Danke, Derain!

Ich kann mich gerade überhaupt nicht konzentrieren, weil der Text für die Übersetzung im Original passagenweise "mou" ist - "schwammig"  ... Dazu muss ich noch zu viel nachschlagen, weil nicht ganz klar ist, über welches Museum Monsieur Derain gerade frohlockt. In solchen Momenten langweile ich mich. Surfe in Sachen Museum herum, dann fällt mir ein Bild ein und dann passiert es: Das Nijinsky-Cover ist so gut wie gerettet. Ich bin doch tatsächlich über ein wirklich gemeinfreies Gemälde gestolpert (noch kann ich das nicht ganz glauben) und über eine zeitgenössische Portraitzeichnung eines Petersburger Künstlers obendrein. Was mir außerdem die glorreiche Idee eingab, später einmal direkt in russischen Museen zu stöbern und Preise zu vergleichen - wozu gibt es schließlich Internet.

Noch bin ich von dem Bild nicht ganz so begeistert, aber es hat etwas ganz Besonderes. Obwohl in der Anfangsphase der Ballets Russes entstanden, wirkt es wie eine Vision der Zukunft Nijinskys. Und vor allem hat es noch keiner in diesem Zusammenhang verwendet. Meine grafische Seite probt vor dem geistigen Auge bereits Farben, Titel, Gestaltung. Die brave Arbeiterin in mir kehrt zur Übersetzung zurück.

Meine LeserInnen mögen sich inzwischen mit Kurt Tucholskys Blick auf die Ballets Russes vergnügen - da er seit mehr als 70 Jahren tot ist, darf man ihn in voller Länge mit Quellenangabe zitieren. Er schrieb den Beitrag in der Schaubühne 1914, in dem Schicksalsjahr, in dem Nijinsky die Ballets Russes verlassen musste:
Kurt Tucholsky / Peter Panter: Russisches Ballett
Die Schaubühne
, 19.03.1914, Nr. 12, S. 347, gefunden bei Zeno.

Russisches Ballett

Ach, Nijinsky, wo bist du? Jedenfalls nicht bei dieser gottverlassenen Truppe. Die schöne Dekoration im ›Geist der Rose‹ erinnert noch an dich, und die Kostüme des ›Karneval‹, den die Slawen damals so deutsch herausbrachten, daß man das Land, das Schumann mit Seele und Musik ersehnte, noch mehr liebte denn je. Damals sprangst du noch herum; du tanztest nicht, obgleich du das konntest. Du tatest irgend etwas andres – man begriff auf einmal, was dieses Springen und Hüpfen zu bedeuten hatte. Und letzten Endes gibt es ja nur ein Kriterium in allen Künsten: die Gänsehaut.

Das ist lange her. Heute vermißt man dich umso schmerzlicher, als Fokin dich ersetzen möchte. Fokin, der immer aussieht wie der Märchenprinz der kleinen Matzke aus dem ›Schlaraffenland‹! Nein, damit ist es nichts. Das Theater (am Nollendorfplatz) allein war nicht schuld. Obgleich in der einen Loge die Harfe saß (nicht etwa die Pauke); obgleich der Kapellmeisterbart die Szenerie verdeckte, obgleich alles so kümmerlich aussah. Was ist aus euch geworden? Das war doch früher nicht. Nicht diese süßlichen Posen, diese Attitüden des Zirkusballetts: »Kommt, Mädchen, laßt uns eine Gruppe bilden!«; nicht diese gezwungenen Stellungen mit neckisch geneigten Köpfchen; nicht diese Finales, die aufgehen wie eine Regeldetri. Was ist euch die Musik? Ihr tanzt doch zuckrig und kümmert euch nicht darum, obs Chopin oder Weber oder Arensky ist. Wo habt ihr das früher getan: malerische Trachten, wie sie das schlechte Varieté liebt, zur Schau zu tragen? Wo hättet ihr früher so unbedenklich gekitscht? Gewiß, ihr könnt noch alle tanzen. Einmal sogar, in einem Narrentanz, sehr gut: wie da alle bei einem dumpfen Celloton in der Luft schwebten! Und doch . . .

Wo bist du, Nijinsky! Komm, lege noch einmal deinen Schleier nieder, und siehe: er wurde zum Weib, weil du es wolltest. Fahre noch einmal wie ein buntes Rad unter die Tanzenden! Ach, Nijinsky, wo bist du?

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