Was ist Kunst?
L'ART / KUNST = Die Fähigkeit und Gewohnheit, etwas zu machen.Aha. So einfach ist das. Und dann folgt ein Rattenschwanz an weiteren Definitionen.
Ich selbst habe mich nie Künstlerin nennen wollen. Wenn ich ein Bild gemalt habe, habe ich herumgekleckst aus Spaß. Als ich als Kind Bratsche gelernt habe, schrammte ich unlustig darauf herum, weil ich lieber Klavier gespielt hätte. Einmal habe ich einer Steinstele ein Gesicht gegeben, einfach weil sie zu schwer war, um sie wegzuwuchten. Irgendwann habe ich ein Sachbuch geschrieben. Ich stehe manchmal auf einer Bühne. So viele Künste - aber doch keine Kunst?
In Frankreich habe ich umgelernt, "auteur-artiste" zu meinem Beruf zu sagen, denn als ich das noch nicht machte, gab es Missverständnisse. Ämter wollen alles genau wissen: Schreiben Sie Werbetexte, Libretti, Artikel, was machen Sie eigentlich? Plötzlich war das, was ich machte, "Kunst". Aber ich fühlte mich immer noch nicht als Künstlerin. Damals schrieb ich gerade experimentehalber "heitere Frauenromane", bei denen der Verlag anmeldete, dass er noch eine Sexszene vor Seite XX wünschte. Kunst? Für mich war das handwerkliches Aufbauen von Backsteinen. Gewiss, nicht jeder konnte gerade Mauern errichten, aber deswegen war das noch lange keine Kunst für mich. Ist man Künstler, weil einem ein Amt das bescheinigt? Sind wirklich alle Buchautoren auch Künstler?
Inzwischen bin ich regelmäßig bei einer Künstlerberatung, die hier Pflicht ist, wenn man keine ordentliche Firma mit ordentlichen Waren gründet. Sehr hilfreich, weil ich ja nicht wusste, wie Künstler in Frankreich so leben und arbeiten. Ich ging brav und interessiert hin und schüttelte innerlich den Kopf: Jetzt soll ich da von meinem Hörbuchprojekt über Nijinsky mit Musik und Text erzählen und wieder dieses blöde Wort "auteur-artiste" aufschreiben, aber das kann doch jeder, ich bin doch keine Künstlerin! Die junge Frau, meine Beraterin, grinste immer belustigter, schwieg eine Weile und schaute mich dann ganz ernst an.
Und wusch mir gehörig den Kopf. "Wissen Sie was? Sie müssen endlich akzeptieren lernen, dass Sie eine Künstlerin sind. Damit werden Sie nämlich den Rest Ihres Lebens zurechtkommen müssen."
Das klang arg nach Lebenslänglich ohne Bewährung. Die Angeklagte versuchte einen Einspruch: "Aber ich könnte doch einen ganz normalen Job, irgendwo angestellt und..."
"Vergessen Sie's. Sie können das und werden krank daran."
Und dann sagte sie etwas von wegen "andere innere Struktur und Denkweise". Ist Kunst eine Kopfkrankheit? Dachte ich so anders? - Ich solle mir nur einfach mal zuhören, wenn ich über meine Projekte redete, meinte sie und grinste.
Zuerst war ich stinkwütend auf die Frau, weil sie sich in meinen Augen erdreistete, mich lebenslänglich zu etwas "Anderem" zu verurteilen. Heute bin ich froh darum, dass mir das endlich mal jemand ins Gesicht gepfeffert und damit einen Damm eingerissen hat. Seither lerne ich ständig "Andere" kennen, spannende Menschen - und arbeite in komischen "anderen" Jobs, die ich mir vorher nicht einmal hätte vorstellen können. Und plötzlich passiert Eigenartiges: Dadurch, dass ich dauernd anders auf Dinge schaue, Dinge anders wahrnehme, als man das brav in der Schule gelernt hat, überfallen mich neue Ideen haufenweise. Aber bin ich jetzt Künstlerin? Ist das Kunst, was ich mache?
Als Autorin habe ich ein übles Laster, nennen wir es beschönigend Berufskrankheit: Ich beobachte Menschen. Natürlich benutze ich dazu auch meine Ohren. Am liebsten bei Menschenansammlungen.
Museum Frieder Burda, Blauer-Reiter-Ausstellung. Zwei Frauen um die 55 vor einem Kandinskybild, das einen Zug vor Murnau zeigt. Schwarze Elektromasten vor leuchtenden Farben. (Bild anschauen)
Die eine Frau hat einen Museumskopfhörer auf und lässt sich sagen, wie man das Bild betrachtet und was solche kunstpädagogischen Hörstücke einem an Schlauheiten eben zu sagen haben. Ihr Gesicht ist aufmerksam, sehr ernst, als wohne sie der Beisetzung eines hohen Politikers bei. Ab und zu nickt sie langsam, verstehend, aber ihre Augen sagen das Gegenteil: Sie kann es nicht nachfühlen.
Im Gesicht ihrer Freundin zuckt es. Die Frau wackelt hin und her, geht ganz nah ans Bild und wieder weit weg, sucht sich dann einen festen Standpunkt und es zuckt immer mehr und dann lacht sie laut. Sie platzt heraus. "Das ist ja toll, das macht richtig tschtschtsch tschtschtsch! Und guck mal die Farben da an, da hat Kandinsky auch gelacht!"
Ein Ruck durch die Menge. Pikierte Blicke, vermeintliche Kunstkenner gehen auf Abstand, gesetzte Damen strafen die lachende Frau mit Blicken, die wahrscheinlich nur noch Grautöne wahrnehmen. Und die lacht weiter und sagt: "Das ist kein Bild, das ist ein Rhythmus!" Und jetzt schüttelt die Freundin sie mahnend am Arm, legt sich den Kopfhörer um den Hals, der weiter analysiert, und sie redet im Kopfhörerton auf die andere ein: "Wie kannst du nur so respektlos...!" Es folgt eine Vorlesung, was Kandinsky für eine Bedeutung gehabt habe, einschließlich aller Jahreszahlen, gut auswendig gelernt, und wie man das Bild im Kontext seines Schaffens, unter Analyse der und der Punkte...
Die lachende Frau wird ernst, ein wenig grauer im Gesicht, schaut ihre Freundin staunend an und sagt kleinlaut: "Wenn du meinst. Das habe ich alles nicht gewusst. Schade, das war so ein spaßiges Bild. Ich sollte mir vielleicht auch so einen Kopfhörer holen."
Ich bildete mir ein, wäre Kandinsky anwesend gewesen, er hätte in diesem Augenblick vielleicht geweint. Vielleicht auch die lachende Frau von ihrer wissenden Freundin weggezogen. Ich behaupte steif und fest: Die lachende Frau hatte dieses "gewisse Etwas". Die hat mehr verstanden als die Pädagogische. Und wenn man sie gelassen hätte, wären ihr vielleicht noch viel mehr erstaunliche Gedanken gekommen. Wenn man sie gelassen hätte, hätte sie vielleicht irgendwann selbst zum Pinsel gegriffen und noch mehr gelacht. Nicht auszudenken, wie vielen Menschen das "Anderswahrnehmen" abgeekelt, abtrainiert wird. Man nimmt ihnen die Kunst weg und stellt sie auf ein Podest. Man. Man macht. Man darf. Man macht nicht.
Jetzt können wir hergehen in so ein Museum und den Leuten Etiketten auf die Stirn pappen. Kleben wir dem Künstler doch ein "Künstler" auf die Stirn, weil man das machen darf, wenn er einer ist - und der reisst es vielleicht wieder herunter, weil er sich damit nicht wohl fühlt. Klebt es der Museumswärterin auf die Stirn, weil die diese wunderbare Handbewegung macht zum Weiterleiten. Dann haben wir noch Etiketten mit "Kunstkenner" - auf wen kleben wir die? Noch mehr Schildchen zu vergeben: "Nichtversteher", "Unbeeindruckter". Die ernste Freundin will der Lachenden den "Nichtversteher" aufkleben. Ich laufe mit "Unbeeindruckter" auf die Zimtzicke im Pelzmantel zu, die sich so laut über die Lachende mokiert hat, man benehme sich doch nicht so. Ein professoral wirkender Mensch greift selbst nach "Kunstkenner", ein Kind klebt auf die Ernste den "Nichtversteher" und die Lachende lacht noch mehr und ruft: "Ich will Kunstwärter sein, malt ein neues Schild, ich will mit diesen Bildern eine Nacht lang schlafen!"
Tja, ich bin jetzt irgendwie verwirrt, zwischen Realität und Fiktion und Kunst und Künstler und der Angst der Leute vor beidem, dieser üblen, anerzogenen Angst, nicht das Richtige zu sagen, nicht das Richtige zu wissen, sich womöglich "daneben" zu benehmen. Dürfen nur Künstler daneben treten?
Was passiert eigentlich, wenn einen jemand fragt, was Kunst ist - und man fängt einfach an, laut zu lachen?
Irgendwann kam mir heute der Gedanke, dass es vielleicht zuviel Wissen auf diesem Planeten gibt und wir Menschen dem (noch) nicht gewachsen sind.
AntwortenLöschenIch habe heute Nachmittag 13 Buecherkartons gepackt. Geballtes Wissen. Demnaechst packe ich sie, 1km weiter weg, wieder aus und verpacke es wieder in meine Buecheregale. Der Staub wird sich dann auch irgendwann legen.
Je mehr wir wissen verlieren wir vielleicht noch den Rest Unschuld den wir haben.
Vom "Image wesen" wollen wir garnicht erst anfangen..
Als ich noch vor Jahren in Wiesbaden lebte, "dinierte" ich mal ausnahmsweise bei Kaefers im Kurhaus. See and be seen. Als mein Bekannter gerade vom Tisch abwesend war, lehnte sich eine Dame vom Nachbartisch zu mir rueber und fragte, ob ich neu in Wi. sei. Nein, antwortete ich, ich sei nur ausnahmsweise hier, ich wuerde sehr viel zu tun haben.
Ach, wissen Sie, mein Sohn arbeitet auch sehr viel, aber er hat immer Zeit bei Kaefers zu speisen.
Surreal ist auch real.
Was mir dazu einfällt:
AntwortenLöschenTochter Zap im Kunstmuseum wie in einer Wundertüte. Mittlerweile will sie da regelmässig hin.
Tochter Zap und ich grölend vor Lachen im Dada-Museum in Zürich. Und dann haben wir ganz viele Fragen gestellt. Der Tpy hat gesagt: So interessiert war noch nie jemand (die haben sogar einen Fehler in der Installation gefunden - weil wir so viel wissen wollten).
Die Tränen, die mir gekommen sind bei der Van Gough Ausstellung.
Das Herz, das heftig gegen den Brustkorb drückte bei der Giacometti-Ausstellung.
Die Freiheit zu sagen: das gefällt mir und das gefällt mir nicht (egal von wem was ist). Und den anderen genau das Gegenteil sagen hören.
Die Überlegung, was ich machen würde, wenn man mich Künstlerin nennen würde (lustiges Gedankenspiel).
Das Staunen über "andere Länder andere Sitten."
Und dann einfach undn vor allem das befreite Lachen. (eine Intellektuelle will ich aber immer noch nicht sein, bitte nicht)
Hach Zappadong, das gefällt mir! Ich bin ja eine, die immer traurig ist, zu alt für die Kinderaktionen zu sein, die so viel mehr Spaß machen. Ihr solltet mal durch das gesetzte Baden-Baden pilgern ;-)
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