Paradigmenwechsel

Ich bin ganz aufgeregt. Ich predige seit ein paar Monaten einigen derzeit an Verlagen verzweifelnden, aber bisher mehrfach und gut verlegten AutorenkollegInnen, dass wir uns voll im Umbruch unseres Systems befinden und die Zeiten noch nie so gut waren wie jetzt - für Anspruchsvolles, für Nische, für Schräges, für Schubladensprengendes, für Selbstverlegtes. Aber wer bin ich schon, dass man mich ernstnehmen darf!

Die hiesigen Branchenblätter und die letzten Fachkongresse zeigen: Die Branche jammert, scheint kopflos, für Verlage und Buchhandel weht ein immer schärferer Wind. Man versucht, zögerlich und übervorsichtig auf irgendwelche Züge aufzuspringen, die längst in voller Fahrt sind. Und über all dem vergisst man die ProtagonistInnen dieses Marktes, ohne die es gar keine Bücher gäbe: die AutorInnen. Mir kommen sogar vermehrt Geschichten zu Ohren, die zeigen - AutorInnen und ÜbersetzerInnen werden zunehmend nachlässiger oder schlechter behandelt - und wenn es nur extreme Verzugszeiten beim Bezahlen der Rechnungen sind.

Nun gab es auch in New York so ein großes Branchenevent, nämlich die Book Expo. Und Alan Rinzler, der nicht irgendwer ist, der nicht aus der Selbstverleger-Ecke stammt, sondern für Top-Verlage dieser Welt gearbeitet hat und arbeitet, der also vollkommen unverdächtig ist - er berichtet von deren Ergebnis: Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel. Für Autorinnen und Autoren gehe die Sonne auf, die für manche Verlage gerade untergeht.

Die amerikanischen Verleger haben, so schreibt er, ihre Versäumnisse zugegeben. Sie haben zu lange gezögert und Risiken vermieden. Die alten Wege funktionieren jedoch nicht mehr. Die Verkaufswelt der Bücher habe sich verändert: LeserInnen wünschen immer stärker ein Empfehlungsmarketing und den Direktkontakt zu den AutorInnen. Ergebnis: Etwa 80-90% (!) der verlegten Bücher in den USA tragen sich nicht mehr, müssen vorzeitig verramscht werden, fahren die Vorschüsse nicht mehr ein. Solches Wirtschaften sollte sich einmal ein Existenzgründer in der freien Wirtschaft leisten - seine Bank würde ihm schnell eins husten! Warum wundert es mich jetzt nicht mehr, dass auch in Deutschland immer mehr Autoren und Übersetzer Mahnverfahren gegen die eigenen Verlage anstrengen müssen?

Selbst Verlagsplattformen versagen laut Rinzler, weil man lediglich auf Promis und Techniken gesetzt habe, ohne zu beachten, ob ein Autor überhaupt fähig sei, nachhaltig mit einer Community ins Gespräch zu kommen. Und die Autoren, die das können, hätten sich längst damit verselbstständigt - im eigenen Blog, bei Facebook oder in anderen Social-Media-Kanälen. Man lese seinen Beitrag, in dem er auch ausführt, warum es zur großen Welle der Independents unter den AutorInnen kam und wo deren Stärken liegen.

Damit das Ganze nicht in den üblichen Freudenrausch à la "Über Nacht zum Bestsellerkönig" ausartet, räumt er aber auch mit den Mythen ums Selbstverlegen auf. Positiv: Es ist nicht mehr schmuddelig. Etablierte Verlage bieten immer häufiger erfolgreichen Selbstverlegern Verträge an (wie praktisch, wenn man nicht mehr in den Aufbau eines Autors investieren muss), Agenten ebenfalls. Die Nachricht, die viele Selbstverleger nicht hören wollen: Um erfolgreich zu sein, muss man verdammt gute Bücher schreiben, braucht man Profis fürs Lektorat, muss man sich so richtig reinknien ins Marketing - und das möglichst auch gekonnt. Sein Fazit:
"But beyond the myth, our reality is that it’s just as hard as ever to write a good book that generates and sustains the buzz, a book that people want to tell their friends about, a book that produces major sales."
Aber dieses wundervolle, wirklich gute Buch, hergestellt in absoluter Qualität, wollen wir im schönsten Beruf der Welt doch alle schreiben, oder? Unbedingt lesen: Alan Rinzler's "Good Day Sunshine for Writers".

Meine hiesigen KollegInnen kann ich nur ermuntern, ihre Scheu vor der Öffentlichkeit, vor Vernetzungen und dem Einlernen in Social Media zu überwinden - selbst wenn sie nie zu Selbstverlegern werden wollen, werden sich auch "verlegte" Bücher in Zukunft immer stärker über solche Kanäle verkaufen. Die aber funktionieren durch Persönlichkeit und Authentizität, nicht durch Gießkannenarbeit aus den Verlagen, die ohnehin nur wieder den Promis zugute kommt. Kürzlich ist mir übrigens der erste Autor bei Facebook begegnet, der erzählt, sein Verlag habe darauf bestanden, dass er sich dort anmeldet, um sich mit seinem Zielpublikum zu vernetzen.

Das Schmuddelimage ist auch in Europa passé. Wer noch keinen Namen hat, wird sich natürlich ungleich schwerer tun, weil jeder Leser und jeder Branchenbeteiligte wissen will: Ist das wirklich ein gutes und ordentlich gemachtes Buch - oder der übliche Selbstüberschätzungsquark ohne Grammatik und Rechtschreibung? Gerade in solchen Fällen muss man sehr seriös nach außen gehen und sollte nicht an guten Leseproben und Klappentexten vom Profi sparen.

Hat man einmal gezeigt, dass man "echte Bücher" schreiben kann, wird die Sache etwas einfacher, verlangt aber trotzdem Kontakte Kontakte Kontakte. Ich will nicht aus dem Eingemachten plaudern, aber ich mache gerade mit dem Nijinsky-Projekt die Erfahrung, dass diese in jeder nur denkbaren Richtung möglich sind. In Richtungen sogar, für die ich mir erst neue Wege ausdenken muss, weil sie so bisher nie beschritten wurden, jedenfalls nicht von AutorInnen. Und auch hier eine Warnung: Solches Kontakten braucht seine Zeit, will nachhaltig und persönlich aufgebaut werden, verlangt die gleiche Geduld und Beharrlichkeit wie das Schreiben eines Buchs. Noch schneller als im echten Leben wird im Internet der weggeklickt, der plump überall Eigenwerbung ablädt, nichts zu geben hat und nie etwas für andere tut.

Lieber X und lieber Y, ich hoffe, ihr merkt langsam, dass ich mir hier für euch den Wolf tippe. Macht hinne. Dass Ihr professionell schreiben könnt, habt ihr längst mehrfach bewiesen. Wie viele Monate und Jahre eures Wartelebens hättet ihr längst in den Aufbau eines eigenen Netzwerks investieren können? Es gibt da ein paar Bücher, die ich endlich von euch lesen möchte. Und wenn andere wüssten, was ihnen vorenthalten wird, nur weil's nicht in die Verlagsschubladen passt, würden sie Schlange stehen. Wann, wenn nicht jetzt?!

4 Kommentare:

  1. Die Frage ist, wie lange es im Goethe- und Musil-Land braucht, bis die Leser genauso wie die Buchleute von ihrem hohen Ross heruntersteigen und Selbstverleger nicht von vornherein aussortieren.

    Ich schätze, in den USA gehen die Leser unvoreingenommener an die Sache heran. Vielleicht, weil es dann und wann positive Überraschungen gibt.

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  2. Richard, du weißt ja, ich bin eine Feindin jeglicher Pauschalisierungen. :-) Deshalb glaube ich nicht, dass hierzulande alle vom hohen Ross herunterblicken.

    Die LeserInnen schon gar nicht. Wenn ich bei Auftritten zum Elsassbuch erzählte, mein Buch sei bei Hanser erschienen, erntete ich Glubschaugen und die stete Antwort "noch nie gehört, was ist das für ein Verlag?" Da bist du also beim Literaturverlag Nr. 1 und keiner kennt ihn. Die meisten Leser kaufen Bücher nämlich nach Themen, Titel oder Autor. Selbst wenn ich ein Buch rezensiere, muss ich manchmal erst auf dem Umschlag nachschauen, von welchem Verlag es ist. Dass mein Nijinsky bei einem etwas anderen Verlag erscheinen wird, fällt nur KollegInnen auf, wenn überhaupt.

    Die LeserInnen haben das begrenzte Angebot der Kettenbuchhandlungen über, nur ertrinken sie hilflos im anderen Angebot - und fehlerhafte, schlechte Bücher wollen die meisten auch nicht. Ich bin bei selbstverlegten Büchern genauso vorsichtig! Die meisten verlieren mich schon mit einer grauenerregenden Website voller Fehler und einem gestotterten Klappentext.

    Bei Sachbüchern ist es mittlerweile so, dass einige SelbstverlegerInnen die Verkäufe von Verlagen übertreffen und auch ganz etabliert und normal angesehen arbeiten. Da kann man allerdings auch die Spreu vom Weizen auf den ersten Blick unterscheiden - in der Belletristik ist das nicht so leicht. Und ich selbst habe doch schon über diesen deutschen Sachbuch-Bestseller im Eigenverlag geschrieben, wie hieß nur der Autor gleich, ein Journalist...

    Wer in deutschsprachigen Landen nicht offen ist, ist das Feuilleton, das sich aber zur Zeit langsam selbst erledigt. Und zu großen Teilen der Buchhandel (mit großen Ausnahmen) aber der krankt ja auch daran, dass ihm die Kunden wegrennen. Hier sind also alternative Wege oder gute Kontakte gefragt (gestern hat mich eine Buchhändlerin, die ich gar nicht kenne, gefragt, wann sie die ersten Exemplare bestellen kann!)

    Bei meinem Projekt treffe ich nur auf positive Rückmeldungen auch aus der Branche, ja sogar auf Unterstützung. Mir haben sogar Leute aus Verlagen geholfen! Häme und Arroganz erlebe ich eigentlich ausschließlich von AutorInnen und das auch nur hintenrum. Das sind aber die gleichen Zeitgenossen, die über einen herziehen, wenn man ein Buch bei Hanser verlegt ;-)

    Was ich in der Selbstverlegerszene schlimm finde, sind Leute, die schlicht noch "unfertig" sind, die arrogant oder blauäugig meinen, sich all diese Entwicklung durch Verlagsbewerbungen sparen zu können - jenseits aller Kritik. Entweder sagt ihnen kein echter Profi was oder sie nehmen Kritik gar nicht an. Da verrotten ein paar sehr wenige echte Talente an den schönen bunten Möglichkeiten - und das ist schade.

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  3. Wie ich dir schon mal getwittert hatte: ich habe mit Ballett überhaupt nichts am Hut, werde mir aber dein Buch kaufen. Einfach weil du hier und bei Twitter so ausführlich darüber und auch über persönliches geschrieben hast. So hast du mir das Thema, deine Begeisterung näher gebracht und dein Buch ist nicht mehr irgendeins über was mit Ballett. Es ist "das Buch von PvC, der ich bei Twitter folge, die so lustig und spannend blogt und der ich so meine Wertschätzung zeigen kann". Danke dafür!

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  4. Oh wie schön, Marcel! Das bestätigt meine Idee, dass sich Bücher sehr oft über Begeisterung verkaufen...

    Ich kann dich auch trösten - es wird nicht nur um Ballett gehen, bei der Verschlagwortung waren auch Stichworte dabei wie Kunst, Tanz, Psychiatrie, Mode, Design, Film, Avantgarde, Außenseiterkunst...

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