Überwältigt

Ich hatte mit diesem Blog Großes vor. Aber was ist schon groß? Jedenfalls sollte mit dem altväterlichen Zeitungs-Outfit auch mehr Buchjournalismus kommen. Richtiges Branchengedödel, denn das geht besucherhalber überall im Internet ab, also musste da doch irgendwie Interesse bestehen? Für solche Artikel hatte ich via Twitter schnell mal über 100 Besucher extra pro Tag. Wären das tatsächlich immer wieder andere (sind es allerdings nicht), entspräche das einer abverkauften Buchauflage von 36.500 Exemplaren pro Jahr. Unglaublich!

Überall werden Menschen nicht nur an Erfolg, Profitsummen und Zahlen gemessen, sie machen bei diesem Irrsinnssystem auch noch freiwillig mit. Quetschen ihre "Freunde" in Listen, klicken Leute zu Top-Acts hoch und hängen Typen an den Lippen, deren Dummgesabbel sie nicht anhören würden, wenn es von ihrer Oma käme. Aber die sind "angesagt", weil ihnen 5000 Deppen folgen, 200 echte Fans und 7000 Contentmaschinen, die nur Werbung absetzen wollen, weil solche Leute... Der Kreis schließt sich: Alles größer, breiter, höher, mehr! Berühmt werden und Geld scheffeln! Ach, was ist Gier schön, selbst wenn sie so billig ist. (Wer es nicht glaubt, muss sich nur einmal umschauen, welch galloppierender Irrsinn einem da manchmal als "Coach" oder "erfolgreicher Ebook-Autor, gratis" oder "Marketingdödel" an der Backe kleben will).

"Halt, meine Liebe, was machst du da eigentlich!?", ermahnte mich mein heißgeliebter innerer Schweinehund, der oft schlauer ist als ich selbst. "Du bist vom großen Publikumsverlag weg, um DEINE Bücher schreiben zu können - und jetzt schaust du wieder auf Zahlen?" Aber so ein Schweinehund darf ja labern, wie er will, ich war weiterhin überzeugt von meinem Konzept.

Und dann "schmiss" ich eher aus Zeitmangel und weil mich das irgendwie beschäftigte (also keine Recherche brauchte, wie bequem), meinen Beitrag "Menschenschätze" ins Internet. Das sind so die Dinge, die mich persönlich umtreiben, von denen ich meine, sie interessieren wahrscheinlich kaum jemanden. So würde ich nie zu Lesern kommen.

Das Internet gab mir recht. Der betreffende Artikel hat trotz Verlinkung bei Twitter nach Erscheinen nur halb so viele Besucher angelockt als der Durchschnitt. Kaum einer meiner Artikel hat so wenige Leser gehabt. Es handelt sich also eindeutig um einen Text, den der Chefredakteur beim zweiten Mal ablehnen würde: "Interessiert kein Schwein, können wir nicht verkaufen." Manche Lektoren hätten wahrscheinlich auch etwas auszusetzen: "Lassense das mal im Mittelalter spielen und hauense die Männer raus. Und eine einzige starke Frau genügt, mehr kapieren unsere Leser nicht." Reinfall? Fehlplanung?

Es passierte dann aber das, was einem bei einer Zeitung nur ganz selten in Sternstunden passiert: Ich bekam Leserzuschriften nicht nur hier im Blog. Nicht einfach irgendwelche Komplimente - die auch - sondern Aussagen, dass dieser Text etwas mit den Lesern gemacht hat. Er hat sie berührt. Er lässt sie nachdenken. Er wirkt länger als einen Tag. Und er macht das offensichtlich so stark, dass mir Menschen das auch mitteilen, ich also nicht meine Arbeit nur in die Luft blase. Schriftstellers Traum. Ja, inzwischen ist durch einen meiner Kommentatoren schon so etwas wie ein intertransblogaler Dialog entstanden.

Ich hatte einmal in Zürich bei einer Lesung einen üblen Reinfall erlebt, weil der Buchhändler "vergessen" hatte, die Veranstaltung anzukündigen und in den Prospekt aufzunehmen. Kurz vor Beginn war ich allein mit zwei Besuchern (es kamen dann noch elf Stück getröpfelt). Und die fragten mich, ob sie wieder heimgehen sollten, das würde sich für mich doch nicht lohnen? Sie waren ganz erstaunt, dass ich sagte, ich würde für zwei Menschen genauso lesen wie für zweihundert. Weil mir jeder einzelne wichtig sei. Ich hatte das kleinste Publikum meiner Laufbahn - und eines der besten. Zwei, die damals dabei waren, organisierten dann später mit mir ein Wochenendseminar auf dem Odilienberg im Elsass - mit einem ganzen Bus voller Schweizer (von denen der Buchhändler nur hätte träumen können).

Ist so eine Sache mit den Zahlen und den angeblichen, zahlenberechneten Bedürfnissen. Man kann sich verdammt verrechnen. Jedenfalls muss ich mir jetzt überlegen, ob ich mit diesem Blog nicht besser Kleineres vorhaben sollte.

Keine Kommentare:

Deine Sicherheit:
Mit restriktiven Browsereinstellungen kannst du nur als "Anonym" und mit "Namen / URL" kommentieren. Möchtest du dein Google-Profil verwenden, musst du aktiv im Browser unter "Cookies von Drittanbietern" diejenigen zulassen, die nicht zur Aktivitätenverfolgung benutzt werden. Nur so kann das System dein Profil nach Einloggen erkennen.

Mit der Nutzung dieses Formulars erkläre ich mich mit der Speicherung und Verarbeitung meiner Daten durch Google einverstanden (Infos Datenschutz oben im Menu).
(Du kannst selbstverständlich anonym kommentieren, dann aber aus technischen Gründen kein Kommentarabo per Mail bekommen!)

Spam und gegen die Netiquette verstoßende Beiträge werden nicht freigeschaltet.

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.

Powered by Blogger.