Wider das Bananenbrot
Ziemlich durchgeknallte Zeiten, in manchen Ländern etwas mehr als in anderen. Ich kann nur fassungslos den Kopf schütteln, was im Nachbarland geschieht, wie es geschieht, denn es betrifft mich ja indirekt - Familie, Freunde sind den explodierenden Fallzahlen ausgeliefert. Und ich bekomme manchmal Nachrichten: "Klasse, dass es dir so fantastisch geht. Hab ich auf Instagram gesehen." Ungläubig schaute ich auf Instagram nach, wie es mir gehen könnte.
Der schöne Schein von Instagram! Bilbos Pelz glänzt, man sieht ihm die OP und all den Stress nicht an, der schon wieder "ewig" zurückzuliegen scheint. Alles scheint in diesen Zeiten "ewig", ich verwechsle sogar Jahreszahlen. Den Naturphotos sieht man es nicht an, dass sie teilweise aus einem Sperrgebiet stammen, einem ehemaligen Erdölfördergebiet, hochbelastet im Untergrund mit all der in den 1960/70ern entsorgten Chemie. Ich mache diese Fotos für ein berufliches Projekt, nicht als instagramgeile Reise.
All das Werken und Basteln und die Kunst zeigen nicht, dass ich das alles für eine völlig irrsinnig scheinende Hoffnung mache: um vielleicht endlich im Frühjahr 2022 damit auch öffentlich starten zu können. Noch träume ich den Traum von einem kollaborativen Kunstprojekt mit anderen Menschen! Die Fotos auf Instagram zeigen nicht, dass uns reihenweise Veranstaltungen wegfallen, weil nicht genügend Leute kommen und weil vor allem die so wichtigen Tourist:innen fehlen und die Kurzausflügler:innen aus Deutschland. Sie zeigen nicht, dass viele Menschen mittlerweile zu erschöpft sind für Kunst und Kultur, aber auch einfach entwöhnt oder zu arm. Dass es weniger Ausstellungen gibt, weil die Institutionen durch weniger Publikum weniger Budget haben. Ja, Künstler:innen können immer Kunst machen, solange sie noch können ...
In Frankreich geht es uns dank hoher Impfquote noch vergleichsweise gut, aber die Angst wächst, was aus dem Ausland herschwappen könnte, wir sind erst am Anfang mit dem Boostern. Theoretisch hätten wir in der reichen EU mit all den Impfstoffen die Pandemie jetzt in den Griff bekommen können, wenn alle rücksichtsvoll, vernunftbegabt und altruistisch (eine Eigenschaft, die ich zunehmend vermisse) an einem Strang gezogen hätten. Wenn wir Radikalisierungen nicht so aus dem Ruder hätten laufen lassen. Denn die Drahtzieher sind ja nicht "dumm" (da reden wir uns nur was klein), sondern extremistisch: Mit größtmöglichem Chaos, Leid und Mürbemachen wollen sie Demokratie schwächen. Was haben wir eigentlich vom System Trump gelernt, außer dass man es nachäffen kann?! Wir schauen weg, quatschen uns in Social Media in Erregung oder lachen uns schief. Genau das wollen solche. Wir? Nein, natürlich nicht wir alle. Aber viel zu viele von denen, die uns offiziell vertreten. Ich empfehle zum zigsten Male die Lektüre von Umberto Ecos "Urfaschismus". (Als "Der ewige Faschismus" bei Hanser erschienen)
Hätte hätte Fahrradkette. Menschen menscheln. Eine Menschheit, die nur nach dem Wahren, Schönen und Guten strebt, ist ein Ideal, keine Realität. Und das sapiens beim Homo halt auch nur ein von Menschen vergebenes Adjektiv. Und darum ist jetzt, wie Hundler sagen würden, die Kac.ke am Dampfen. Und das in einer Zeit, in der wir alle wohl mehr oder weniger am Anschlag leben, mit mehr oder weniger Glück oder auch Verdrängungsfähigkeiten. Zu all dem Unmus mit Artensterben, Klimawandel und Pandemie kommen ja weiter all die privaten Probleme, die im Alltag unter erschwerten bedingungen zu meistern sind: von der Vereinsamung junger Leute über Pflege von Angehörigen bis hin zur "stinknormalen" Erschöpfung. Und die kann, wenn man nicht arg auf sich acht gibt, durchaus gefährlich werden.
Darum die ganz handfeste Frage: Gibt es irgendwelche Rezepte, das alles zu überstehen, ohne zusammenzubrechen? Wie können wir für uns, wenn wir den trügerischen Hochglanzglitter von Instagram beiseite lassen, etwas Gutes tun, unsere psychische Befindlichkeit pflegen? Hilft uns das zigste Bananenbrot?
Der erste Schritt, der hilft: Es zugeben!
Erinnert vielleicht verdächtig an die Treffen von Anonymen Alkoholiker:innen, ist aber ein persönlich oft schwerer und doch hilfreicher Schritt. Sibylle Berg macht es in ihrer Kolumne mit dem Titel "Ich kann kaum noch" vor, wie fest wir gelernt haben, nur ja nie Schwäche zu zeigen. Sie gibt es zu und sucht auch nach Rezepten fürs Weitermachen, die dann individuell verschieden sein mögen. Weg vom schönen Schein. Meine Instagrambilder sind "schön", das ist dieses Medium. Nur wenige Accounts bilden schnöde oder gar hässliche Wirklichkeit ab. Aber der Frau, die diese Fotos macht, geht es eigentlich nicht gut: Ich kann nämlich auch kaum noch. Lebe am Anschlag meiner Kraftreserven. Hangle mich von Tag zu Tag. Werde aggressiv und fluche mir einen ab, wenn ich Leute sehe, die keine Rücksichten mehr nehmen und alles zu zerstören suchen. Ich werde hochaggressiv, wenn ich sehe, wie solche Gruppen Journalist:innen angreifen, Ärzt:innen, Pflegepersonal. Und das tut mir wiederum nicht gut, weil ich ja damit allein bleibe.
Der zweite Schritt ist auch verdammt schwer: Nein sagen lernen.
Grenzen setzen und offen kommunizieren.
Wer am Ende seiner Kräfte ist, braucht Frei- und Heilräume für sich selbst. Es nützt den besten Klimaaktivist:innen nichts, wenn sie im Burnout oder der klinischen Depression landen. Die Kündigungsrate bei Pflegepersonal wird in den nächsten Jahren exponential steigen - diese Menschen hätten wieder Kraft, wenn unsere Gesellschaft sie nicht unter absolut miesen Arbeitsbedingungen ausbeuten würde und mit einem Klatschen abspeisen wollte. Die Leute können nicht mehr, haben aber nicht die Möglichkeit, im täglichen Betrieb Nein zu sagen. Leben müssen gerettet werden. Dann kommt eben irgendwann das ganz große Nein, zu einem sehr hohen Preis.
Konditionierungen machen es vor allem Frauen nicht leicht. Kleine Mädchen werden zum Kümmern erzogen. Das schlechte Gewissen, wenn die Aufopferung nicht vollkommen ist, das ist schon eher Domptage als Erziehung. Aus solchen selbstzerstörerischen Mustern herauszukommen, kann verdammt schwer sein. Aber es lässt sich lernen (auch mit Hilfe von außen). Ich weiß, wovon ich rede, weil ich in einer Betreuungssituation gerade gelernt habe zu sagen: Ich gehe nach 20 Uhr nicht mehr ans Telefon. Punkt. Ich habe das Recht auf diese Ruhe und kein schlechtes Gewissen. Welche Befreiung war das zu sehen, dass es wirkt! Die Grenze war schlicht nur deshalb überschritten worden, weil ich es vorher mit mir machen ließ. Weil ich meine Grenze nicht klar und deutlich kommunizierte.
Manchmal muss man in einer Notsituation über die eigenen Grenzen gehen. Und man steckt das weg, wenn es nur sporadisch passiert. Wer das zur Regelmäßigkeit macht, landet im Helfersyndrom, im Burnout. Und damit steht man dann plötzlich sehr alleine da.
Es ist also richtig zu sagen: Ich kann nicht mehr. Und zu kommunizieren, wo die Grenzen sind.
Ob das Freizeit ist, die ungestörte Stunde. Oder einfach mal die Entlastung im Haushalt, ein anderes Umgehen mit dem Homeoffice, der Mut, Alltagsarbeiten liegen zu lassen. Es muss in Ausnahmezeiten nicht alles perfekt sein. Wir müssen kein Instagramleben führen.
Was tut uns gut?
Sind wir so weit gekommen, können wir uns Gedanken machen, was uns gut tut, wieder aufhilft. Wo wir verschnaufen können, Kraft schöpfen. Einfach mal was Schönes haben, etwas Glück empfinden. Wenn das der sogenannten Psychohygiene dient, hat es mit Egoismus absolut nichts zu tun. Sollte also auch kein schlechtes Gewissen machen. Wir haben ein Recht darauf, uns um unsere Psyche genauso zu kümmern, wie wir das auch mit dem Körper machen.
Bevor ich jetzt mit Tipps wie Stricken (ich hasse Stricken) oder Sprachenlernen (mein Hirn ist auch mal müde) komme, hier lieber ein paar Tipps, was man vermeiden kann:
- Setzt euch nicht unter Druck mit Vorsätzen. Kennen wir von Neujahr: Das bringt nur Frust.
- Nichtstun ist auch eine Tätigkeit. Oder einen Baum anstarren. Vögeln am Futterhäuschen zuschauen. Schlafen. Herumfläzen. In belastenden Zeiten kann das herrlich die inneren Akkus aufladen.
- Fangt also klein an. Man stampft nicht mal eben drei neue Hobbies aus dem Nichts.
- Eskapismus hilft (muss ja nicht für immer sein). Man kann damit abschalten, egal, ob mit Daddeln, Netflix oder Meditation.
Schaut, dass ihr Ansprechpartner:innen habt. Reden hilft. Leute zum Klönen oder auch zwischendurch mal ein Problem betrachten. Und da ist es in einem weiteren Pandemiewinter zunächst nicht ausschlaggebend, über welches Medium man kommuniziert. Auch gemeinsames Kaffeetrinken via Zoom oder Skype kann richtig gut tun!
Carola Wolff hat feine praktische Ideen, dort in den Kommentaren habe ich noch zwei Ideen von mir beigesteuert - hier zu lesen.
meine persönlichen 2 g-regeln: täglich mindestens einmal etwas genießen(musik, podcast, blick, buch...) und hinaus gehen, mind. 30 minuten, egal wohin. keine talkshows, nur einmal täglich seriöse nachrichten im tv, kein twitter. und vorallem: selbst das gehirn nutzen...
AntwortenLöschendanke für die anregungen hier, gruß roswitha
Herzlichen Dank für diese tollen Tipps, Roswitha - sehr hilfreich!
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