Abenteuer in Facebook Land
FB ist in der Bedienung höchst intuitiv und absolut idiotensicher - damit verführerisch. Will man seine Privatsphäre schützen und sich nicht zum gläsernen Mensch auf hunderte von Jahren machen, braucht man allerdings ein Fachstudium in angewandtem Facebook-Parameter-Verstecken oder die Lektüre in kritischen Blogs. Keine Fragen offen bleiben mit Annette Schwindts Face-Book Buch und ihren aktualisierten Tipps, die sie bei Twitter und Facebook gibt - auch im Dialog (Note 1 für Autorin-Leser-Dialog!). Und dann ersäuft man erst einmal in den Millionen AnwenderInnen und findet niemanden...
Privat gesehen ist FB absolut kurios. Ich fand eine Freundin im Chat, mit der ich gerade telefonierte. Ich konnte mit Freunden aus Polen, deren Telefon irgendwie nie funktioniert, ein Wiedersehen nach 15 Jahren arrangieren. Jemand aus meiner Klasse, der mich damals schon nicht interessierte, interessiert mich auch jetzt nicht. Der Großteil meiner Sandkastenfreunde ist nicht bei FB. Jemand, dem ich demnächst umständlich persönlich vorgestellt werde, lädt zum Befreunden ein.
Aber das Schlimmste kommt noch. Ich muss mein Bild von den eigenen Wurzeln völlig revidieren. Ich bin in einem kunst- und kulturfeindlichen Umfeld geboren und habe mir meine ganze Kindheit die bösen Geschichten von ein paar schwarzen Schafen anhören müssen, immer mit dem Zusatz: "Dass du mal bloß nicht so wirst! Du lernst was Ordentliches!" FB räumt plötzlich auf mit Familienmythen aus Emigranski Country. Die Jungs und Mädels, die nach Germany auswanderten, wurden alle etwas Ordentliches, Kunstfernes. Die Pioniersgeneration in den USA ist gestorben. Und was machen die lieben Nachkommen? Musik, Kunst, noch mehr Musik. Vielleicht bin ich doch nicht von den Elfen verwechselt, sondern nur im falschen Land geliefert worden?
Es ist nicht gesund, als öffentliche Person Privates und Öffentliches zu vermischen. Mich gibt's bei FB nur öffentlich, beruflich - privat pflege ich die gute alte Mail. Das empfehle ich jedem, der FB für geschäftliche Kontakte oder - pfui - für PR verwenden will.
Twitter versammelt Schlagzeilenintelligenz, auf Facebook werden die Todesanzeigen gelesen. Ganz im Ernst: Twitter ist ideal für Branchenkontakte, Fachinformationen, zum Abonnieren von Medientickern und dem knappen Austausch in der Kaffeepause. Es ist rasant, beweglich und für alle Zwecke einfach effektiv (ich liebe es mehr). Bei FB habe ich erst einmal gestaunt, was die hochintelligenten Fachinformanten plötzlich kicherten und schwätzten - ganz abgesehen von so manchem unterbelichteten Handy-Foto, dass man der Welt ersparen könnte. Überhaupt sieht man nirgends so viele so schlechte Fotos, die mit Wonne bequakelt werden wie annodunnemals Onkel Ernstens Diavortrag vom Mallorca-Urlaub.
Der Vorteil: Auch der größte Guru offenbart so seine Weichteile und man kommt menschlich näher an Leute heran, die man im echten Leben nicht anzusprechen wagt.
Der Nachteil: Irgendwann braucht man eiserne Disziplin und eine Strategie, um nicht selbst zum kichernden Fotofetischisten zu werden. Wobei man sich natürlich immer mit der Langeweile während der Kaffeepause herausreden kann.
Wozu aber ist Facebook dann gut, etwa für AutorInnen?
Man kann "Unternehmensseiten" aufmachen, für die eigenen Marke, für ein einzelnes Buch oder sogar für fiktive Buchfiguren. Mit denen sammelt man Fans (siehe rechts im Menu), aber die Kommunikation ist etwas begrenzter, einseitiger und damit hierarchischer. Ideal für Nachrichten, die man abladen möchte, für News, die nicht in die Zeichenzahl von Twitter passen. Mit einer App namens networked blogs kann man außerdem seine Blogs so verschalten, dass sie sich von selbst bei Facebook und Twitter verlinken mit selective tweets schaufelt man ausgewählte Tweets automatisch auf FB. Das bringt erstaunlich viele neue Leserinnen und Leser, sogar am Wochenende, wo in meinen Blogs sonst tote Hose herrscht.
Das private Profil (die Grundseite) nutzt man entweder privat, halb privat oder auch geschäftlich. Hier läuft eigentlich die Verschaltung von allem - man hat Zugriff auf seine Unternehmensseiten, kann Freunde aufnehmen, Nachrichten austauschen, chatten und hat eine Timeline, in der man den gesammten Sabbel aller Freunde sieht. FB zensiert da auch schon mal oder pennt und manche "Freunde" nerven mit dämlichen Spielen und Apps, die man zwar wegklicken und blockieren kann, aber das ist eben immer Handarbeit. Man soll ja möglichst viel Zeit auf FB verbringen. Schön: Man kann Diskussionsgruppen zu Themen gründen und da läuft dann z.B. in Sachen Buchbranche auch Hochwertiges, wo man mit Leuten am gleichen Tisch sitzt, die sich im Leben seltener vernetzen.
Vor allem aber kann man im Profil Dinge von anderen mit den eigenen Freunden teilen - der Grundgedanke und die Stärke von FB. FB ist nichts anderes als ein gigantisches virtuelles Poesiealbum, das man im Sandkasten herumzeigt und dann gibt jeder seinen Senf zu Horstis jämmerlichem Liebesgedicht. Leider gibt's keine "gefällt mir nicht"-Taste für Lehrer Lämpels Lebensmahnungen. Klar, dass der Klassenstreber Bilder vom eigenen Schulheft einklebt und damit hausieren geht, bis ihn der Rest der Welt wegklickt. Aber hier herrschen selbstreinigende Kräfte: Die hohlen Werbeschwätzer entlarven sich ganz schnell selbst, es gewinnen die Menschen, die wirklich teilen, die etwas zu geben haben. Deshalb tun sich manche Firmen mit FB so schwer, deshalb gewinnen z.B. Verlage hier so wunderbar ein neues und interessiertes Zielpublikum.
FB ist also ein Medium zum Kontakten in alle Richtungen, international und ohne Hierarchien. Hier sprechen Verleger mit Autoren und Designern, der Mann vom Börsenverein mit der Kinderbuchfigur, die Buchhändlerin mit den Literaturtage-Veranstaltern. Wie im echten Leben braucht man für Kommunikation Zeit, ein Händchen, Leidenschaft und vor allem Authentizität. Die Schiene Blog - Twitter - FB ist ideal in ihrer Ergänzung, weil jedes Medium seine eigenen Vorteile birgt und die - technisch automatische - Vernetzung dieser Medien ein noch umfassenderes Schaffen ermöglicht. Als öffentlicher Mensch ist nur der Strom von Freundschaftswilligen irgendwann nicht mehr zu bewältigen. Entweder lehnt man alle ab, die man nicht kennt und macht das kenntlich - oder man verschiebt die Unbekannten in eine Liste. Das hat den Vorteil, das man eigene Beiträge auf bestimmte Listen beschränken kann.
Nach dem einmonatigen Härtetest werde ich meine Anfangsstrategie an die Gegebenheiten anpassen:
Adieu Privatfrau... Mein bisher gut abgeschottetes Profil werde ich für Fans freigeben. Meine "Unternehmensseite" nutze ich für den Blog-Stream und News, für reine Werbung zu den Projekten. Aber als Autorin ist man eben keine Shampoomarke - ohne Kommunikation keine Kontakte und keine Fans. Diese Kommunikation läuft übers Profil einfacher. Wer zu faul ist, mir eine kurze Nachricht zu schicken, warum er "Freund" werden will, landet auf dem Müll oder einer Liste namens "Autobahn". Nur wer dann wirklich kommuniziert und nicht nur in meiner TL auftauchen will, rückt eine Stufe auf. Diese Vorgehensweise spart mir eine Menge Zeit. Nach dem Einlernen und mit Disziplin sollten zwei Stunden FB die Woche reichen - Privates nicht mitgerechnet.
Was hat FB innerhalb des ersten Monats an greifbaren Ergebnissen gebracht?
- Tolle Privatkontakte, Besuch aus Polen im echten Leben und das "Wiedersehen" mit alten vermissten Bekannten.
- Hochspannende Fachbeiträge in Gruppen.
- Runderes, umfassenderes Kennenlernen von guten Twitterkontakten - die Aliase werden plötzlich Mensch.
- Zugang zu "feinen Verlagen" wie in meinem Menu rechts.
- Bücherfrauenaustausch.
- Eine Rezension des Nijinsky (durch Twitter / FB / Mail zustande gekommen).
- Vorabbestellungen meines Nijinsky-Buchs durch einen Buchhändler, der mich kontaktierte.
- Baldiges Kaffeetrinken mit einer Verlegerin, bei der ich keine Bücher verlegen werde, also einfach so.
- Entdecken des Zweitlings von zwei Autoren, deren Erstling ich gelobt und geliebt habe.
- Kontakte, die sich ausweiten werden.
- Jede Menge unbezahlter Arbeitszeit, die sich aber als Erfahrung im Brotjob auszahlen wird.
- Das seltsame Gefühl, dass man überall durch alle Medien immer den gleichen Leuten begegnet und immer die anderen gleichen alles verschlafen. Facebook ist ein Dorf. Aber das waren ja auch erst vier Wochen...
Für diesen unterhaltsamen wie auf den Punkt gebrachten Blogbeitrag gibt es von mir ein "Gefällt mir" :-)
AntwortenLöschenFühle mich gebauchpinselt, danke! :-)
AntwortenLöschenHat mir viel gebracht, den Artikel zu lesen, Petra! Momentan würde ich selbst die Zeit nicht investieren, aber irgendwann könnte es ja mal sein-dafür ist dein Beitrag ideal als Übersicht und Fazit.
AntwortenLöschenHerzlichst
Christa
Freut mich, danke Christa. Wobei ich betonen möchte, dass das ein sehr subjektives Fazit ist. Menschen, die alle halbe Stunden Handyfotos ins Netz stellen oder mit Oma und Opa per facebook kommunizieren, werden da ganz andere Freuden erleben!
AntwortenLöschenHerzlichst,
Petra
Ich sehe das ähnlich.
AntwortenLöschenFacebook polarisiert. Auch mich.
Aber ohne?
Noch habe ich Geduld …
Und da heißt es in der Öffentlichkeit immer, Künstler seien nicht kommunikativ ;-)
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