zwei Euro für das E-Book verlangen, keine große Sache für Leser.
Geht nicht mehr. Warum soll mir ein Leser freiwillig zwei Euro zahlen, wenn er das Buch kostenlos online haben kann?
3. Ich könnte selbst nicht mehr hinter einem vergriffenen Buch stehen. "Schwarze Madonnen" ist meinem heutigen Kenntnisstand nach und einigen neueren Forschungen zufolge in Teilen überholt oder nicht mehr korrekt. Ich würde es in dieser Form heute nicht mehr veröffentlichen, müsste es überarbeiten. Ich selbst stehe absolut nicht hinter der damals trendigen Vermarktung des nicht mehr existenten Verlags, der meinte, man müsse sich dringend an esoterisches Publikum wenden, um die Auflage zu steigern. Ich habe später mit den BBC ernsthaft und mit Hand und Fuß über das Thema gearbeitet und war froh, dass ich mit dem Verlags-Werbeschnulz für die starken, göttinbewegten Frauen nichts mehr zu tun haben musste.
Wie aber wehre ich mich gegen die weltweite Veröffentlichung eines "alten Schinkens", den ich selbst nicht mehr als zeitgemäß und nach neuen Erkenntnissen korrekt ansehen kann? Wie wehre ich mich gegen den Eindruck, ich stünde noch auf dem Boden veralteten Wissens?
Ich will das Recht haben, meine eigenen Werke dem Publikum auch entziehen zu können!
Noch eine Folge: Da ist ein anderes vergriffenes Buch von mir, dessen Rechte ich eben vom Verlag zurück bekam. Tatsächlich hatte ich vor, es wieder "unters Volk" zu bringen. Aber das dauert, weil ich meine Datei erst einmal neu lektorieren und als pdf erfassen muss. Wenn ich als Autor nämlich meine Rechte zurück bekomme, betrifft das nur meinen eigenen Text. Die Aufmachung, der Satz, das Layout - all das verbleibt dem Urheberrecht gemäß beim Verlag! ICH kann nicht einfach mein Buch einscannen und verkaufen - dann bereicherte ich mich an fremder Arbeit, die der Verlag bezahlt hat.
Google dagegen kann das. G. nimmt sich das Recht heraus, das einfach zu dürfen. Wer fragt denn bitte heute beim wilden lustigen Einscannen noch nach Designern und Layoutern? Da nehmen wir doch sogar noch die Cover dazu! Rechte der Fotografen am Bild? Alles Quatsch. Interessiert nicht mehr.
Ich kleiner dummer, auf Gesetze bedachter Autor trete jetzt mit meinem eigenen Werk in einen Wettlauf mit der Zeit. Will ich mein Buch je noch einmal an den Mann oder die Frau bringen, muss ich schneller sein als ein amerikanischer Konzern. Und doch hat diese Eile gar keinen Sinn! Denn wie bitte soll ich, die ich den Inhalt meines Kühlschranks bezahlen muss und nur Schreiben gelernt habe, wie soll ich gegen einen Giganten ankommen, der mein Werk weltweit VERSCHENKT?
Was viele KollegInnen auch nicht bedenken: Ein vergriffenes Buch ist nicht zwangsweise gestorben. So mancher Autor, der seinen Durchbruch erst spät schaffte oder plötzlich einen Preis bekam, wurde auch mit seinen alten, vielleicht schlecht verkauften Werken plötzlich wieder interessant. Unsere großen Literaturpreisträger sind lebendige Beispiele. Bisher hat man solche alten Werke dann wieder aufgelegt.
Warum aber soll ein Verlag ein altes Werk seines Autors neu auflegen, wenn es längst kostenlos im Internet zu haben ist?
Vielleicht wird einigen an diesem praktischen Beispiel verständlich, warum manche Autoren von Enteignung sprechen. Man entzieht uns einen Teil unserer Lebensgrundlage. Und das - viel gewichtiger - ohne uns zu fragen, ohne all die gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten, zu denen selbst wir AutorInnen verpflichtet sind. Und man schafft dadurch einen Präzedenzfall ungeahnter Größe - weltweit.
Die Freiheit
Ich bin stolz darauf, in einem Land (Frankreich) zu leben, das in einer ungeheuren Kraftaktion der Geschichte das Menschenrecht der FREIHEIT erkämpft hat. Seit der Französischen Revolution sind die Freiheit und das Recht auf Selbstbestimmung in Europa zum Allgemeingut geworden.
Ich möchte in keinem Bereich des Lebens rückwärts hinter diese Errungenschaften gehen müssen. So viele Menschen sind für diesen Kampf um die Freiheit gestorben, sind guillotiniert worden. Soll das alles umsonst gewesen sein?
Ich poche auf mein Recht, frei zu entscheiden, was mit meinen Werken passieren soll. Ich will mir das Recht herausnehmen, Verleger oder Veröffentlicher ablehnen zu können.
Wie sich wehren?
Ein Autor allein kann sich nicht effektiv wehren, das ist Augenwischerei. Es ist schon ein Witz, binnen kürzester Frist und nur wenn man des Englischen mächtig ist, zu durchschauen, wie man zu den läppischen paar Kröten kommen kann, die G. einmalig für seine Bereicherung auszahlen will. Aber G. sagt auch offen, dass es mit den Büchern und Werbeeinschaltungen Profit machen will.
Nun sind wir Autoren ja nicht allein. Auch diejenigen, die nicht im Schriftstellerverband sind, haben immerhin die VG Wort. Beide empfehlen, Widerspruch vom Einzelautor habe kein Gewicht. Klingt verständlich, aber wer widerspricht für mich und wo und wie? Die VG Wort wäre normalerweise zuständig für das Einkassieren und das Wahren der Rechte. Kann sie aber nicht so unkompliziert, sagt sie, weil das alles nicht so einfach ist. Man hat diese Online-Entwicklungen in Deutschland irgendwie verschlafen.
Ich kann jetzt nur für mich selbst sprechen: Ich bin kein Jurist. Schon gar kein auf Urheberrecht spezialisierter. Ich verstehe bei den Verlautbarungen der VG Wort nur Bahnhof. Irgendwo habe ich etwas gelesen, was so klingt, als sollte ich ihr jetzt wieder irgendwelche Rechte abtreten. Bringt dann künftig die VG Wort meine vergriffenen Bücher als E-Book heraus und macht damit Profit? Oder habe ich nur alles falsch verstanden? KollegInnen, die ich frage, sind genauso ratlos.
Wir verstehen nur so viel: Wir Autoren kommen in all den Diskussionen kaum vor. Niemand fragt uns. Alle jonglieren mit unseren Werken, verdienen daran, planen irgendetwas. Und wir?
Wenn wir dann mal öffentlich den Finger heben, wirft man uns vor, zu polemisieren oder hoffnungslos rückständig alte Pfründe bewahren zu wollen, nicht mit der Zeit zu gehen.
Wir brauchen die Politiker und eine eindeutige und laute Reaktion, die international gehört wird.
Neue Konzepte in Sicht?
Angenommen, ich würde mit der Zeit gehen. Angenommen, ich wäre der Meinung, Kunst und Kultur sollten künftig als Allgemeingut für umme weltweit im Internet verschenkt werden, weil ohnehin kaum noch einer bezahlen will. Angenommen, ich würde das Märchen glauben, verschenkte Bücher seien eine irre gute Werbung für mich. Angenommen, meine verschenkten Bücher würden tatsächlich von Millionen Menschen gelesen.
Wovon lebe ich? Schreiben ist mein Beruf - ich habe sogar zwei Berufe, in denen ich schreibe. Wie bezahle ich meine Stromrechnungen, mein Brot?
Hand aufs Herz, liebe Internet-User, Leserinnen und Leser: Wären Sie wirklich bereit für neue Wege? Eine Gesellschaft konsumiert Werke kostenfrei und leistet sich Urheber, wie man früher den Dorfschamanen angestellt hat: Man stellte ihm Kost und Logis, schob ihm die Schweinehälften hinüber, sorgte für sein Leben. Wer von Ihnen wäre bereit, eine Kultursteuer zu zahlen oder ein Grundgehalt für Urheber? Was sind Ihnen die Menschen wert, die Kunst und Kultur schaffen, die Bücher schreiben, Filme erfinden, Musik machen, Theaterstücke schreiben etc.?
Wer nach neuen Zeiten schreit, muss den Weg konsequent zu Ende gehen. Jetzt. Sofort. Nicht erst, wenn die Urheber ausgestorben sind und keiner mehr schreiben will, weil einen Schreiben endgültig zum Paria macht und in die Armut treibt.
Sorry, dass das so länglich wurde. Aber der Umgang der Gesellschaft und der Politik (!) mit Kunst und Kultur derzeit bringt mich auf die Palme. Als Journalistin habe ich allein in den letzten zwei Wochen drei bereits etablierte, wunderbare Kulturprojekte erlebt, die ums nackte Überleben kämpfen, weil nicht nur staatliche oder kommunale Unterstützungen ausbleiben, sondern auch private Sponsoren und Mäzene. Ohne die solche übrigens nicht kleinen Projekte nicht überleben können, weil sie den Preis für Eintrittskarten nicht heraufschrauben können. Alle drei Projekte sparen nun an der einzigen Stelle, an der sie sparen können: an den Künstlern. Ein Teufelskreis. Denn das Publikum, das die billigen Eintrittskarten geil findet, ist ja schließlich verwöhnt, will Hochkarätiges "fürs Geld". Drei Projekte in zwei Wochen nur in meinem Sichtumkreis kurz vor dem Aus. Es röcheln weit mehr im Todeskampf.
Spätestens seit den urzeitlichen Nutzern der Höhlen von Lascaux gestehen wir Kunst und Kultur zu, zivilisatorische Errungenschaften zu sein, die den Menschen angeblich vom Tier unterscheiden.
edit: Mein letzter Satz ist überholt, wie eine große Ausstellung über Kunst und Kultur der Eiszeit ab September zeigen wird. Kunst und Kultur sind also mindestens doppelt so alt - rund 30.000 Jahre.