Verengte Sicht

In diesem Jahr läuft sich mein Agent auf der Buchmesse ohne mich die Füße platt. Ich selbst habe es vorgezogen, einen üblen Infekt im Bett auszukurieren und mich höllisch zu langweilen, weil der Kopf zu dumpf brummt für Buchtexte (daher meine aufdringliche Klappe hier). Aber wozu haben wir allerlei neue Medien, dachte ich, wird die Buchmesse eben virtuell erlebt. Ich kann mich wahrscheinlich vor Informationen nicht retten?

Gar nicht so einfach, wenn man im medialen Grenzgebiet ohne Satellitenschüssel (Müllverweigerung) lebt, d.h. die Digitalsignale von Frankreich gelangen nicht so ganz ins Elsass, weil das Elsass für die Pariser nicht richtig Frankreich ist. Dafür powert Baden-Baden bis auf den Vogesenkamm, was den lustigen Effekt hat, dass ich ARTE nur in deutscher Version empfangen kann, obwohl ich bei ARTE France ums Eck wohne. Für die Buchmesse dürfte das aber kein Problem sein, dachte ich.

Und dann fiel mir auf, wie recht MRR doch hat. ARD, ZDF: Fehlanzeige. Immerhin kommt der Deutsche Buchpreis in den Nachrichten vor und ein bißchen türkisches Handgeschüttel und Politikergrinsen (ist die Buchmesse ein Politikergipfel?). Ansonsten scheint die weltweit größte Buchmesse noch nicht genug zu sein, dass auch Literatur mal im Fernsehen stattfindet. (Halt, heute abend ist der große Tag im ZDF und ich fürchte Übles). Also weiterzappen... vor allem in die üblichen verdächtigen Kulturnachrichten...

Der Tellkamp ist ein netter Kerl. Aber an seinem Barrett aus der Zebraarmee habe ich mich jetzt wirklich sattgesehen. Wie oft hat er in der Filmkonserve auf sein stattliches Elternhaus zeigen dürfen! Wie viele Sender haben diese Konserve gekauft? Was hat sich eigentlich Kehlmann vorher über den Medienrummel aufgeregt? Da wird einmal draufgehalten, dann klonen sich die Beiträge doch von selbst - für den Zuschauer bis zum Erbrechen! Fehlanzeige... von der Buchmesse erfuhr ich wieder nicht viel. Aber der Deutsche Buchpreis hat wirklich eine immense Werbewirkung: Solch lange Werbespots zur besten Sendezeit außerhalb der Werbeblöcke würde nicht einmal ein Konzern für sein neues Shampoo investieren. So ist das, wenn man eine Konserve zu oft abnudelt, verkommt sie zum Spot.

Ah, dann endlich bei den üblichen Verdächtigen: 3sat brachte ein Special, in dem Scobel und Heidenreich so schnell die wirklich allerbesten Top-Superbücher der gesamten Buchmesse in die Kamera werfen mussten, dass man kaum mitschreiben konnte. Leider blieb mir schleierhaft, warum die nun so allerbest waren und wie man zur Auswahl gekommen war. Ich bin aber auch zu neugierig.

Ein wichtiger Mensch aus der Branche, dessen Namen auch zu kurz eingeblendet wurde, sagte sehr Erhellendes und Wichtiges zum Thema "Sind Bücher wirklich teuer?" Gefallen hat mir vor allem seine Aussage, dass man Bücher nicht als Massenware vermarkten kann, das würde sich auf Dauer auch geschäftlich rächen. Schließlich noch ein Flash auf elektronische Lesegeräte, mit süffisantem Lächeln und wenig Informationen - vor allem keinen, die nicht vom Hersteller stammten. Na, und zu intellektuell nachtschlafender Zeit (kommt daher das Vorurteil wir würden tagsüber nichts arbeiten?) "besprach" Denis Scheck nach gewohnter Manier, aber etwas atemlos, ein paar Bücher auf HR. Dass er dann Bushido in den Busch kloppte, riss irgendwie keine müde Maus mehr hoch. Man hatte den Eindruck, zur Buchmesse wurde Gefälligkeitsfernsehen produziert: Nur keinem auf die Zehen treten, bei dem man was riskieren könnte.

Voller Fernsehabend - und was weiß ich jetzt Wichtiges über die Buchmesse, die Veränderungen in der Branche, die heißen Diskussionen, neue Trends, Entwicklungen, die Autoren und Verlage betreffen? Genauso viel, wie wenn ich den oberpeinlichen Möchtegern-Bundespräsidenten im Tatort angeschaut hätte... (Und warum bringt man statt Buchmesse dessen Blödsinn mit der Kinderhymne in Kulturnachrichten? Seit wann ist galoppierender Wahnsinn einer Partei, die einen Schauspieler sich aufspielen lässt, Kunst und Kultur?) Das Fernsehen hat's wirklich nicht mit Büchern. Oder mir fehlen im Ausland doch noch die richtigen Sender?

Also greif ich zur Lieblingslektüre der Emigranten und sonstig Aushäusigen: dem Perlentaucher. Meine Nabelschnur zum kulturellen Geschehen in Deutschland. Aber seit da gewisse Zeitungen nicht mehr so fleißig verlinkt werden, lese ich auch die nicht mehr. Ich kann sie nicht mal schnell hier am Kiosk kaufen. Und sie online selbst zu durchsuchen, ob es sich lohnt, während ich jedes Mal darauf warten muss, bis die augenfeindliche Schwabbel- und Schwirrwerbung geladen hat - dafür ist mir meine Zeit zu kostbar. Online Zeitung lesen - das muss schnell gehen.

Ich lese also weniger Feuilletons. Aber das ist auch gar nicht so schlimm, weil viele sowieso das Gleiche titeln oder gemeinsam nur die Pressekonferenzen besuchen, bei denen es die besten Snacks gibt. Irgendwie steht überall das Gleiche drin. Oder sie schweigen gemeinsam (Der Aufbau-Verlag hat einen neuen Eigner und alle blöken die Pressemitteilung nach. Früher hätte man nachrecherchiert...) Da darf man sich dann den Journalisten mit dem erfrischendsten, persönlichsten oder kritischsten Blick aussuchen.

Aber immerhin - ich komme an Hintergrundinformationen. Ich lese Blödsinn (Buchsterben, der Großteil der Ware ist jetzt schon elektronisch: Kunststück, ihr Mathematikakrobaten, wenn so viele Hörbuch-CDs herumliegen!), ich kann mal schmunzeln (Sven Regeners Buchmesse-Blog beim Spiegel - und der Mann weiß im Gegensatz zu anderen Zeitungen auch, dass man einen Blog öfter bedient als die Print-Morgenausgabe), ich lese, was ich sowieso schon wusste, oder entdecke tatsächlich neue Bücher.

Kurzum: Ich werde es wie jedes Jahr machen. Hinterher die wirklich Buchschaffenden fragen. Meinen Agenten fragen, wie er die mediengemachten Hypes beurteilt. Die Informationen an der Wirklichkeit messen. Mich mit KollegInnen austauschen. Jedenfalls verwünsche ich meinen Infekt und wünschte mir, ich wäre dabei. Das ist dann immer eine ganz andere Buchmesse. Promis und Möchtegernschreiber-Sternchen aus Politik- und Showbiz gehen einem dort nämlich am Rücken vorbei. Zu ausländischen Staatsgästen wird man gar nicht erst vorgelassen. Aufs blaue Sofa kommt man als unbekannter Noname-Autor sowieso nie.

Und so bleibt Zeit für die ganz eigene Energie, die so viele Bücher an einem Ort atmen. Buchmesse: das ist auch eine Riesenbibliothek zum Schwelgen. Und es ist vor allem ein Zusammentreffen von Buchschaffenden an den Fachtagen, das einen den Kopf wieder zurechtrückt, einem die Wirklichkeit zeigt. Buchmesse törnt an, powert auf. Wir Spinner im Alltag müssen uns dort keine dummen Sprüche anhören wie "was machst du eigentlich den ganzen Tag, du schreibst doch nur?" Wir sind nicht mehr allein. Wir sind verdammt viele. Und wir werden gebraucht.

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