Landlust tanken

Die Ereignisse der letzten Zeit (und der bevorstehende erste Zahnarzttermin auf der Dauerbaustelle) haben mich diese Woche echt umgeblasen. Die guten Nachrichten über Bilbo haben eine Weile gebraucht, um im Kopf anzukommen, dann ging plötzlich nichts mehr. Ich habe mir freinehmen und mich päppeln müssen. Und was gibt es Schöneres als einen Hochsommertag Mitte Oktober und der Nachricht, ab heute könne ich mein "Abzeichen" im Maison Rurale abholen.

Ein bißchen ist es schon fast ein zweites Zuhause, wenn ich zur Tür eintrete, um Georges und Josefine zu besuchen. Wir AnimateurInnen im Maison Rurale wissen ja, dass sie nachts lebendig werden und sich nur tagsüber für die Besucher als Puppen tarnen!


Das "Abzeichen" weist mich nun auch offiziell als Animatrice und Guide im Kulturerbezentrum aus und so ein kleiner Anstecker ist ganz nützlich, wenn die Besuchergruppen nicht wissen, wer sie eigentlich führt oder wenn sie sich deshalb nicht trauen, Fragen zu stellen. Ich zeige es auf dem Foto mit geweisseltem Namen, weil Fotos im Internet inzwischen die urseltsamsten Wege gehen ... Also nichts wie hin zum sonntäglichen Kuchenessen dort in der Cafeteria.

Das war Nahrung für die Seele, die Kuchen sind nämlich immer selbstgebacken und der Quittenstreussel war eine absolute Köstlichkeit! Besucher hatten außerdem das Vergnügen, frische "Apfelkiechle" zu bekommen, die vor ihren Augen zubereitet wurden, eine fettgebackene Spezialität, sozusagen der opulente Natur-Donut des Elsass. Und wer sich interessierte, konnte beim Sauerkrauthobeln zuschauen. Das wird nicht nur zum Anschauen gemacht - es wird tatsächlich eingelegt und später gibt es dann meist auch ein Choucroute-Essen in der Cafeteria, denn so ein Kulturerbezentrum lebt.

Die Kinder waren begeistert zu sehen, dass beim bäuerlichen Leben nichts verkommt oder einfach weggeworfen wird, Hühner und Gänse stürzten sich mit Lust auf die Weißkrautreste! Inzwischen laufen die beiden Gänse frei herum und schauen drein, als wüssten sie, dass sie die Attraktion für die Städter sind.  Zwei Kinder bekamen leuchtende Augen, weil sie die Hasen mit Kräutern füttern durften, besorgt fragte eins, ob die auch die Stiele mitessen dürfen. So vieles ist in der Stadt nicht mehr bekannt.

Ich habe den Tag einfach mal als Besucherin genossen und am "Stammtisch", wo wir uns am Sonntag gern mal treffen. Es sind dann auch die Stickerinnen dabei, die Kreuzstich fertigen und die zeigen auch den Besuchern gern, wie es geht oder einfach nur, wie man am schnellsten und einfachsten eine Nadel einfädelt. Ein paar haben fleißig Walnüsse geknackt und ich möchte wetten, auch die landen irgendwann in Sonntagskuchen! Es tut gut, diesen offenen Ort zu haben, wo jeder kommen und quasseln kann, man trifft sich wieder oder lernt völlig neue Leute kennen.

Mein Anstecker als ehrenamtliche Mitarbeiterin



Ich habe immer öfter das Gefühl, dort in meinem eigenen Elsassbuch zu leben oder in der Welt, die mich schon früh an Frankreich faszinierte. Ich liebte es beim Reisen, altes Handwerk und Kunsthandwerk zu sehen, das man so in Deutschland gar nicht mehr kennt. Den Menschen zuzuschauen und sie zum Erzählen zu bringen. Stunden könnte ich da zuhören, alles aufsaugen. Und genau das passiert am Stammtisch - die Stickerinnen sind immer da und heute häkelte eine Frau aus dünnem Baumwollgarn winzige Gefäße, die später mit Blumen garniert werden. Ich sah das zum ersten Mal - die kleinen Vasen werden um Sektkorken drapiert!

Weil ich das Choucroute schon im Buch beschrieben habe und bei den Führungen erkläre, habe ich mir die Vorführung geschenkt und bin in die Marqueterie-Ausstellung. Die zwei Männer, die dort live arbeiteten, waren fast die ganze Zeit allein - und so war viel Zeit für ein Gespräch. Das ist auch so etwas, was ich an handarbeitenden und handwerkenden Menschen so liebe: Wenn ihre Augen zu leuchten beginnen, wenn sie von ihrem Metier erzählen. So kann ich jetzt nicht nur die Ausstellung besser erklären, sondern bin absolut fasziniert.

Ich habe nämlich Parallelen zu meiner Papierarbeit entdeckt und fühlte mich sofort inspiriert. Ich habe schon mit Holzfurnier auf Papier gearbeitet, wie bei diesen Herbstblättern als Anhänger. Aber das ist einfache Collagetechnik. In der Marqueterie werden die Furniere aneinandergelegt wie Puzzleteile. Würde man das mit unterschiedlichen Papieren und Hölzern gleichermaßen machen können? Hatte es einen Sinn, damit noch anfangen zu können? Bilder von Laien, die erst seit zwei Jahren dabei sind, machten mir Mut. Man kann ja auch mit einfachen Motiven einsteigen.

Die beiden Herren vom Marqueterie-Club waren so charmant und ermutigend, dass ich ihre Einladung annehme und im Winter tatsächlich einfach mal frech in ihrem Club vorbeischaue, bewaffnet mit einem Skalpell, Furnieren und Papier. Sie finden das sehr spannend, dafür Papierkunst sehen zu können und sind schon neugierig, wie sich das verbinden ließe. Eine andere Marqueteuse macht wunderschöne moderne Arbeiten in buntem Stroh - auch das ist möglich.

Und wie ich so genieße, zuhöre und neugierig frage, erfahre ich dann die Geschichten, die man sonst nicht kennt, nämlich dass der berühmte Charles Spindler senior ursprünglich Marqueterie nicht in Holz, sondern in Papier gefertigt hatte! Spindler war einer der großen Jugendstilkünstler des Elsass, seine Marqueterien auch auf Möbeln wurden weltberühmt, machten das Kunsthandwerk weltberühmt. Von ihm stammen auch die wertvollen Marqueterien in der Kirche auf dem Mont Ste. Odile und auch in Kutzenhausen in der Kirche gibt es zwei Mariendarstellungen von ihm. Die alte Werkstatt im nahen St. Léonard beherbergt heute noch die Ateliers seines Nachfahren Jean-Charles Spindler, der die Marqueterie zu modernen Ausdrucksformen gebracht hat und heute edelste Luxusausstattungen für Kunden weltweit von Hand fertigt. Ein Museum kann man dort auch besichtigen.

Zum Abschluss habe ich mir dann aus dem Museumsladen etwas mitgenommen, was man auch in Frankreich nicht mehr selbstverständlich findet (außer im Süden): Imkerhonig von Esskastanienblüten. Den bekam ich nicht einfach nur verkauft, die Kollegin an der Kasse gab mir ihre besten Küchenrezepte dafür und ein Antigripperezept obendrein. Und nur mit Kastanienhonig und keinem anderen zu machen. Die Entenschenkel heute abend werden Testobjekte sein!

Das ist es, was ich so liebe. Ich habe nicht nur irgendwann Stoff für mehrere neue Elsassbücher im Kopf, wenn ich so weiter mache. Ich treffe jedes Mal Menschen, die etwas Besonders wissen oder können und dieses Wissen begeistert teilen. Und ich bin begeistert: Es gibt noch so viel Faszinierendes zu lernen!

Und manchmal ist es hilfreich, einfach zu fragen statt zu googeln. Für Seidenkokons, die ich zu Schmuck verarbeiten will, suche ich echten Goldfaden. Ich weiß, dass es das gibt in Frankreich, aber das Goldstickereihandwerk verzeichnet kaum noch Nachwuchs. Die Stickerin wusste gleich Bescheid und hat mir für solche Einkäufe heiß das Internationale Kreuzstichfestival empfohlen, das vom 24. - 27. Oktober Besucher aus ganz Europa anzieht. Schwerpunkt ist das Sticken an sich mit spannenden Ausstellerinnen, aber auch der Möglichkeit, sich mit Zubehör einzudecken - hier das Programm mit meiner heißen Empfehlung!

So schön habe ich schon lang nicht mehr abschalten können. Dazu kommt jetzt ein ländliches Festmahl mit Honig an der Ente ... da fällt mir ein, dass der Honigwein, den ich kürzlich im Maison Rurale bei einem Fest gewonnen habe, wunderbar als Apéro passt. Das Leben kann so herrlich sein!

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