Nieder mit der Kreativität?
Jedes Jahr, wenn ich die Heizung abschalten kann, beziehe ich wieder mein über den Winter brachliegendes Arbeitszimmer. Das beginnt rituell mit einem Großputz, der auch vor einem gewissen Regal nicht Halt macht. Dem Regal, in dem ich die Unterlagen und Ordner für laufende Projekte, für mein Portefeuille und für Ideensammlungen aufbewahre. Was nicht mehr gebraucht wird, wandert in ein Regal auf dem Speicher. Klar, dass der halbe Meter Ordner fürs Rosenbuch daran glauben musste, es ist ja längst erschienen.
In diesem Jahr ist etwas anders. Bisher konnte ich jenes Regal vollkommen leer räumen, hatte alle angedachten Projekte verkauft, geschrieben, veröffentlicht. Ich musste mich regelrecht anstrengen, regelmäßig den Ordner für angedachte Ideen zu füllen. Im vergangenen Jahr dagegen blieben Projekte, die schon fast schreibfertig recherchiert waren, auf der Strecke. Zwei, weil die betreffenden Verlage irgendwann den Besitzer und das Programm wechselten. Eins, weil man es einer weiblichen Autorin nicht zutraute. Und ein anderes, weil sich keiner der Verlage, die sich erst ach so dringend interessierten, bis heute zu einem Ja oder Nein durchringen konnte ("lassen Sie uns mal noch zuwarten"), so dass die Autorin die Lust verlor. Kann alles passieren, passiert aber immer häufiger. Vor allem letzteres. (Natürlich habe ich auch wieder verkauft, das soll man nicht verschweigen).
Und noch etwas ist neu: Ein Viertelmeter maßgeschneiderter Ware. Als Autor von Sach- und Geschenkbüchern muss man in der Regel vorab verkaufen, weil sehr viele Projekte auf den Verlag zugeschnitten werden, oft sogar im Teamwork gebrieft. Das kann sehr frei geschehen, aber auch bis ans Auftragsarbeiten reichen. Normalerweise erstellt man Exposé und Probetext in etwas allgemeinerer Art, bewirbt sich und wartet ab, dass Verlage absolut ernsthaftes Interesse zeigen - also nicht ein bloßes: "das könnte auch etwas sein, nett gemacht". Sagt Verlag X, er könnte sich das Projekt in der Reihe "Zwiebelschalen" vorstellen, klopft man das Projekt auf Zwiebeln ab und erstellt ein neues Zwiebelschalen-Exposé. Dann wird das Projekt (neuerdings immer häufiger) entweder geklaut und vom billigeren Hausautor geschrieben - oder man bekommt den Vertrag.
Solches Arbeiten macht mir Spaß, weil es eine meiner Spezialitäten ist, ständig neue Themen aus dem Boden zu stampfen oder für bestehende Themen neue Aspekte zu finden. (Und weil ich nach dem letzten Klau gelernt habe, wie man diebischen Verlagen wiedererkennbare Fehlinformationen unterjubelt.)
Aber Kreativität ist heute offensichtlich nicht mehr gefragt. LektorInnen bestellen kein "eigenes" Konzept mehr, weil etwa wie früher die Programmkonferenz schon kurz vor dem Zuschlag steht, oder der Programmchef genau weiß, was ihm fehlt. Seit etwa ein, zwei Jahren, in manchen Verlagen auch schon länger, weiß eigentlich keiner mehr, was fehlt. Oder was man wollen könnte. Oder wofür man sich interessieren dürfte. Wenn jemand heute ein Zwiebelschalen-Exposé verlangt, heißt das nur, dass die betreffenden Lektorinnen Klamotten kaufen sollen, ohne zu wissen, was Farben sind.
Und deshalb sollen wir Autoren ein paar Farbmuster liefern, die sie an die Karte von der Typberatung halten, um dann hilflos zu den Agenten zu sagen: "Meinen Sie nicht auch, dass sich Rot und Gelb irgendwie beißen? Wenn Ihre Autorin ein wenig Blau beimischen könnte ... aber eigentlich mag ich Blau ja persönlich gar nicht und wir sollten vielleicht auch mal Herbsttypen ansprechen, Herbsttypen haben wir vernachlässig ... also ich weiß auch nicht..." Und weil die Verlage nicht mehr wissen, was sie wollen, können sie Autoren auch nicht mehr briefen, geschweige denn Themenpotential entdecken.
Tja, da habe ich sie alle, die Zwiebelschalenprojekte, mit denen ich 2008 locker ein halbes Arbeitsjahr ohne Honorierung vertan habe. Alle, ausnahmslos alle, hätte ich mir - als Buchautorin betrachtet - sparen können. In einem anderen Verlag verkäuflich sind sie nämlich selten, man hat sie ja auf den Gusto einer einzigen Lektorin von Verlag X hin verfasst. Was soll man nachträglich mit einem Leopardendruck aus Polyester, wenn der nächste Verlag auf reinweiße Bioseide steht? Naiv und dumm war ich, zu glauben, solche "Bestellungen" und Sonderwünsche seien heutzutage auch nur im mindesten ernst gemeint. Übrigens alles Projekte, mit denen es immer schnell schnell gehen musste, die Autorin sozusagen rund um die Uhr verfügbar!
Schluss mit dumm. Wenn ich einem PR-Kunden ein Konzept auf Bestellung erstelle, ist das bei Auftrag natürlich im Preis drin. Springt der Kunde dagegen ab (weil er z.B. nur das Konzept absahnen möchte oder einfach nur entscheidungsunfähig ist), zahlt er das ordentliche Honorar für diese Arbeit. Das ist in "normalen" Berufen so üblich - und für Sonntags- und Nachtarbeit werden Zuschläge fällig. Wie wunderbar hätte ich mir mein Leben finanzieren können, wenn ich nicht auf Abruf ständig für umme gearbeitet hätte! Wie viele Menschen Kreativität noch zu schätzen wissen, sehe ich nämlich in der freien Wirtschaft. Es hat mich schockiert, dass ich im vergangenen Jahr einen Viertelmeter lang Lotto gespielt habe, wie der dämliche Esel, dem man die Veröffentlichungs-Möhre an der Angel vor die Nase hängt, damit er losrennt.
Mir passiert das nicht noch einmal. Vorleistungen kann ich mir finanziell nicht mehr leisten. Ich lasse gern mit mir reden und entwickle nur allzu gern Themen im Teamwork. Aber nie wieder schreibe ich auf Verdacht für Unentschlossene. Für umme schreiben werde ich jetzt allenfalls für mich selbst. Längst denke ich - auch mit Kollegen und Verlagsmenschen - über neue Formen nach. Und meinen Viertelmeter habe ich nur umgeräumt. Den verkaufe ich jetzt anders und anderswo. Mein Auftritt als Gina Grumbier ist aus zwei Zwiebelschalenprojekten gewachsen. Eine andere Idee wird in ein deutsch-französisches Kulturprojekt einfließen, u.a. auch in ein Buch, für das der Auftraggeber den Verlag wählt. Wir werden dadurch bestimmen, wie das Buch auszusehen hat. In Frankreich Usus. Und noch so eine Zwiebelschale ist in die PR-Arbeit für einen Kunstveranstalter eingeflossen.
Was hat mich der Großputz gelehrt? Es lohnt sich wieder, Kreatives und neue Ideen nicht unbedingt an Verlage zu verkaufen... Ich möchte sogar so radikal sein zu behaupten, dass das herkömmliche Buch längst nicht mehr das einzige Medium ist, dem Publikum zu bieten, was es sucht. Irgendwann könnte das Buch in gewissen (!) Sparten (auch dank der Entwertung der Autorenarbeit) zum Giveaway werden - für eine kreative Leistung auf völlig anderer Ebene. Absolut spannend, da mal weiterzudenken!
(Hinweis an KollegInnen: Das "Zwiebelschalenschreiben" betrifft hauptsächlich den Sektor der Geschenkbücher oder eher populärer Sachbücher. Es ist nicht zu verallgemeinern. "Sachbücher" sind ein sehr weites Feld, mit sehr unterschiedlichen Märkten.)
In diesem Jahr ist etwas anders. Bisher konnte ich jenes Regal vollkommen leer räumen, hatte alle angedachten Projekte verkauft, geschrieben, veröffentlicht. Ich musste mich regelrecht anstrengen, regelmäßig den Ordner für angedachte Ideen zu füllen. Im vergangenen Jahr dagegen blieben Projekte, die schon fast schreibfertig recherchiert waren, auf der Strecke. Zwei, weil die betreffenden Verlage irgendwann den Besitzer und das Programm wechselten. Eins, weil man es einer weiblichen Autorin nicht zutraute. Und ein anderes, weil sich keiner der Verlage, die sich erst ach so dringend interessierten, bis heute zu einem Ja oder Nein durchringen konnte ("lassen Sie uns mal noch zuwarten"), so dass die Autorin die Lust verlor. Kann alles passieren, passiert aber immer häufiger. Vor allem letzteres. (Natürlich habe ich auch wieder verkauft, das soll man nicht verschweigen).
Und noch etwas ist neu: Ein Viertelmeter maßgeschneiderter Ware. Als Autor von Sach- und Geschenkbüchern muss man in der Regel vorab verkaufen, weil sehr viele Projekte auf den Verlag zugeschnitten werden, oft sogar im Teamwork gebrieft. Das kann sehr frei geschehen, aber auch bis ans Auftragsarbeiten reichen. Normalerweise erstellt man Exposé und Probetext in etwas allgemeinerer Art, bewirbt sich und wartet ab, dass Verlage absolut ernsthaftes Interesse zeigen - also nicht ein bloßes: "das könnte auch etwas sein, nett gemacht". Sagt Verlag X, er könnte sich das Projekt in der Reihe "Zwiebelschalen" vorstellen, klopft man das Projekt auf Zwiebeln ab und erstellt ein neues Zwiebelschalen-Exposé. Dann wird das Projekt (neuerdings immer häufiger) entweder geklaut und vom billigeren Hausautor geschrieben - oder man bekommt den Vertrag.
Solches Arbeiten macht mir Spaß, weil es eine meiner Spezialitäten ist, ständig neue Themen aus dem Boden zu stampfen oder für bestehende Themen neue Aspekte zu finden. (Und weil ich nach dem letzten Klau gelernt habe, wie man diebischen Verlagen wiedererkennbare Fehlinformationen unterjubelt.)
Aber Kreativität ist heute offensichtlich nicht mehr gefragt. LektorInnen bestellen kein "eigenes" Konzept mehr, weil etwa wie früher die Programmkonferenz schon kurz vor dem Zuschlag steht, oder der Programmchef genau weiß, was ihm fehlt. Seit etwa ein, zwei Jahren, in manchen Verlagen auch schon länger, weiß eigentlich keiner mehr, was fehlt. Oder was man wollen könnte. Oder wofür man sich interessieren dürfte. Wenn jemand heute ein Zwiebelschalen-Exposé verlangt, heißt das nur, dass die betreffenden Lektorinnen Klamotten kaufen sollen, ohne zu wissen, was Farben sind.
Und deshalb sollen wir Autoren ein paar Farbmuster liefern, die sie an die Karte von der Typberatung halten, um dann hilflos zu den Agenten zu sagen: "Meinen Sie nicht auch, dass sich Rot und Gelb irgendwie beißen? Wenn Ihre Autorin ein wenig Blau beimischen könnte ... aber eigentlich mag ich Blau ja persönlich gar nicht und wir sollten vielleicht auch mal Herbsttypen ansprechen, Herbsttypen haben wir vernachlässig ... also ich weiß auch nicht..." Und weil die Verlage nicht mehr wissen, was sie wollen, können sie Autoren auch nicht mehr briefen, geschweige denn Themenpotential entdecken.
Tja, da habe ich sie alle, die Zwiebelschalenprojekte, mit denen ich 2008 locker ein halbes Arbeitsjahr ohne Honorierung vertan habe. Alle, ausnahmslos alle, hätte ich mir - als Buchautorin betrachtet - sparen können. In einem anderen Verlag verkäuflich sind sie nämlich selten, man hat sie ja auf den Gusto einer einzigen Lektorin von Verlag X hin verfasst. Was soll man nachträglich mit einem Leopardendruck aus Polyester, wenn der nächste Verlag auf reinweiße Bioseide steht? Naiv und dumm war ich, zu glauben, solche "Bestellungen" und Sonderwünsche seien heutzutage auch nur im mindesten ernst gemeint. Übrigens alles Projekte, mit denen es immer schnell schnell gehen musste, die Autorin sozusagen rund um die Uhr verfügbar!
Schluss mit dumm. Wenn ich einem PR-Kunden ein Konzept auf Bestellung erstelle, ist das bei Auftrag natürlich im Preis drin. Springt der Kunde dagegen ab (weil er z.B. nur das Konzept absahnen möchte oder einfach nur entscheidungsunfähig ist), zahlt er das ordentliche Honorar für diese Arbeit. Das ist in "normalen" Berufen so üblich - und für Sonntags- und Nachtarbeit werden Zuschläge fällig. Wie wunderbar hätte ich mir mein Leben finanzieren können, wenn ich nicht auf Abruf ständig für umme gearbeitet hätte! Wie viele Menschen Kreativität noch zu schätzen wissen, sehe ich nämlich in der freien Wirtschaft. Es hat mich schockiert, dass ich im vergangenen Jahr einen Viertelmeter lang Lotto gespielt habe, wie der dämliche Esel, dem man die Veröffentlichungs-Möhre an der Angel vor die Nase hängt, damit er losrennt.
Mir passiert das nicht noch einmal. Vorleistungen kann ich mir finanziell nicht mehr leisten. Ich lasse gern mit mir reden und entwickle nur allzu gern Themen im Teamwork. Aber nie wieder schreibe ich auf Verdacht für Unentschlossene. Für umme schreiben werde ich jetzt allenfalls für mich selbst. Längst denke ich - auch mit Kollegen und Verlagsmenschen - über neue Formen nach. Und meinen Viertelmeter habe ich nur umgeräumt. Den verkaufe ich jetzt anders und anderswo. Mein Auftritt als Gina Grumbier ist aus zwei Zwiebelschalenprojekten gewachsen. Eine andere Idee wird in ein deutsch-französisches Kulturprojekt einfließen, u.a. auch in ein Buch, für das der Auftraggeber den Verlag wählt. Wir werden dadurch bestimmen, wie das Buch auszusehen hat. In Frankreich Usus. Und noch so eine Zwiebelschale ist in die PR-Arbeit für einen Kunstveranstalter eingeflossen.
Was hat mich der Großputz gelehrt? Es lohnt sich wieder, Kreatives und neue Ideen nicht unbedingt an Verlage zu verkaufen... Ich möchte sogar so radikal sein zu behaupten, dass das herkömmliche Buch längst nicht mehr das einzige Medium ist, dem Publikum zu bieten, was es sucht. Irgendwann könnte das Buch in gewissen (!) Sparten (auch dank der Entwertung der Autorenarbeit) zum Giveaway werden - für eine kreative Leistung auf völlig anderer Ebene. Absolut spannend, da mal weiterzudenken!
(Hinweis an KollegInnen: Das "Zwiebelschalenschreiben" betrifft hauptsächlich den Sektor der Geschenkbücher oder eher populärer Sachbücher. Es ist nicht zu verallgemeinern. "Sachbücher" sind ein sehr weites Feld, mit sehr unterschiedlichen Märkten.)
Keine Kommentare:
Deine Sicherheit:
Mit restriktiven Browsereinstellungen kannst du nur als "Anonym" und mit "Namen / URL" kommentieren. Möchtest du dein Google-Profil verwenden, musst du aktiv im Browser unter "Cookies von Drittanbietern" diejenigen zulassen, die nicht zur Aktivitätenverfolgung benutzt werden. Nur so kann das System dein Profil nach Einloggen erkennen.
Mit der Nutzung dieses Formulars erkläre ich mich mit der Speicherung und Verarbeitung meiner Daten durch Google einverstanden (Infos Datenschutz oben im Menu).
(Du kannst selbstverständlich anonym kommentieren, dann aber aus technischen Gründen kein Kommentarabo per Mail bekommen!)
Spam und gegen die Netiquette verstoßende Beiträge werden nicht freigeschaltet.
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.