Lesestoff für die Feiertage
"Es fällt schon auf, wie gut hierzulande die Diskussion über die digitale Zukunft des Buchs ohne die Autoren funktioniert, die offenbar weder von den Verlagen noch von den Buchhändlern in ihr Kalkül einbezogen, geschweige denn umworben werden."Dass es in der "echten" Literatur mittlerweile ähnliche Maßstäbe gibt wie in der Unterhaltungsbranche, verrät die Schriftstellerin Julya Rabinovich in einem Interview mit der Textmanufaktur. Da gibt's zwar keine Frauenromanschublade, aber dafür den genormten Ordner für Migrantenliteratur und Preise sollten heftig gesammelt werden. Offen und höchst unterhaltsam spricht die Autorin vom Neid der KollegInnen, von Kritik unter der Gürtellinie und der Exposition als Kunstfigur für den Markt. Und wer sich absolut nicht für Bücher oder Autorinnen interessiert, sollte trotzdem ins Interview hineinschauen, denn das Erlebnis mit der Kotzorgie bei einer Lesung ist so irre, dass es wirklich nur vom echten Leben erfunden sein kann.
Julya Rabinovich rät AutorInnen, die vom Schreiben leben wollen:
"Verabschiedet euch von teuren Wohnungen, Autos und großen Reisen! Dann geht das."Geht das aber auch, wenn man Bücher für 99 Cent oder knapp darüber verscheuert?
Die Bücherfrauen fragten beim Buchcamp sogar, ob Bücher in Deutschland nicht allgemein viel zu billig seien, wenn man den Aufwand dahinter betrachtet und das Preisniveau anderer kultureller Angebote. So unrecht haben sie da gar nicht - in Frankreich, wo das Einkommensniveau niedriger ist, kosten Bücher erheblich mehr - und werden trotzdem gelesen. Während also die Verlagswelt sogar über Preiserhöhungen nachdenkt, propagiert die Indieszene zunehmend die Abkehr vom preis-werten Buch zugunsten des Verschleuderns für einen Apple und ein Ei, sorry, einen Kindle und ein Ei. Wer hat nun recht? Ziehen Billigstschmöker tatsächlich mehr Kaufwillige an? Und wie lange noch? Können sie das Publikum langfristig halten?
Marion Schwehr hat Hans Magnus Enzensbergers Essay "Bücher à la carte" gelesen und macht sich Gedanken um Preisbildung bei Büchern und Qualität. In "Alles eine Frage des Preises" sagt sie:
"Es ist höchste Zeit, endlich über die Qualität der Inhalte zu sprechen und darüber die Preise der Bücher festzulegen."Einen ganz anderen Weg schlägt Matthias Czarnetzki in seinem Blog ein. Er konstatiert in Sachen Preisgestaltung zur Haltung der Leser:
"Er möchte einfach für eine Weile unterhalten werden. Und – wie er es von allen anderen Kosumgütern gewöhnt ist – das zu einem möglichst niedrigen Preis."Ich habe mir erlaubt, bei ihm in den Kommentaren ein wenig zu provozieren. Ich habe gut reden - Geiz-ist-geil-Typen sind nicht mein erträumtes Zielpublikum und ein Buch ist für mich immer noch ein Kulturgut, kein Konsumgut. Aber habe ich recht, wenn ich behaupte:
"Vielleicht trennt sich aber auch so ganz schnell die Spreu vom Weizen: Für 99 Cent gibt’s die Hobbyisten, die Profis verlangen mehr?"Ich gehe natürlich mit gutem Beispiel voran. Mein Nijinsky-Buch (Hardcover) wurde so knapp, wirtschaftlich und leserfreundlich kalkuliert, wie es überhaupt möglich ist: 15,50 Euro kostet das. Keine Frage, dass es diesen Lesestoff nicht für Centbeträge als E-Book geben wird, denn im Gegensatz zu Julya Rabinovich bin ich auf mein klappriges Auto angewiesen. Ich bin mir auch sicher: Leserinnen und Leser wissen Leistung zu schätzen, wenn man ihnen die Chance gibt. Für Menschen mit wenig Geld wurden einst die Bibliotheken geschaffen. Oder irre ich mich vollends?
"Für Menschen mit wenig Geld wurden einst die Bibliotheken geschaffen" - die Bibliothek in unserem Ort wurde vor 19 Jahren geschlossen und das Bibliothekensterben geht weiter. Sieht aus, als werden da Menschen mit wenig Geld im Regen stehen gelassen.
AntwortenLöschenIch bin übrigens kein Verfechter der Geiz ist geil/kostenlos-Kultur. Ich glaube nur, dass das Preisniveau, mit dem Leser und Autoren leben können, wesentlich niedriger liegt als bisher praktiziert.
Was spricht denn gegen die Formel Hardcoverpreis - Druckkosten - Transport/Lagerkosten = eBook-Preis? Das sollte doch ein für Leser und Autoren akzeptabler Kompromiss sein.
Da gebe ich dir völlig recht - gegen das Bibliothekensterben sind dringend Maßnahmen gefragt und hier müssen nicht Verleger, sondern Kommunen und der Staat ihre Verantwortung übernehmen! (Übrigens kurios: Baden-Baden ist an sich fast pleite, hat aber die Bibliothek ganz groß ausgebaut).
AntwortenLöschenIch gebe dir auch recht, wenn du sagst, in Deutschland sei der E-Book-Preis proportional zum Preis des gedruckten Preises viel zu hoch. Deine Formel hat etwas für sich, bei einer wirtschaftlichen Kalkulation müsste aber doch noch ein Posten für die Technik rein. E-Books stellen sich nicht von alleine her, mit zig Formaten sind sie teurer in der Herstellung als das sein müsste. Sogar Selbstverleger brauchen entweder die Arbeitszeit eines ausgebeuteten Techniksklaven oder müssen professionellen Konvertierern Geld zahlen! Das muss sich auch rechnen. Verlage sind Unternehmen, keine Sozialämter...
Trotzdem bin ich mir sicher, das E-Book wäre viel billiger. Es läge aber auch nicht bei den Amazon-Verschleuderpreisen. Natürlich halte ich dich nicht für einen Vertreter der Geiz-ist-Geil-Kultur, aber 99 Cent - 1,99 E E-Books sprechen genau dieses Klientel an! Es gibt übrigens irgendwo eine Untersuchung, dass Kunden solche Bücher massenhaft sammeln, aber nie lesen...
Kleine wahre Anekdote aus dem PR-Leben:
AntwortenLöschenEin Bio-Pharmaunternehmen verkaufte eine grandiose Mischung von wertvollen Essenzen zur Einführung für 5.99 E und wunderte sich, dass das Medikament trotz Studien und allem Brimbamborium gar nicht ankam. Es hagelte sogar Briefe, das könne ja unmöglich wirken, bei dem Preis wäre doch wohl nur Schrott abgefüllt worden.
Prompt haben sie den Preis hochgesetzt, auf böse 19.99 E...
Ergebnis: Innerhalb kürzester Zeit war das Unternehmen bei diesem Mittel Marktführer und hatte die billigere Konkurrenz (um 10 E) weit hinter sich gelassen. Die Kunden waren nicht nur hochzufrieden, sondern berichteten jetzt sogar von Spontanheilungen und Wirkungen, für die das Medikament gar nicht vorgesehen war. Es wurde DER Geheimtipp.
KundInnen sind verführbar.