Freitag, der 13.
oder was dieser Beruf mit Wodka bei Chopin gemeinsam hat
Es ist passiert. Es ist genau das passiert, was ich seit Monaten insgeheim am meisten fürchtete: Das Projekt "Ballets Russes" ist gestorben.
Und zwar genau aus dem Grund, den ich befürchtete. Im Ausland waren sie alle mal wieder schneller, englischsprachige Titel erscheinen reihenweise und nun legt auch noch das Victoria & Albert Museum eine unnachahmliche Prachtausgabe inklusive Musik vor, der mein Projekt zu nahe gekommen wäre. Das lässt sich nicht einmal von Verlagen toppen (schon gar nicht mit einem Noname) und Lizenzen sind nur noch eine Frage der Zeit - Fans kaufen sich die Originale sowieso direkt. Kurzum, das "Aus" kam aus genau diesem Grund: "Der Markt für das Thema ist inzwischen ruiniert." Marktsättigung.
Künstlerpech nennt man das wohl, die allererste angedachte Veröffentlichung wäre perfekt im Timing gewesen, mit riesigen Möglichkeiten der Vermarktung, aber damals sprang im falschen Moment beim Verlag ein wichtiger Sponsor ab und das war es dann gewesen. Und dann hat alles einfach zu lang gedauert. Survival of the fittest.
Nun liegt ein druckreifes, fertig lektoriertes Manuskript über Nijinsky auf der Festplatte, für das ich mir nervenaufreibend die Rechte wieder besorgt hatte. Theoretisch könnte ich einen Schnellschuss aus der Hüfte via BoD unternehmen, aber für die drei Dutzend Fans ist der Aufwand zu hoch. Zumal der Markt da für mich nicht weniger gesättigt wäre als für einen Verlag mit Power, im Gegenteil. Außerdem kenne ich die Preise für die Bildrechte und die sind übel, also privat gar nicht zu stemmen - da jappsen auch Verlage. Nijinsky ohne Bilder, ohne Foto auf dem Cover - undenkbar. Vor allem aber käme ich mir vor wie bei einer Bankrotterklärung meiner selbst. Das wäre nach all dem das Schlimmste.
Tja. So komme auch ich endlich einmal zu einem ganzen Buch in der Schublade, das obendrein dadurch geadelt ist, dass es schon einmal ein Verlag gekauft hatte. Zum Glück ist es noch nicht umgeschrieben. Ich kann es jetzt meinem Hund vorlesen. Oder teure Seminare veranstalten über den richtigen Zeitpunkt, den Kairos.
Und dann ist mir etwas passiert, was mir noch nie passiert ist, was ich mir nicht einmal geträumt hätte. Ein Verlag hat mir von sich aus einen Vertrag angeboten, ob ich denn Lust hätte. Es klang nicht nur nach Lustthema, es kam noch besser - so etwas Ähnliches hatte ich bereits in ganz anderem Zusammenhang angedacht, es dann wieder weggeschoben ... ach, das wäre mal was so in zwei, drei Jahren, aber nichts Eiliges, dachte ich. 2012 soll das Buch erscheinen. Theoretisch könnte ich gleich loslegen. Da sitze ich also mit dem Angebot eines Verlags über eine Idee, die sich perfekt mit all meinen Interessen und Arbeiten verknüpft.
Mir kommen ein paar tüchtig in Wodka schwimmende Feste in Polen in den Sinn, wo mir mal jemand anhand von Chopin (der Wodka hieß übrigens genauso) erklärte, wie man Melancholie überwinde. Man lasse sich absolut ins tiefste Tief fallen, zelebriere das auch noch (mit Chopin & Chopin) und dann passiere etwas Seltsames: am Scheitelpunkt ganz unten ginge es nur noch nach oben. Ja, in der Tat, man kann auch zu Chopins Musik auf dem Tisch tanzen! Heute bin ich der Meinung, dass man getrost auf den Wodka verzichten kann, sofern man Buchautor ist. Der Buchmarkt bringt einen an einem einzigen Tag ganz tief unter den Tisch und dann auf den Tisch.
Übrigens: Nicht dass ich jetzt von den Russen lassen würde. Da ist der berühmte "point of no return" längst erreicht, zumal ich schon ernsthaft in Erwägung zog, endlich mein rudimentäres Russisch aufzufrischen. Und eine Liebe, mit der man so viel Zeit verlebt hat, legt man nicht einfach schnöde ad acta. Die Ballets Russes sind tot, es lebe Ich-Weiß-Noch-Nicht-Was! Ich habe gleich gefragt, ob ich mich wieder melden darf, wenn ich ein komplett anderes Thema aus dem Thema gemacht hätte. Zufällig fährt da ein Heft in Benois-Blau herum, in dem ich seltsame Dinge notiert habe, die mir bei den Recherchen begegneten und die ich leider bei den Ballets Russes hätte aussortieren müssen...
Zwei Sprüche habe ich darin ganz zu Anfang für mich selbst notiert:
"Ah Monsieur, das hat man noch nie gemacht, das ist unmöglich!"
(Der Leiter der Pariser Oper zu Diaghilew)
"Wir werden nicht müde werden, es zu sagen, und noch weniger müde, die neuen Ideen auszusprechen und die neuen Bilder zu zeigen, bis der Tag kommt, wo wir unseren Ideen auf der Landstraße begegnen."
(Franz Marc)
Vielleicht bin ich komplett verrückt geworden, aber ich habe das Gefühl, bei so viel verpassten Zeitpunkten und Pech zur Unzeit kann ich meinen przypadek schon förmlich neben mir her laufen sehen. Ich WEISS, dass sich die leicht verrutschte scheinbare Parallele irgendwann schneiden MUSS.
Und ich lege jetzt Gustav Mahler auf und mache "meinen Autor" fertig - noch 24 Seiten - denn am Montag muss ich schon einen vorläufigen Klappentext andenken und mich dann für die Vertreterkonferenz beeilen. Chopin muss warten.
Autorenalltag.
Hörtipp:
Absolut passend zur Stimmung: Goran Bregovic: "Tales and Songs From Weddings And Funerals"
Meine Güte, Petra, was muss man für ein Stehaufmännchen sein, um bei solchen Entwicklungen den Kopp oben zu behalten! Schade, schade um das schöne Buch - das ich zwar nicht kenne, aber "schön" vermute!
AntwortenLöschenSo schön, wie die Prachtausgabe des Victoria & Albert Museums (Link anklicken) zur Ausstellung natürlich nicht, denn da stecken ganz andere Gelder und Personalien dahinter, die ein Verlag auch nicht ohne weiteres aufbieten könnte.
AntwortenLöschenInsofern versuche ich es positiv zu sehen: Selbst wenn mein Buch damals pünktlich erschienen wäre, hätte es nur knapp ein Jahr gehabt, bis die Konkurrenz es plattgewalzt hätte.
Ich weiß nicht, ob man dazu Stehaufmännchen sein muss. Vielleicht eher durchgeknallt? ;-) Zweifel kommen bei mir auf, weil ich nicht zusammenbreche, dann komme ich mir nämlich größenwahnsinnig vor, weil ich immer noch an das übergeordnete Themengebiet glaube.
Vielleicht klingt das alles auch sehr hart von außen betrachtet, das Sachbuchgeschäft ist eigentlich immer so, nur schreibt man normalerweise nicht vorab. Von zehn Ideen kommen ungefähr ein bis zwei durch, höchstens drei werden vielleicht Jahre später in völlig neuer Form zum Buch, der Rest ist Totgeburt. Wirst du doch vom Fachbuch her ähnlich kennen?
Auch das muss man in dem Metier lernen: Eine Absage, wenn man mal "drin" ist, ist kein Ende, sondern eine Chance für einen Neuanfang. Ich werde ein Thema stricken müssen, das unverwechselbarer ist, das kein anderer so schnell macht, weil die ganze Welt Hundertjähriges feiert ... dann gibt's ein neues Exposé und neue Gespräche.
Allerdings hätte ich nicht gedacht, wie brutal das ist, zwar bezahlt, aber nicht gelesen zu werden. Das ist das Härteste...
Schöne Bücher gibt's trotzdem. Anfang 2011, "nur" eine Übersetzung, aber ein besonderes Buch. 2012 ein eigenes Buch, bei dem du juchzen wirst, das weiß ich. Beide in einem sehr schönen Verlag. Und wenn ich erst mal wieder Zeit und Hirn habe (Herbst), kommt der Rest. Irgendwie.
Geld habe ich außerdem gespart. Ich buche nächste Woche nicht John Neumeiers "Hommage an die Ballets Russes" im Festspielhaus. Das wäre dann für meine Nerven doch zuviel...
Fluchen, Heulen, Lachen, Weitermachen...
Liebe Petra,
AntwortenLöschenes ist zum Heulen! Gerade bei Projekten, die einem so sehr ans Herz gewachsen sind, ist das wie ein kleiner Tod.
Schade, schade. Solltest Du Dich doch irgendwann für BoD entscheiden, gehöre ich auf jedenfall zu den "paar" Käufern.;-)
Und für Dein Angebort wünsche ich Dir alles Gute! Da hat aber derjenige, der die Tür zuschlug, dafür das Fenster aufgelassen, oder?
Ich tröste mich heute auch mit Chopin (ohne Chopin).
Liebe Grüße,
Nikola
P.S. Auch ich bewundere Dein "think positiv".
Liebe Nikola,
AntwortenLöschenstatt Fenster und Türen gibt's eine Telefonleitung.
Und natürlich denke ich nicht immer positiv, nur muss ich mit meinen Wehwehchen nicht die ganze Welt belämmern ... Ich bin heute so zuversichtlich, weil ich die schlimmste Schaffenskrise meines Lebens im Frühjahr mit der Rechterückholung schon hinter mir habe. Das Gute an solchen Katastrophen ist, dass man danach umso genauer weiß, was man selbst will und worauf man noch mehr Acht gibt, auch wenn man solche Konstellationen nie verhindern kann.
BoD. Bei meinem Anspruch an Niveau wäre der Aufwand einfach erheblich, denn für ein solches Buch wünschte ich mir außerdem ein Fachlektorat, müssten Rechte geklärt werden (ich zitiere aus Nijinskys Tagebüchern), müsste die gesamte Aufmachung adäquat sein. Und selbst dann würde man meinen Rechercheaufwand nie ansehen, weil jetzt eben plötzlich die Texte erscheinen, die ich mir mühsam in den USA und sonstwo zusammensuchen musste. Es wirkt dann schlimmstenfalls wie abgeschrieben...
Heute Nacht hatte ich aber die Schnapsidee, weil ich seit 2008 (!) an diesem Projekt gearbeitet habe, mir den Verlust an Lebenszeit vielleicht mit einem "Arbeitsbuch über das Scheitern" zu versüßen. Auch wenn ich natürlich nicht mithalten kann, dachte ich insgeheim an die wundervolle Doku über den Kultregisseur Terry Gilliam "Lost in La Mancha", die eindrücklich erzählt, wie er mit seinem Projekt Don Quixote haushoch scheiterte, an den verrücktesten Problemen. Der schönste Film über das Scheitern, ein MUSS für alle Künstler:
http://www.smart.co.uk/lostinlamancha/lm_index.htm
Vielleicht nehme ich meinen Text und erzähle drumherum etwas von der Arbeit daran, mit Fotos nicht von den Ballets Russes, sondern von meinen Vorarbeiten und Arbeitsorten. Denkbar wäre, die Stellen, zu denen man Rechte einholen müsste, zu schwärzen; die Stellen, mit denen ich unzufrieden bin, zu markieren - so dass auch einmal sichtbar wird, wie viel Arbeit es von einem normalen Lektorat bis hin zum Sachbuch ist.
Nicht, dass ich da Verlagsinterna erzählen würde - einfach nur eine Art Arbeitsbericht persönlichen Scheiterns, ein Weg von der Idee zum Buch, das eben kein Buch wurde.
Aber auch das macht verdammt viel Arbeit und würde vor Herbst nicht drin sein...
Wäre aber vielleicht eine Alternative?
Schöne Grüße,
Petra
Dann wäre nicht alles vergeudet. Mich könnte die Vorstellung, meine Arbeit qualitativ-hochwertig in der Schublade modern zu lassen, nicht befriedigen. Aber bei einem Sachbuch verstehe ich das natürlich - das wäre dann erst recht Vergeudung, wenn man seine langwierige Recherche vor die Säue wirft.
AntwortenLöschenNanana ... vor die Säue wirft man da nichts. Bei BoD gibt's inzwischen neben viel Kram ohne jedes Mindesthandwerk genug professionell gemachte Fach- und Sachbücher, die dann auch nicht schlecht verkauft werden.
AntwortenLöschenWas schlimm ist, ist mein Anspruch an mich selbst: Wenn BoD, dann auch professionell in Typografie, Layout, Herstellung etc. Und im Moment hätte ich einen Hörtext ohne die kleinste Grafik, ohne alles. Natürlich kann man das schlicht im weißen leeren Einband anbieten...?
Leser damit abzuspeisen, käme mir wiederum vor wie Selbstbefriedigung. Das brächte ich kaum übers Herz.
Ach, ich habe schon wieder eine andere Schnapsidee...
@NIKOLA Rabenblut offtopic
AntwortenLöschenIch sag dir das hier, weil es leider keine andere Kontaktmöglichkeit gibt: Wenn du mehr Kommentare in deinem Blog möchtest, klick meinen Namen hier an und lies dir die Beschreibung "Anleitung für Bloginhaber" durch - eine andere Bloggerin hat das auch mit Erfolg gemacht. Denn je nach Browser- und Sicherheitseinstellung kann man in deinem Blog nicht kommentieren.
Ansonsten sag ich dir nur ganz kurz zum Exposé: Stell Bewerbungsunterlagen und Texte NIE vorab ins Internet. Es gibt wirklich Verlage, bei denen damit bereits alles gelaufen ist. (Was anderes ist es, wenn man so etwas in geschlossenen Bereichen von Foren bespricht).
Schöne Grüße,
Petra
...ich bin ein Trottel, natürlich gibt's auch von mir dann öffentlich keinen Kommentar, mail mich mal an unter sinnesreisen Klammeraffe gmx punkt net
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