Eine wunderbare Verlegerin pausiert

Gestern hatte ich eine Mail von Lisette Buchholz im Kasten, die mir wie selten ein Text tief aus dem Herzen sprach - und die mich doch auch traurig und sprachlos machte. Lisette Buchholz ist die fabelhafte Verlegerin des Persona Verlags in Mannheim, eine dieser kleinen, aber feinen Perlen von verlegergeführten Verlagen, wo Bücher noch Bücher sein dürfen. Unermüdlich gab die Verlegerin seit 1983 Werke vor allem aus der vergessenen Exilliteratur zwischen 1933 und 1945 heraus. Ich entdeckte den Verlag durch das grandios übersetzte Buch "Die Engelspuppe" wieder - Literatur, wie sie sich nicht mehr viele Verlage trauen, weil immer mehr in einem glattgebügelten Markt das Risiko und den Übersetzungsaufwand scheuen.

Dank Gesine von Prittwitz ist die Mail nun zu einem offenen Brief geworden, den gesamten Text kann man hier nachlesen: "Warum ich 2011 kein Buch verlege." Jeder Mensch, dem Bücher auch nur irgendwie am Herzen liegen, sollte diesen offenen Brief unbedingt lesen!

Denn Lisette Buchholz bringt darin das ganze Dilemma einer schnellstdrehenden Warenwelt zum Ausdruck, in der Bücher zur Melkkuh fürs Profitdenken à la Mc Kinsey geworden sind, in der selbst sogenannte Hochliteratur nur noch hektisch im Karussell von Preisen und Hypes dreht.
"Nach­denken? Nach­sinnen? Einen Schritt bei­sei­te­treten? Das Feld räumen? Aufräumen? Von wegen. Das Leben, zumal das li­te­ra­ri­sche, ist eine Ach­ter­bahn", schreibt sie.
Und was sie über ihre AutorInnen zu sagen weiß, fragen sich so viele AutorInnen anderer Verlage ebenso:
"Jeden Don­nerstag, wenn ich das Börsen­blatt aus dem Kasten ziehe, weiß ich schon, welche Gefühle mich er­regen werden, wenn ich es durchblättere. Ist das noch meine Branche? Habe ich einen Verlag gegründet, um dabei mit­zutun? Ich sehe meine Au­to­rinnen und Au­toren vor mir – sie eignen sich zu al­ledem nicht. ... Zu ernst­haft, zu selbstständig, zu wenig markt­ge­recht, waren bzw. sind sie nie an den rich­tigen Orten, um ein­schlägige Kon­takte zu knüpfen. Alle Vor­aus­set­zungen für den Beruf des Ada­beis fehlen ihnen. Manche leben im Aus­land und sind in Deutsch­land schwer un­ter­zu­bringen."
 Die Verlegerin nimmt sich für dieses Jahr eine Auszeit. So eine kreative Pause, ein solches Nachdenken können äußerst fruchtbar sein. Ich hoffe, sie kommt 2012 mit neuen Ideen wieder. Ich möchte laut Applaus klatschen für diesen aufrüttelnden Brief.

Aber er macht mich auch unendlich traurig. Es scheinen ausschließlich diejenigen nachzudenken, die ohnehin Bücher mit Hirn machen. Börsenverein & Co. diskutieren "Content", machen sich Gedanken um Bücher, als könne man sie künftig wie billige Zahnpasta aus Schreibsklaven und Übersetzerprostituierten pressen. Nirgendwo in den einschlägigen Branchendiskussionen hört man sich die Schöpferinnen und Schöpfer der Inhalte an - und die echten, alten, womöglich schon aussterbenden Verlegerpersönlichkeiten, die Inhalte wie Schöpfer pflegen!

Was aber soll aus unserer Bücherwelt werden, wenn immer nur die ohnehin Bemühten nachdenken und aussteigen - oder wie derzeit an mehreren anderen Stellen spürbar, nah am Bankrott vorbeischrammen? Was, wenn uns in diesem überfüllten Fastfoodmarkt eines Tages all die Bücher wegbrechen, die anders sind, die individuell sind, die ihre Leserinnen und Leser im besten Sinne fordern und beschäftigen, berühren und verändern? Was, wenn diese AutorInnen, VerlegerInnen und ÜbersetzerInnen aufgeben angesichts der Übermacht? Wollen wir in einer Welt leben, die derart verarmt?

Zufällig kam eben eine Meldung von Reuters herein, in der beklagt wird, dass diese ach so schöne neue Welt des Kindle-Shops zu einem riesigen Mülleimer von Spam zu 99 Cent wird. Bücher, die gar keine richtigen Bücher sind. Dreck von Profitgeiern und billigen Jakobs, unter dem irgendwann die richtigen Bücher ersticken könnten. Man findet sie ja nicht mehr. Diese Bücher, von denen heute noch alle jubeln, sie würden unsere Zukunft bergen.

Ich denke, unsere Buchwelt braucht das Innehalten dringend. Aber danach braucht sie eine breite Angriffsfront von Qualität. Sie braucht engagierte Menschen auf allen Ebenen, für die Bücher mehr sind als nur ein Tor zum Hype, ein Aushängeschild fürs Feuilleton oder der Lottogewinn auf der Bank.

Die Bücher brauchen uns. Bücher brauchen Menschen. Sie brauchen Leidenschaft und Passion, Enthusiasmus und all die noch nicht erzählten wichtigen Menschengeschichten.
Bücher brauchen aber auch etwas, das im Laufe der Jahre vollends verlorengegangen ist in einigen Berufen (Verleger, Kritiker): Sie brauchen Trüffelschweine und Perlenfischer, Gärtnerinnen und Kuratorinnen.
Warten wir nicht darauf, bis sich der Börsenverein klar darüber geworden ist, welche Zukunft des "Prinzips Buch" er gerne hätte. Verramschen wir uns nicht als mies geachtete Contentsäue! Lassen wir nicht die Unternehmensberatungen urteilen, was Literatur sein darf.

Unsere Leserinnen und Leser sind hungrig. Aber sie sind bei weitem nicht so debil und anspruchslos, so hirnbegrenzt und dummgebürstet, wie sie einige Marktbeteiligte gern hätten.
Bin ich zu idealistisch, wenn ich daran glaube, dass genau diese mündigen Leserinnen und Leser auch noch in Zukunft gute Bücher lesen wollen - egal in welcher äußeren Form?

5 Kommentare:

  1. Ich mich als reiner Leser ganz herzlich für die folgenden Sätze bedanken:

    Die Bücher brauchen uns. Bücher brauchen Menschen. Sie brauchen Leidenschaft und Passion, Enthusiasmus und all die noch nicht erzählten wichtigen Menschengeschichten.
    Bücher brauchen aber auch etwas, das im Laufe der Jahre vollends verlorengegangen ist in einigen Berufen (Verleger, Kritiker): Sie brauchen Trüffelschweine und Perlenfischer, Gärtnerinnen und Kuratorinnen.
    Warten wir nicht darauf, bis sich der Börsenverein klar darüber geworden ist, welche Zukunft des "Prinzips Buch" er gerne hätte. Verramschen wir uns nicht als mies geachtete Contentsäue! Lassen wir nicht die Unternehmensberatungen urteilen, was Literatur sein darf.


    Das wird demnächst auch auf unserem Fantasy-Forum zitiert. (Und ich hoffe, das ist erlaubt. Und "Fantasy ist nicht zu schmuddelig. ;))

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  2. Ja gern ist das erlaubt mit Quellenangabe, Teich! Ich habe übrigens in meiner Bibliothek ein recht breites Fantasy-Scifi-Regal und finde Autoren wie Ursula K. Le Guin oder Terry Pratchett literarisch. Ich lebe aber auch in einem Land, in dem man sich zwischen E und U nicht zerfleischt ... Eine meiner Meinung nach überflüssige Diskussion.

    Ich persönlich unterscheide allerdings immer zwischen der UnterhaltungsBRANCHE und dem literarischen MARKT, weil einfach die Marktmechanismen völlig andere sind. Die muss man als Autor kennen (nicht als Leser). Wie Lisette Buchholz' Brief zeigt, nähern sich die Methoden aber mehr und mehr an. Eine Hegemann hat sich letztendlich mit den gleichen Methoden verkauft wie ein Bohlen. Und was in der Fantasy die Fans bringen, bringt in der Literatur der Jahrmarkt um die Auszeichnungen...

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  3. Hi Petra,

    Zitat mit Link ist hier in unserem Newsthread einsehbar:
    http://forumos.net/index.php?page=Thread&postID=273608

    Gruß,
    Teich

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  4. Herzlichen Dank, Teich, das ist nett - und so kam ich sogar noch zu News über Pratchett, die ich noch nicht kannte!

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  5. Gerne geschehen und vielen Dank für Deine Erlaubnis.
    Und ja, ich versuche unsere "Fantasy-News" meist breit zu fächern und die Hype-Themen (z.b. Harry Potter, House of Night, Tribute von Panem) eher Sachen zu opfern, die ich für relevanter halte.

    Wozu auch solche Beiträge von Dir oder auch die Pterry Sterbehilfe zählen.

    Gruß,
    Teich

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