Erste Liebe
Mir ist so weh ums Herz. Schreibteufelchen denkt gerade gemeinsam mit einem anderen Blog darüber nach, was aus den Romanfiguren wird, wenn man sie in die Welt entlassen hat. Ich dachte, darauf hätte ich eine einfache Antwort. Doch dem ist nicht so. Ich habe das Gefühl, als sei ich inzwischen auf einen anderen Planeten emigriert. Karen aus dem ersten Roman ist wie eine alte Schulfreundin, mit der man einmal viel geteilt hat. Man verlor sich aus den Augen und ist zu faul geworden, die Uraltbekanntschaft wieder aufzufrischen. Zu viel Handwerk, zu viel auch Verlagswünsche in meinem Kopf, als dass die Leute aus meinen beiden ersten Romanen meine ganz speziellen Lebensfreunde geworden wären. Irgendwie habe ich sie ziehen lassen und den LeserInnen geschenkt. Diejenigen, die ich wirklich liebte, durften im Frauenroman nicht so richtig, wie sie gewollt hätten... Hätte mir das ein Zeichen sein sollen?
Und dann gibt es Figuren, die nicht tot zu bekommen sind, wahre Wandler an Gestalt und Geschlecht. Keine von ihnen ist je veröffentlicht worden. Eine durfte damals nicht. Dann konnte sie nicht, weil die Romanidee von der Aktualität überholt wurde. Irgendwann wollte sie nicht, weil die Rolle ihr zu konventionell erschien. Und jetzt lebt sie sich bis zum Äußersten in meinem "Polenroman" aus. Irgendwie ist sie immer noch diesselbe, nur das Geschlecht hat sie gewechselt. Ich fürchte, ich habe noch keine Erfahrung damit, was aus meinen Figuren nachträglich wird!
Aber etwas anderes fiel mir ein, meine erste große Liebe. Ich war neun, er war knapp achtzehn, Ägypter. Bildschön, wunderbar. Aber wir konnten zueinander nicht kommen, denn Tut-ank-amon (so hieß der Knabe), war leider eine Mumie. Davon ließ ich mich natürlich nicht abhalten. Ich träumte davon, wie ich ihn auswickelte und durch einen Zauberspruch belebte, Boris Karloff lässt grüßen. Und da saß ich jeden Tag in Gedanken stundenlang in seinem Grab und quasselte mit ihm, auf Kinder-Esperanto natürlich. Irre, was mir Tuti alles erzählte! Was der erlebte! Und ich fand, das müsse man alles irgendwie festhalten können, jede einzelne Geschichte. Ich Depperl schrieb aber nichts davon auf, aus Geheimhaltungsgründen. Die Erwachsenen sollten nämlich nicht erfahren, dass wir uns unterhalten konnten. Sonst hätten sie mich womöglich zum Arzt geschleppt.
Da war ich nämlich vorbelastet. Ich war noch nicht in der Schule, da lauschte ich allem und jedem Geschichten ab. Ganz besonders gefiel mir, was Blumen und Schmetterlinge erzählten. Warum schreibt das keiner auf, fragte ich mich? Kam die intelligente Antwort, dass Blumen und Schmetterlinge keine Geschichten erzählen können. So blieb die ganze Arbeit an mir hängen. Ich erfand eine Schrift, um endlich schreiben zu können und schrieb. In allen Farben. Ich sollte brav Bilder malen, aber ich schrieb. Wieso sollte ich Schmetterlinge malen? Die konnte man doch fotografieren! Aber keiner sammlte, was der Schmetterling erzählte. Das war so viel wichtiger.
Und das hat mir dann einen hochnotpeinlichen Arztbesuch eingebracht, weil irgendetwas in meinem Kopf vielleicht nicht richtig sein könnte. Ich liebe diesen Arzt heute noch! Der verschrieb mir nämlich Tapetenrollen und Schreiben in Geheimschrift ohne Beschränkung. Und so musste es meine Mutter ertragen, dass ich meterweise Schriftrollen anfertigte, die natürlich nur ich lesen konnte. Die Erwachsenen waren dazu zu doof. Dass ich "Tuti" später nicht auf Papyrusrollen bannte, lag wahrscheinlich an einer Art inneren Emigration. Keiner sollte von uns wissen. Mir war nämlich elend weh ums Herz. Ich hätte ihn gern wirklich besucht - in seiner Zeit, als er noch lebendig war. Ich wünschte mir sehnlichst eine Zeitmaschine und fand es entsetzlich, dass ich ausgerechnet im langweiligen 20. Jahrhundert geboren war. Hätte ich doch nur die Zeit irgendwie überbrücken können!
Ich glaube, dieser Wunsch hat mein Studium, meinen Beruf und das Bücherschreiben immer begleitet. Schreiben ist meine Zeitmaschine geworden. Ich versetze mich in andere Menschen, erfundene und echte - und überwinde Raum und Zeit. Und endlich habe ich auch im Gegensatz zu meiner Kinderzeit die Möglichkeit, dass diejenigen, die das lesen, mich nicht besorgt zum Arzt schleppen, sondern selbst reisen...
Tja. Und da stehe ich nun mit meinem Dingens, der ja wirklich gelebt hat und in dessen Leben ich mich entsprechend mit real existentem Material einfühlen kann. Allein die Tatsache, dass es einige Fotos von ihm gibt, ist gigantisch - ich bin schlimmer als ein Groupie, kenne jeden Zentimeter, jede Falte, jedes Haar von ihm. Sehe ihn sogar in Bewegung vor mir, ganz ohne Film. Ich habe beim Recherchieren und Mich-Nähern geheult und gelacht, hatte sogar fast Mordabsichten gegen jemanden aus seinem Leben. Ein Leben, das fasziniert und schmerzt zugleich. Und ich frage mich oft, was es ist, dass man in jedem Moment tausend Entscheidungsmöglichkeiten hat - und dann nimmt etwas seinen Lauf. Diesen Lauf und keinen anderen. Was, wenn man sich anders entschieden hätte?
Und da ist dieses Weh aus Kinderzeiten wieder. Ich hätte gern eine echte Zeitmaschine. Ich empfinde die späte Geburt nicht unbedingt als Gnade. Ich wäre so gern wenigstens für einen Tag in dieser faszinierenden Zeit dabei. Was hätte ich für tolle Leute kennenlernen können! Mein Verstand sagt mir, dass das nicht so witzig wäre wie in Hollywoodfilmen mit Zeitmaschine. Wahrscheinlich käme man als bitterarmes Dienstmädchen am anderen Ende heraus und würde im Krieg umkommen, ohne je eine von den Figuren gesehen zu haben. So bin ich verdammt zum Weiterschreiben. Meine einzige Möglichkeit, irgendwie "dabei" zu sein. Ein winziges Vorspiegeln einer Innigkeit über Zeit und Raum hinweg, immer im Gewahrsein der Selbsttäuschung - denn ich projiziere ja meine Sicht, meine Recherchen, meine Kultur und Zeit...
Wie wird das sein, wenn ich ihn gehen lasse? Ich weiß es jetzt schon. Andere kennen ihn ja auch. Jeder kennt einen anderen. Dingens hat sich nach seinem Tod in viele Figuren geteilt. Und jede dieser Figuren spiegelt eine andere Zeit, eine andere Kultur, einen anderen "Erträumer" einer Geschichte. Selbst die Forscher, Fachleute und Gelehrten sind nicht besser dran als unsereins. Sie geben sich zwar alle Mühe, hirnschwer und vernünftig aufzutreten, aber auch sie machen sich Bilder, verraten mehr über sich als über ihn. Meinen Dingens wird mir keiner nehmen können.
Manchmal spürt man in dieser Figurenfülle hinter einem wahren Leben einen Zauber. Da ist irgendwo auf der Welt jemand anders, der sich mit Dingens beschäftigt. Und wenn ich dann auf die mir am schrägsten erscheinenden Schlussfolgerungen komme und vielleicht eine kühne Idee entwickle, entdecke ich, dass dieser andere etwas geschaffen hat, das ähnlich atmet ... Man glaubt, einem Dialog über die Zeiten zu lauschen. Manchmal, da gibt es Augenblicke, wo man das Gefühl hat, etwas Wirkliches zu ahnen - von dieser Figur, dieser Zeit. Ob man es festhalten kann? Weitergeben? Lebendig machen? Das ist wohl die Kunst ... die Kunst der Mumien- und Leichenfledderer, die sich Schriftsteller nennen...
Und dann gibt es Figuren, die nicht tot zu bekommen sind, wahre Wandler an Gestalt und Geschlecht. Keine von ihnen ist je veröffentlicht worden. Eine durfte damals nicht. Dann konnte sie nicht, weil die Romanidee von der Aktualität überholt wurde. Irgendwann wollte sie nicht, weil die Rolle ihr zu konventionell erschien. Und jetzt lebt sie sich bis zum Äußersten in meinem "Polenroman" aus. Irgendwie ist sie immer noch diesselbe, nur das Geschlecht hat sie gewechselt. Ich fürchte, ich habe noch keine Erfahrung damit, was aus meinen Figuren nachträglich wird!
Aber etwas anderes fiel mir ein, meine erste große Liebe. Ich war neun, er war knapp achtzehn, Ägypter. Bildschön, wunderbar. Aber wir konnten zueinander nicht kommen, denn Tut-ank-amon (so hieß der Knabe), war leider eine Mumie. Davon ließ ich mich natürlich nicht abhalten. Ich träumte davon, wie ich ihn auswickelte und durch einen Zauberspruch belebte, Boris Karloff lässt grüßen. Und da saß ich jeden Tag in Gedanken stundenlang in seinem Grab und quasselte mit ihm, auf Kinder-Esperanto natürlich. Irre, was mir Tuti alles erzählte! Was der erlebte! Und ich fand, das müsse man alles irgendwie festhalten können, jede einzelne Geschichte. Ich Depperl schrieb aber nichts davon auf, aus Geheimhaltungsgründen. Die Erwachsenen sollten nämlich nicht erfahren, dass wir uns unterhalten konnten. Sonst hätten sie mich womöglich zum Arzt geschleppt.
Da war ich nämlich vorbelastet. Ich war noch nicht in der Schule, da lauschte ich allem und jedem Geschichten ab. Ganz besonders gefiel mir, was Blumen und Schmetterlinge erzählten. Warum schreibt das keiner auf, fragte ich mich? Kam die intelligente Antwort, dass Blumen und Schmetterlinge keine Geschichten erzählen können. So blieb die ganze Arbeit an mir hängen. Ich erfand eine Schrift, um endlich schreiben zu können und schrieb. In allen Farben. Ich sollte brav Bilder malen, aber ich schrieb. Wieso sollte ich Schmetterlinge malen? Die konnte man doch fotografieren! Aber keiner sammlte, was der Schmetterling erzählte. Das war so viel wichtiger.
Und das hat mir dann einen hochnotpeinlichen Arztbesuch eingebracht, weil irgendetwas in meinem Kopf vielleicht nicht richtig sein könnte. Ich liebe diesen Arzt heute noch! Der verschrieb mir nämlich Tapetenrollen und Schreiben in Geheimschrift ohne Beschränkung. Und so musste es meine Mutter ertragen, dass ich meterweise Schriftrollen anfertigte, die natürlich nur ich lesen konnte. Die Erwachsenen waren dazu zu doof. Dass ich "Tuti" später nicht auf Papyrusrollen bannte, lag wahrscheinlich an einer Art inneren Emigration. Keiner sollte von uns wissen. Mir war nämlich elend weh ums Herz. Ich hätte ihn gern wirklich besucht - in seiner Zeit, als er noch lebendig war. Ich wünschte mir sehnlichst eine Zeitmaschine und fand es entsetzlich, dass ich ausgerechnet im langweiligen 20. Jahrhundert geboren war. Hätte ich doch nur die Zeit irgendwie überbrücken können!
Ich glaube, dieser Wunsch hat mein Studium, meinen Beruf und das Bücherschreiben immer begleitet. Schreiben ist meine Zeitmaschine geworden. Ich versetze mich in andere Menschen, erfundene und echte - und überwinde Raum und Zeit. Und endlich habe ich auch im Gegensatz zu meiner Kinderzeit die Möglichkeit, dass diejenigen, die das lesen, mich nicht besorgt zum Arzt schleppen, sondern selbst reisen...
Tja. Und da stehe ich nun mit meinem Dingens, der ja wirklich gelebt hat und in dessen Leben ich mich entsprechend mit real existentem Material einfühlen kann. Allein die Tatsache, dass es einige Fotos von ihm gibt, ist gigantisch - ich bin schlimmer als ein Groupie, kenne jeden Zentimeter, jede Falte, jedes Haar von ihm. Sehe ihn sogar in Bewegung vor mir, ganz ohne Film. Ich habe beim Recherchieren und Mich-Nähern geheult und gelacht, hatte sogar fast Mordabsichten gegen jemanden aus seinem Leben. Ein Leben, das fasziniert und schmerzt zugleich. Und ich frage mich oft, was es ist, dass man in jedem Moment tausend Entscheidungsmöglichkeiten hat - und dann nimmt etwas seinen Lauf. Diesen Lauf und keinen anderen. Was, wenn man sich anders entschieden hätte?
Und da ist dieses Weh aus Kinderzeiten wieder. Ich hätte gern eine echte Zeitmaschine. Ich empfinde die späte Geburt nicht unbedingt als Gnade. Ich wäre so gern wenigstens für einen Tag in dieser faszinierenden Zeit dabei. Was hätte ich für tolle Leute kennenlernen können! Mein Verstand sagt mir, dass das nicht so witzig wäre wie in Hollywoodfilmen mit Zeitmaschine. Wahrscheinlich käme man als bitterarmes Dienstmädchen am anderen Ende heraus und würde im Krieg umkommen, ohne je eine von den Figuren gesehen zu haben. So bin ich verdammt zum Weiterschreiben. Meine einzige Möglichkeit, irgendwie "dabei" zu sein. Ein winziges Vorspiegeln einer Innigkeit über Zeit und Raum hinweg, immer im Gewahrsein der Selbsttäuschung - denn ich projiziere ja meine Sicht, meine Recherchen, meine Kultur und Zeit...
Wie wird das sein, wenn ich ihn gehen lasse? Ich weiß es jetzt schon. Andere kennen ihn ja auch. Jeder kennt einen anderen. Dingens hat sich nach seinem Tod in viele Figuren geteilt. Und jede dieser Figuren spiegelt eine andere Zeit, eine andere Kultur, einen anderen "Erträumer" einer Geschichte. Selbst die Forscher, Fachleute und Gelehrten sind nicht besser dran als unsereins. Sie geben sich zwar alle Mühe, hirnschwer und vernünftig aufzutreten, aber auch sie machen sich Bilder, verraten mehr über sich als über ihn. Meinen Dingens wird mir keiner nehmen können.
Manchmal spürt man in dieser Figurenfülle hinter einem wahren Leben einen Zauber. Da ist irgendwo auf der Welt jemand anders, der sich mit Dingens beschäftigt. Und wenn ich dann auf die mir am schrägsten erscheinenden Schlussfolgerungen komme und vielleicht eine kühne Idee entwickle, entdecke ich, dass dieser andere etwas geschaffen hat, das ähnlich atmet ... Man glaubt, einem Dialog über die Zeiten zu lauschen. Manchmal, da gibt es Augenblicke, wo man das Gefühl hat, etwas Wirkliches zu ahnen - von dieser Figur, dieser Zeit. Ob man es festhalten kann? Weitergeben? Lebendig machen? Das ist wohl die Kunst ... die Kunst der Mumien- und Leichenfledderer, die sich Schriftsteller nennen...
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