Rassismus in Dosen?

Vorhin schnell den Einkaufszettel geschrieben: Tomaten. Auf keinen Fall die Tomaten vergessen, schließlich ist Saison! Ich habe mich beeilt für die Wochenendeinkäufe, bevor die Touristen aus dem Osten am Feiertag in die vereinzelt morgen im Westen geöffneten Supermärkte einfallen wie die Heuschrecken. Diese Fressinvasionen über die Grenze bergen inzwischen europäischen Witz: Während die Deutschen zwischen unseren Regalen vom französischen Savoir vivre schwärmen, schimpfen wir über unsere französischen Unsitten: Fabrikkäse, der Tage vorgeschnitten im Zellophan verschwitzt, zu viel Convenience Food, zweifelhafte Winzermethoden und überteuertes Gemüse aus der Massenhaltung. Dafür überrennen wir regelmäßig die deutschen Discounter, in denen man sogar Bioware billiger bekommt als unsere Edeldosen.

(c) PvC
 Gestern gammelte mir im deutschen Supermarkt noch das Gemüse entgegen. Zu Spottpreisen verramschten sie dort welken Salat, zerdrückte Gurken und teilweise schon schimmelnde Tomaten. Ein Alien hätte glauben können, die Bevölkerung jenes Planeten ernähre sich nicht nur vorwiegen von Gammelfleisch, sondern auch von Gammelgemüse. Kein Wunder, wenn man sich Essen im Vergleich zu anderen Dingen möglichst nichts kosten lässt. Hauptsache billig. Mich ekelten die Auslagen an. "Aus deutschen Landen frisch auf den Tisch"?

Natürlich hatte ich auch hier im Ausland die Hetzkampagnen gegen unschuldige Gurken und Tomaten mitbekommen, die in der deutschen Presse tobten. Ziemlich übel, wie da auf wehrloses Gemüse eingedroschen wurde. Während bei Kachelmann alles "in dubio pro reo" schreit, vorverurteilten die gleichen Menschen unschuldige Gurken, beschworen Populisten leichtfertig eine vegane Gefahr aus dem Lieblingsurlaubsland. Rot-Grün hatte schwer zu schlucken, denn keiner mehr wollte sie schlucken. Während man in Japan Salat wegen Radioaktivität unterpflügte, schredderte man ihn in Deutschland unter Generalverdacht. Tausende Deutsche bekehrten sich plötzlich zu einer uralten, vergessenen Tradition: Sie wuschen sich die Hände nicht nur vor dem Essen, sondern auch vor dessen Zubereitung. So viel Sauberkeit war nie.

Der Angriff der Killertomaten und Killergurken forderte so viele Tote, dass der Fortbestand von eingeschworenen Veganerzirkeln ernsthaft gefährdet scheint. Terroristische Zellen decken sich mit norddeutscher Gülle ein. Salat kräuselte sich vor Schmerz, Gemüse wurde misshandelt und getötet. Kein Aufschrei, nirgends, dass man solche Behandlung nicht unter "artgerecht" verbuchen kann! Niemand, der heimlich und unter Verhaftungsgefahr Tomaten befreite. Stattdessen bejubelte man die Todeskommandos, die ihnen den Garaus machten und forderte gar Subventionen dafür! Die ersten spanischen Gurken beantragten Asyl in Frankreich, nachdem sie aus Deutschland abgeschoben worden waren. In der österreichischen Presse packte endlich eine spanische Gurke aus, wie schlimm Rassismus und Diskriminierung von grünem Gemüse ihre Artgenossen getroffen hatten.

Der Wahnsinn hatte Methode. Tante Erna ließ ihr Gemüse im Garten auf dem Stengel verfaulen. Dabei hätte sie nur Onkel Ernst verbieten müssen, ins Beet zu sch...en, Colibakterien fallen schließlich nicht aus der Luft. Eine radikale anarchistische Abordnung von Cocktailtomaten ging auf die Barrikaden: Sie forderten Einmachen statt Abschieben, Pastasauce statt Grünmüll und verteilten alte französische Rezepte von Kopfsalat-Suppe. Allein drei Todesfälle ereigneten sich in Europa, als Gemüsegegner auf überreifen Gurken ausrutschten. Derzeit wird geprüft, ob sich Rinderwahnsinn auch über Gemüse auf den Menschen überträgt.

Tja, ihr habt schon Probleme da drüben, rechts vom Rhein. In unserem elsässischen Supermarkt haben die deutschen Touristen heute fleißig das überteuerte Gemüse gekauft. "In Frankreich hammse das nich", hörte ich einen sagen, als er nach den Gurken aus Espagne griff. "Guck, da steht Espagne, das heißt doch was mit Sparen", meinte Tante Erna. Hach - und diese Tomatenauswahl! Tomaten aus Espagne, aus France, aus Hollande. "Näh, Muddi, Holland isch zu hoch im Norde, do bei Norddeitschland, nemme mer libber die mit Espagne, middem Sparpreis!"

Dumm nur, dass im elsässischen Regal ebenfalls der Rassismus tobte. Wir wissen nicht, inwieweit Marine Le Pen an dem Kompott, pardon Komplott, beteiligt ist. Wir wissen nicht, warum selbst die Touristen eine wunderbare pralle Frucht zum Outlaw machen. Keiner von uns wollte sie auch nur mit der Beißzange berühren, nicht unter Todesgefahr erstehen: die deutsche Erdbeere. Dabei war die wirklich ausnahmsweise spottbillig. Was hatten die unschuldigen armen Früchtchen heute auszuhalten! Verachtungsvolle Blicke. Menschliche Gleichgültigkeit. Arroganz. Niemand, wirklich niemand war bereit, deutschen Erdbeeren in seiner Küche Asyl zu bieten!

Aber ich sag euch was ... Gestern abend in der Dämmerung habe ich sie gesehen. Ganze Schlepperbanden bewegten sich von den badischen Erdbeerbauern über die grüne Grenze nach Frankreich. Hätten sie Grenzkontrollen gemacht, wären wahrscheinlich in jedem dritten Auto mitreisende Erdbeeren und versteckter Spargel entdeckt worden. Die Badner waren noch dreister - die haben die frechen Früchtchen gleich zu Fuß abgeholt und über dunkle verschlungene Pfade in konspirative Wohnungen gebracht. Wenn das so weitergeht, werden aus Bananenrepubliken noch Gemüsediktaturen. Soll aber keiner sagen, ich hätte euch nicht vor Erdbeeren gewarnt!

Disclaimer (muss man ja heutzutage dazuschreiben, wenn man Satiren verbricht): Nein, ich mache mich hier nicht über einzelne Todesfälle und Leid lustig, sondern über verbreitete Medienkampagnen und Pressedurchfall. Und wie immer natürlich auch über Tante Erna und die Le-Pen-Wähler.

PS: Endlich berichtet auch die Presse sachlicher und recherchiert ... CNN meldete gestern, ein chinesisches Genforschungslabor habe den EHEC-Erreger als eine gefährliche Kreuzung identifiziert, wie sie aus einigen Ländern, z.B. Afrika, bereits bekannt ist. Umstritten soll außerdem sein, ob sich der Erreger überhaupt über Gemüse überträgt. SpOn brachte eine deutsche Fassung. Aber nachdem mir Blogger gestern diesen Nachtrag geschreddert hat, finde ich den Link leider nicht mehr.

6 Kommentare:

  1. und dann kam eine Zuchinni aus USA angereitet und rettete die Welt und es war gut so.

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  2. Mach mir keiner die sauren Gurken in Moskau scheu! Sonst setzt's Dill, aber tüchtig!

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  3. Die spansichen Gurken auf Facebook: http://www.facebook.com/pages/Spanische-Gurken/169204286474062

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  4. "Guck, da steht Espagne, das heißt doch was mit Sparen."

    Köstlich, liebe Petra!
    :))

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  5. @Anonym
    Irre, wozu die Welt so Zeit hat...
    Ich bevorzuge aber in Indien gepflückte russische Gurken in Tunke aus Schwaben. ;-)

    @Rabenblut
    Irgendwann muss ich mal eine Hommage an die Tante Ernas dieser Welt schreiben. Solche Witze würden mir selbst nie einfallen!

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  6. Kleine Erklärung zum Inhalt, weil dieser Beitrag immer noch so häufig abgerufen wird: Die Satire bezieht sich auf einen Vorfall, als einzelne mit EHEC Infizierte zu einer Pressekampagne von besonderem Ausmaß führten: Gemüse und Salat aus dem europäischen Ausland fiel in Deutschland unter Verdacht und wurde dann auch massenhaft vernichtet. Die mediengeschürte Panik war so groß, dass Gastronomen zeitweise keinen Salat mehr verkaufen konnten. Im Ausland kannte man die Fälle zwar auch, blieb aber besonnen und aß weiter. Mit ein bißchen mehr Hygiene vielleicht. Heute, vier Jahre später, ist das alles wahrscheinlich längst vergessen!

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