Das andere Elsass

Irgendeine große Zeitschrift hat einmal mein Elsassbuch (Hörbuch) gelobhudelt und mich für eine Elsässerin gehalten, weil ich so wahr über Land und Leute schreiben würde. Ich bin beim Lesen heftig rot geworden. Nicht wegen der Lobhudelei, sondern weil ich mich - abgesehen von der falschen Nationalitätenvermutung der Redaktion - fast als Lügnerin fühlte: Ich hatte zwar ein Elsass beschrieben, dass nicht erfunden ist, aber nur eines von vielen. Ein Elsass, wie es Menschen entgegenkommt, die reisen wollen, die gern genießen, die den Baedeker bereits besitzen, die Rezepte nachkochen wollen und sich auch für Kultur und Geschichte interessieren. Es ist ein Elsass, das ich selbst erlebe - wenn ich mit eben jenem Fokus ans Land gehe.

Es gibt jedoch vor allem im Alltagsleben noch ganz andere Elsassbilder. Die sich in Reisebüchern nicht ganz so gut machen und die Außenstehende oft gar nicht interessieren würden. Es gibt z.B. das Elsass der Betonköpfe, wo jeder Integrationsversuch, jede Neuerung auf harsche Ablehnung stößt. Das kann zuweilen dann solche Schildbürgerausmaße annehmen, dass z.B. in einem Grenzdorf gegen 500 Meter Straße entschieden wurde, die endlich eine direkte Anbindung an die Pfalz gewährleisten würde. Gegner der Straße sind aber nicht etwa die Alteingesessenen, sondern die neu zugezogenen Städter mit Landhaus und die Deutschen ... die fleißig weiter durch den Wald brettern, zum deutschen Arzt, in den deutschen Supermarkt. Aber "Fremde" anlocken mit einer Straße, um Himmels willen nein!

Das Elsass ist manchmal ein Platz für unglaubliche Rückständigkeit, wo Bürgermeister noch die Aufmacher über ihre Politik selbst an die Presse liefern und Journalisten jeden noch so winzigen Fragenkatalog bei einem Besuch abarbeiten müssen - Telefone scheinen ein Medium zu sein, dass nur von Callcentern und Telefonwerbern benutzt wird. Aber vielleicht auch daher die Abneigung, es zu benutzen - vom professionellen Gebrauch von Mails und Onlinemedien ganz zu schweigen.

Das Elsass ist viele Länder - und jeden Tag kann man ein anderes Land entdecken. Wunderschön hat das Daniel Littel von der University of Michigan beschrieben. In seinem lesenswerten Blog Understanding Society gibt er eine Beschreibung des Landes, wie man sie in Reiseführern nicht findet und wie sie viele Kommunalpolitiker nicht sehen mögen. "Was ist das Elsass?" fragt er (auf Englisch). Und ich habe bei jeder seiner Fragen heftig nicken müssen, ja, das ist es, was ich täglich er-lebe. Wer das Elsass zum ersten Mal besucht, wird vielleicht von Klischees und Vorurteilen geleitet ankommen - und wird auf eine Tourismusindustrie treffen, die diese Klischees oft bis zum Erbrechen der Einwohner (manchmal auch der Touristen) ausschlachtet. Aber wie weit wird er hinter die Fassaden blicken können und dürfen?

Vor allem Littels Gedanke, solche Fragen zu einer "small world" in Zusammenhang mit der Globalisierung zu stellen, finde ich spannend. Ich erlebe ja derzeit hautnah, welchen Fingerspitzengefühls und interkulturellen Denkens es bedarf, Nachbarländer bei einem Projekt zu vereinen. Deutsch-französische Freundschaft, Kenntnisse vom Nachbarn und kultureller Austausch werden immer für selbstverständlich genommen. Aber auch bei unserem Theaterprojekt stelle ich immer wieder fest: Wir wissen immer weniger voneinander. Der Austausch beim Einkaufen und Essengehen ist grandios, aber geht er tiefer? Und nun ist ausgerechnet der Wald, in dem ich lebe, partnerschaftlich mit dem Wald verbandelt, in dem ich vier Jahre lang aus Warschau floh. Polen, Elsass, Baden, Pfalz, geht das? Wenn man genauer hinschaut, haben diese Regionen nicht nur das Sauerkraut gemeinsam. Aber dazu muss man mehr sehen als Reiseführergeschichtchen. Und damit leben können, dass die Gemeinsamkeiten oft gar nicht betrachtet werden wollen; aus Angst, Abgrenzungen und damit womöglich die eigene Identität verlieren zu können - obwohl man gar nicht so recht weiß, was das sein soll, "Identität".

Und manchmal entdeckt man Dinge sogar schneller im Internet als im Leben. Eine auch recht bikulturelle Freundin fragt mich immer, wieso ich so oft im Netz hinge (sie hat keinen Computer). Und dann klagt sie, dass man einfach so selten über die richtig guten Sachen falle. So hätte ich z.B. sicherlich noch Jahre nach Strasbourg fahren können, ohne zu wissen, was Michaela Preiner dort macht: etwa die Online-Zeitschrift European Cultural News. Hinter dem englischen Titel hätte ich allerdings auch nicht unbedingt eine deutsch-französischsprachige Kulturzeitung für Strasbourg vermutet. Der Blick hinein wird mir jetzt aber zur Gewohnheit werden. Im Gegensatz zu den üblichen nicht funktionierenden, schlecht übersetzten oder grausam zu navigierenden "offiziellen" Seiten kann ich mich hier im professionell gestalteten Layout nicht nur über Kunst und Kultur und Veranstaltungen informieren.

Was ich an dieser Online-Zeitschrift  fein finde, ist die subjektive, aber fachlich kompetente Sicht. Denn das ist genau das, was im Elsass mit einer einzigen Zeitung fehlt: die Meinungsvielfalt, der Mut, auch einmal gegen ein Renommierprojekt aufzubegehren, das nur den Machern zu gefallen scheint, aber trotzdem nur gelobt wird. Und ich erfahre auf kurzweilige Art vor allem bei den Künstlern und Ausstellungen auch Hintergründe, die ich mir sonst mühsam aus Ausstellungskatalogen suchen müsste. So wächst die Lust auf eine Ausstellung von selbst.

Und keine Frage, mit ihrem Artikel "Einkaufen als Kunst" rennt sie bei mir natürlich alle offenen Genießertüren ein und ich beneide sie um ihre städtischen Einkaufsmöglichkeiten. Ich habe ja selbst in meinem Blog schon oft genug über französische Supermärkte und die convenience-food-Kultur gewettert- und kaufe jetzt wie viele Elsässer auch, frisch vom pfälzischen Bauern. Und dass Essen und Kunst sehr viel miteinander zu tun haben, lernt man als Schriftstellerin, die mit den richtigen Zutaten ein Buch kochen muss, ja auch schnell. Obgleich mir mehrfach ein Projekt zum Thema von deutschen Verlagen abgelehnt wurde, mit den sinngemäßen Worten: "Essen und Kochen ja, aber Sie sind kein Promikoch. Aber auch noch Kunst? Das will kein Schwein."*** Ich habe dann aus Trotz mein Programm "Genuss im Gepäck" geschrieben, mit dem ich eine sehr erfolgreiche Premiere im Badischen hatte (Hochliteratur und Essen, wie schrecklich!). Im Elsass hörte ich von einigen Restaurateuren: "Essen und Kultur? Da rennen uns ja die Gäste weg." In der Tat scheint es mit der EssKULTUR schlimm zu stehen - umso schöner solche Artikel.

Es gibt also auch das andere, weltoffene, brodelnde, interessante, neue Elsass und ebensolche Leute. Und die findet man im Internet tatsächlich schneller als auf der Straße. Auch in dieser Hinsicht funktioniert die Region schon sehr "global".

PS*** Freunde des guten Essens seien getröstet, die französische Verlagswelt scheint offener für meine Ideenwelten diesbezüglich und ich denke mit einer französischen Partnerin über zweisprachige Möglichkeiten nach. Globalität heißt auch, dass man Bücher nicht immer im gleichen Land veröffentlichen muss...

update: Namensverwechslung ausgewechselt. Verteufeltes Gugl.

6 Kommentare:

  1. Stimmt - es ist ein Buch mit 7 Siegeln hier. Integration ist schwieriger als erwartet. Man muss ueberporportional Wuchten um Anerkennung zu bekommen. Wissembourg ist eigentlich doch noch in Deutschland - der neugebaute Pennymarkt in Schweigen direkt am Gernzverlauf - ich glaube ein Wasserrohr tropft auf franzoeschischm Boden. Die Deutschen piglern ueber die Grenze und kaufen in den teuren Supermaerkten - die Einheimischen gehen alle zum Penny, neuerdings wo die Carte Bancaire dankend akzpetiert wird. (Endlich)

    Es ist eine Art Hassliebe und dieses ist was es so interessant macht. Wissembourg, das kleine gallische Dorf im Nord-Osten Frankreichs, wo die Welt manchmal fuer unsere Verhaeltnisse etwas zu heil ist.

    Mann muss schon tief graben und nach 3 1/2 Jahren hier baut sich langsam etwas auf, aber auch nur, weil ich mehr und mehr Zeit hier investiere und mehr und mehr hier arbeite. Doch, es ist wie mit den Trueffeln - man findet etwas wunderbares, etwas feines zum geniessen.

    Es ist delikat. Mehr Frankreich als Deutsch in der Finesse, mehr Deutsch als Frankreich in der Arbeitsmoral. Es ist ruhiger hier und fuer mich das wichtigste - ich kann hier denken, beobachten und aus unserem Aquarium, unangenehme Fragen stellen. Wo dass Elsass zu schoen ist, ist vieles woanders zu haesslich - dass stimmt mich nachdenklich.

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  2. Ich denke, Wissembourg als touristisches Grenzstädtchen ist wirklich ein sehr eigener Mikrokosmos, so wie man z.B. in Baden-Baden wieder auf eine ganz andere Art die Realität verlieren kann. Und die deutschen Steuerflüchter (lohnt sich ja nun kaum noch) haben in den letzten Jahrzehnten sicher auch vieles kaputt gemacht. Die Elsässer testen seither Neuankömmlinge: Bist du einer, der hier nur das Beste absahnen will, aber seine Kinder hier nicht auf die Schule schicken möchte - oder willst du wirklich mit uns leben?

    Und genau das ist so viel schwerer als in anderen Ländern. Was vermisse ich in dieser Hinsicht das herzliche, offene Polen!

    Eine kluge, weltoffene Elsässerin hat mich mal verblüfft, als sie sagte: In was willst du dich denn integrieren? Welche soziale Gruppe soll dich denn lieben, die Straßefeger oder die Nur-Fernsehschauer, die Stadtpendler oder die Bredlebäckerinnen?

    Ich bin ja von diesem Integrationsgedanken, der laut political correctness in Anpassung enden soll, völlig abgekommen. Viel spannender finde ich, in der Urbevölkerung deren eigene "Parallelgesellschaften" zu entdecken, will sagen, die spannenden Menschen. Es ist nämlich erstaunlich, wie viele Elsässer von Elsässern nicht integriert werden...

    In unserem Landstrich z.B. die Künstler. Künstler sind "Ziginer", pfui und bäh. Außer sie sind so berühmt, dass man sich mit ihnen schmücken kann. Aber die fliehen nach Strasbourg. Allerdings - rund ums Musikfestival in Wissembourg gibt's ein paar Trüffel.

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  3. Sabine Kanzler2/12/09 18:53

    Ist das wirklich so spezifisch Elsass, was Ihr da beschreibt? Oder eher normal in Zeiten, in denen Umziehen in eine andere Region für viele mehrmals im Leben vorkommt?

    Diejenigen, die schon immer da waren, bilden einen Kern, in den so schnell niemand eindringt. Und der sehr geschlossen erscheint, bis man auch da mal hinter die Kulissen schaut und die Gruppen und Grüppchen entdeckt und diejenigen, die nirgends dazu gehören.

    Gerade in Gebieten mit viel Fremdenverkehr hat das ja auch mit Sebstschutz zu tun. Wenn während der Saison die eigene Region von Fremden gekapert wird (in Hotels, Fewos und Zweitwohnsitzen) dann ist eine emotionale Reduktion aufs Wesentliche und Bekannte vermutlich eher entspannend für die Seele....

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  4. Nein Sabine, das Elsass ist wirklich auch im internationalen Vergleich speziell (und das sagen auch Elsässer), man kann es in manchem sogar als Modellregion ansehen. Wir dürfen nicht vergessen, dass dieser Landstrich in weniger als 100 Jahren fünf Mal (!) die Nationalität und die Sprache wechseln musste - und das nicht immer freiwillig und selten ohne Gewalt.

    Ich selbst war überrascht, bei meiner Arbeit zum Thema Grenze zu erfahren, dass Grenzverschiebungen zwischen Deutschland und Frankreich im Osten noch bis in die 1980er Jahre ausgehandelt wurden, das muss man sich mal vorstellen!

    Um das mal deutlich zu machen: Ich lebe gleichzeitig mit alten Menschen, die in der Schule kein Französisch hatten, aber den Naziterror erlebt, die womöglich als Malgrés-nous nachher von den Franzosen geschnitten wurden oder aber auch lustig mitgemacht hatten. Und deren Enkel haben, wenn sie Pech hatten, erlebt, wie Papas Feld plötzlich Deutschland zugeschlagen wurde, weil man den Grenzverlauf begradigt hat. Und gleichzeitig hat der französische Onkel seine Weinberge auf deutschem Boden und der deutsche Kumpel die Weinberge auf französischem und es wird lustig über die Grenzen geheiratet. Da ist alles da, Offenheit und Kopfbeton und immer auch die inneren Kämpfe.

    Du hast also eher den umgekehrten Vorgang: Die Leute sind SEHR sesshaft, wurden aber von äußeren, nicht beeinflussbaren Umständen ständig aus ihrer gesamten Kultur gerissen. Das führt zwangsläufig zu einem eigenen Verhalten, von dem man aber auch eine Menge lernen kann!

    Ähnliche Verwerfungen und Entwurzelungen, genauso wie traumatische Folgen, die nicht in zwei Generationen abgearbeitet sind, bescheren uns ja viele moderne Kriegsgebiete für die Zukunft. Schau dir Ex-Jugoslawien an...

    Ich würde den Tourismus nicht überbewerten. Das ist ein Sommerfieber, das auch wieder weggeht ;-)

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  5. Da gibt es auch von mir eine Geschichte: Wir sahen in Wissembourg ein Auto mit engl. Kennzeichen und der Autoverkaeufer kam aus dem gleichen Ort wo wir unseren engl. Sitz haben. Zettel an Fensterscheibe getan und 2 Stunden spaeter kam der Anruf. Es ist ein aelteres Ehepaar - sie 1936 in Strassbourg geboren, nach dem Krieg nach Wiss. gezogen und im Saarland ihren engl. Ehemann kennengelernt. Sie zog nach England und nahm die engl. Staatsbuergerschaft an. 3 Nationalitaeten in ihrem Leben. Wir besuchen sie hier als auch in England (Ihr Haus ist ungefaehr 1km von unserer engl. Wohnung entfernt). Allerdings, was ich oft beobachte, die Bereitschaft ueber vergangene Erlebnisse zu erzaehlen ist auch bei diesem Ehepaar gering.

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  6. Beim Durchstöbern meiner Seitenstatistik stolperte ich heute über das beschämend feine Lob dieses Artikels. Als Urheberin von european-cultural-news kann ich Frau Cronenburgs Einschätzung über die Leute im Elsass nur doppelt unterstreichen. Ich lebe in Straßburg und bin somit nicht den ländlich kruden Seelenlandschaften ausgesetzt, aber auch hier bleibt mir nicht verborgen, dass die Elsässerinnen und Elsässer viele Gesichter haben. Ganz bewusst arbeite ich in der Kulturszene, die hier wogt und brodelt und viele junge Menschen ernährt, die offene Augen und Ohren haben. Aber es reicht schon ein kurzer Gang an den Postschalter und man findet sich in einer Gegenwelt. Hier zu leben bedeutet aber, sich mit dieser menschlichen Vielfalt auseinanderzusetzen und Mittel und Wege zu finden, damit zurecht zu kommen. Vielleicht hilft mir hier, dass ich aus Graz komme und als Österreicherin, die gewohnt ist, ist einer Grenzregion zu leben, sensibel bin für unterschiedliche, kulturelle Einflüsse. Liebe Grüße an alle "Grenzgänger" und besonders an Frau Cronenburg!

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