Eine ganz normale Lesung

Ich bin überhaupt kein abergläubischer Mensch, im Gegenteil. Ich würde ohne mit der Wimper zu zucken 13 Leute zum Essen einladen, unter einer Leiter durchlaufen oder eine schwarze Katze von rechts erschrecken. Nur was Verträge und Auftritte betrifft, da bin ich komisch. Über Projekte rede ich nur, wenn beide Unterschriften geleistet sind. Perfekte Generalproben machen mich verrückt - vor einem Auftritt muss etwas schieflaufen, damit er gut läuft. Seit gestern überdenke ich dieses abergläubische Konzept gründlich. Da hatte ich nämlich eine Lesung.

Am Abend zuvor gönne ich mir und meiner Stimme gern Ruhe. Also habe ich meinen Hund nachts etwas früher rausgelassen. Weil er schwarz ist und die Nacht dunkel, geht er an der Flexileine in den Garten. Das sind diese dünnen Dinger, die sich bis auf 12 Meter ausziehen. Diesmal war die Nacht besonders dunkel und ich sah nicht, dass Nachbars dumme Katze unterm Busch hockte. Dumm deshalb, weil das Viech nicht kapieren will, was ein Katzenhasserhund ist. Es ging alles ganz schnell.

Rocco sprintet ins Nichts, ich betätige den Leinenstopper, werde von der Wucht auf der Treppe um mich selbst herumgerissen - und habe die Hundeleine um den Hals! Drei Möglichkeiten: Ich bleibe standhaft und lasse mich erwürgen. Ich reiße das Ding vom Hals, halte fest und stürze die Steintreppe hinunter. Oder ich lasse los. Einen schwarzen Hund in schwarzer Nacht vor Nachbars Katze. Blitzschnell habe ich Variante drei gewählt. Ein riesiger alter Rosenbusch war so nett, für mich die wegschnalzende Leine zu halten. Und Rocco bekam ich dann am Schwanz. Vor dem Spiegel sah ich richtig auftrittsfein aus: Blutunterlaufene Strieme quer über den Hals, nicht zu reden von der Muskelzerrung im Oberarm. Ach, das würde ich schon wegschlafen...

Am nächsten Morgen hatte ich nicht nur das Würgemal, sondern zwei blutunterlaufene, dicke fette Glubschaugen. Augentropfen: Kein Effekt. Ich konnte doch nicht als Monster auftreten! Also schnell in die Apotheke fahren. Nur dachte ich, wegen meiner Stimme und überhaupt: Ich könnte doch eigentlich so langsam mal heizen. Ich zögere das neuerdings so weit hinaus wie nur möglich, kann mir ja nur noch die Hälfte Öl fürs gleiche Geld kaufen. Aber heiser lesen bringt's auch nicht so. Also runter in den Keller, nur mal den Hebel umlegen.

Tacketacketacke sagte die Wasserpumpe und der Kessel sagte nichts. Auch mehrere Wiederbelebungsversuche fruchteten nichts, die Heizanlage bliebt tot. Na gut, ein einziges Zimmer ist elektrisch gewärmt, jetzt aber nichts wie zur Apotheke, ich muss ja bald auftreten! Immerhin, die neuen Tropfen sorgten für ein Abschwellen der roten Krümelmonsterglubscher, es war nur eine Allergie. Jetzt aber fertigmachen! Auf der Toilette die nächste Überraschung. Die Wasserpumpe meiner Heizung hatte ja fleißig gearbeitet. Nur das alte Ventil am Heizkörper... Kaum der Rede wert, so was wischt man weg mit Links - das Ding war dabei, auszulaufen.

Irgendwann hatte ich es ohne weitere Havarien geschafft, fertig geschminkt, geschniegelt und gebügelt in den Auftrittsklamotten dazustehen. Jetzt schnell noch mal den Hund rauslassen und dann nichts wie weg, die Zeit drängt. Gebrüll vom Hund draußen, fürchterliches Rumoren. Und ich hatte wieder keine Zeit zum Nachdenken. Befand mich zwischen Hund und einem fetten Kaninchen von einem anderen Nachbarn. Warum muss ich immer Tiere retten wollen? Das blöde Kaninchen biss mich in den Finger und hoppelte weg. Das Blut tropfte nur so, meine Hose hatte Hundespuren und mit meinen frisch geputzten Schuhen stand ich mitten in einem düftelnden Haufen.

Was soll ich sagen... Eigentlich hätte ich mir von irgendeinem Arzt eine Tetanusspritze verpassen lassen sollen. Stattdessen habe ich die Schuhe gewechselt, die Hosen ausgeklopft und bin erst mal nach Gaggenau gedüst. Ich hab mich bei der Arbeit noch nie so ruhig und sicher gefühlt wie diesmal!

An dieser Stelle ein dickes Dankeschön an mein Publikum und die fleißigen Helfer von der Stadtbibliothek: Sie waren alle ganz fantastisch! Ich entschuldige mich noch einmal, dass die Buchhandlung viel zu wenig Bücher geliefert hatte. An dieser Stelle möchte ich erinnern, dass ich mit der Buchhandlung Strass in Baden-Baden einen Signierservice vereinbart habe. Wenn Sie dort Ihre Bücher rechtzeitig bestellen, bekommen Sie sie von mir persönlich signiert. Infos und Adresse hier.
(Jetzt schläft mein Hund übrigens tief und fest.)

5 Kommentare:

  1. Oh, wie ich das kenne, nur sind es bei mir Kinder statt Hunden, was im chaos aber auf das selbe hinausläuft. Erst waren es Milchspukreste auf der Schulter, dann Schokoladenküsschen oberhalb des Knies, jetzt sind es nagellackflecken auf meinem (!) schwarzen engen Top. Da muss man wohl durch....

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  2. Es ist aber toll von Rocco, so sorgfältig dafür zu sorgen, dass Frauchen sich beim Auftritt wohl fühlt. Ein ausgesprochen umsichtiger Hund!

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  3. Mein armer Rocco kann ja nichts dafür, wenn ihm ständig das Abendessen auf vier Beinen vor die Schnauze läuft...
    sevenjobs, ich hab mal in deinem Blog geschmökert (super Idee) und frage mich jetzt: Was jammere ich eigentlich? Ich hab doch nur einen einzigen Job, das ist ja der reinste Urlaub! Hut ab, wie du das schmeißt.

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  4. Oh, *rot werde*. Scheint nur so als hätten wir alles gut im Griff :-)

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  5. Ich finde, dein Blog macht Mut. Und zeigt denen, die die Mehrfachbelastung von Müttern kleinreden (in Deutschland ja extrem, ich krieg da das Gruseln aus dem vorbildlichen Frankreich heraus), wo's langgeht.

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