Hörbuch-Tipp: Pleva liest Torrance
Moderne Kunst kann verdammt viel Spaß machen. Vor allem, wenn man sie so grenzenlos naiv und unvoreingenommen wie die Rezensentin auspackt.
Das Hörbuch aus dem Verlag "der Diwan" heißt schlicht: Jörg Pleva liest: Jack Torrance. Was du heute kannst besorgen... Herausgegeben wurde es von M+M, was für unbedarfte Leser und Hörer wie ein Bonbon klingt und tatsächlich eins ist.
Das "Werk" kommt daher, als hätte es neue Medien nie gegeben: Leicht angegrautes Umschlagpapier auf Leinendruck, die Schreibmaschine hat sichtlich ihre Macken, DIN-A-5-Format und Buchdicke. Da hat mal jemand eine witzige Verpackung gewählt, dachte ich, ein Hörbuch verkleidet als echtes Buch, warum nicht? Aber dann befreie ich tatsächlich ein echtes Buch aus dem Zellophan, 96 Seiten stark und mit allem Drum und Dran, was gut gedruckte Bücher auf gutem Papier so brauchen, einschließlich der doch kryptischen Widmung von Torrance: "All work and no play makes Jack a dull boy." Da Jack Torrance's Buch auf Deutsch erschienen ist, muss es eine besondere Bewandtnis damit haben, dass man diesen Satz nicht übersetzte.
Als ich den Text aufschlage, bin ich verwirrt. Als ich weiter blättere, steigt meine Verwirrung. Ich nehme den Verlagstext zu Hilfe: "Torrance gilt als Meister der Repetition: immer wieder setzt er mit den gleichen Worten an, verweigert sich quasi konsequent jedem Versuch, über die einmal getroffene Feststellung hinauszugehen."
So kann man sich täuschen. Meine erste Assoziation waren diese edel ledergebundenen Bücher in aristokratischen englischen Bibliotheken, in denen der Hausherr seinen Flachmann versteckt. Nur dass Jack Torrance dafür einige hundert Seiten mehr hätte schreiben müssen. Ich wurde neugierig. Wer war dieser Mann, der schreibt, als könne man Schnaps in seinen Zeilen verschwinden lassen?
Die Künstlergruppe M+M (Marc Weis und Martin De Mattia), die das Projekt "Was du heute kannst besorgen" als Performance zum letzten Mal 2008 auf der "Art Cologne" präsentiert haben, verrät, sie seien den Manuskripten des Schriftstellers, der unter mysteriösen Umständen zu Tode kam, in der römischen Villa Massimo auf die Spur gekommen. Meine Neugier war geweckt, zumal mir der Autorenname irgendwie bekannt vorkam. Und ein Jörg Pleva mit seiner wunderbar markanten Stimme spricht ja sicher nicht jeden...
Also habe ich brav Rezensenten-Hausaufgaben gemacht und den mysteriösen Jack Torrance gegoogelt. Es gab erstaunlich wenig über sein Werk zu finden, offensichtlich waren die Manuskripte wirklich lange verschollen gewesen. Aber auf amerikanischen Servern fand ich dann doch einiges über sein viel zu kurzes Leben, das im Winter 1979 in einem Hotel in den Rocky Mountains tragisch endete. Meine Assoziation zum Flachmannversteck war gar nicht so schräg - einigen Websites zufolge muss der Mann vor allem gegen Ende seiner Schriftstellerei dem Alkohol verfallen gewesen sein.
Und da endlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Jörg Pleva war Stimme für Jack Nicholson. Jörg Plewa ist von Stanley Kubrick persönlich als deutsche Stimme ausgesucht worden. Jack Torrance ist der Protagonist in Shining - dem Film nach dem Roman von Stephen King! Jack Torrance ist der verrückte Hausmeister im legendären Overlook-Hotel! Und jetzt blättern sich nicht nur Seiten hin, sondern Seins-Ebenen: Die deutsche Synchronstimme eines amerikanischen Schauspielers liest ein fiktives Buch einer Filmfigur, die aus einem Roman kommt. Ich, ehemals Leser von Stephen Kings Roman, dann Zuschauer von Stanley Kubricks "Shining", höre ein fiktives Hörbuch, das ich auch gedruckt lesen kann und das doch nie existierte. Existiert es jetzt? Existiere ich noch? Wer bildet sich hier wen ein?
Ich höre zu und habe zuerst den Verdacht, Jörg Pleva lese als Endlosschleife, so exakt wiederholt er sich selbst. Zuerst wirkt das Hörbuch wie ein Subliminal, das das eigene schlechte Gewissen ankratzt. Das ideale Geschenk für Zauderer und Berufverschieber, für Leute, die ihre Steuererklärung hassen oder ungern Zimmer aufräumen. Aber dann steigt die Aufmerksamkeit und ich höre genau hin, so genau wie noch nie. Ich will den Sprecher bei irgendetwas ertappen, wobei, weiß ich selbst nicht.
Unmerklich verschieben sich Betonungen. Wörter verändern ihr Gewicht, blähen sich auf oder werden dünn, unveränderte Sätze sagen Unterschiedliches. Nuancen, die ich am geschriebenen Text nicht ausmachen kann - Sprache muss Ton werden, erst die Schwingung macht Bedeutung. Und irgendwann wird das Wort reine Schwingung, Rhythmus, Klang. Verschwunden die Bedeutung. Angestrengt höre ich einen deutschen Satz und verstehe nichts mehr, lausche nur noch.
Jeder kennt das Kinderspiel, das im Philosophieunterricht so gern benutzt wird: Man sagt das Wort "Tisch" und stellt sich einen Tisch vor. Und dann sagt man es immer wieder, immer anders betont und gesprochen, und doch immer das gleiche Wort. Irgendwann nimmt man die Bedeutung nicht mehr wahr. Das Wort hat sich entleert. Eine Technik, die auch Schriftsteller zum Üben benutzen können, um einen scharfen Blick für die eigenen Metaphern zu bekommen. Für den Bedeutungsgehalt an Text. Wieder ein Klischee zum 1001. Mal wiederholt? Jack Torrance lehrt Schriftsteller Aufmerksamkeit. Der Ton macht die Musik.
Vielleicht aber ist das Wort irgendwann überflüssig? Vielleicht klingt irgendwann jeder Text hohl? Was produziert Inhalte und Bedeutungen? Und brauchen wir wirklich so viel davon in der Literatur?
Die Assoziationen bei diesem über 40 Minuten dauernden Hörbuch sind vielfältig und überraschend, wenn man an dieses Kunstprojekt wirklich unvorbelastet und spielerisch herangeht. Offen wie ein Kind, bereit für die Verrücktheit einer fiktiven Figur, die sich mit diesem Buch in unsere Realität hineinschreibt. Hier spricht nicht einfach nur der Text - dieses Hörbuch entlarvt uns selbst, zeichnet ein absurdes Bild moralischer Vorschriften und guter Vorsätze - die nur in einem enden können, wenn man sie zu oft bemüht: im Wahnsinn.
Insofern nicht nur Sylvestergeschenk, Kunstgeschenk, Bügelhilfe und Assoziationsspaß, sondern natürlich das absolute Must für alle Fans von Stephen King. Man kann damit aber auch überstudierte säuerliche Tanten erschrecken, Feuilletonisten frech hinterfragen oder in Schickimicki-Kreisen mit dem verrücktesten Gastgeschenk des Abends punkten. Und wen so viel moderne Kunst zunächst sprachlos macht, der hat damit jede Menge neuen Gesprächsstoff gefunden.
Jack Torrance, M+M (Hrsg.): Was Du heute kannst besorgen – Das HörbuchBuch
Der Diwan im HörHaus Verlagsverbund
Buch mit 1 CD, ca. 40 min, gelesen von Jörg Pleva
ISBN & EAN: 978-3-941009-05-9
EUR 24,00 (D) / EUR 24,70 (A) / CHF 45,50 (CH)
Das Hörbuch aus dem Verlag "der Diwan" heißt schlicht: Jörg Pleva liest: Jack Torrance. Was du heute kannst besorgen... Herausgegeben wurde es von M+M, was für unbedarfte Leser und Hörer wie ein Bonbon klingt und tatsächlich eins ist.
Das "Werk" kommt daher, als hätte es neue Medien nie gegeben: Leicht angegrautes Umschlagpapier auf Leinendruck, die Schreibmaschine hat sichtlich ihre Macken, DIN-A-5-Format und Buchdicke. Da hat mal jemand eine witzige Verpackung gewählt, dachte ich, ein Hörbuch verkleidet als echtes Buch, warum nicht? Aber dann befreie ich tatsächlich ein echtes Buch aus dem Zellophan, 96 Seiten stark und mit allem Drum und Dran, was gut gedruckte Bücher auf gutem Papier so brauchen, einschließlich der doch kryptischen Widmung von Torrance: "All work and no play makes Jack a dull boy." Da Jack Torrance's Buch auf Deutsch erschienen ist, muss es eine besondere Bewandtnis damit haben, dass man diesen Satz nicht übersetzte.
Als ich den Text aufschlage, bin ich verwirrt. Als ich weiter blättere, steigt meine Verwirrung. Ich nehme den Verlagstext zu Hilfe: "Torrance gilt als Meister der Repetition: immer wieder setzt er mit den gleichen Worten an, verweigert sich quasi konsequent jedem Versuch, über die einmal getroffene Feststellung hinauszugehen."
So kann man sich täuschen. Meine erste Assoziation waren diese edel ledergebundenen Bücher in aristokratischen englischen Bibliotheken, in denen der Hausherr seinen Flachmann versteckt. Nur dass Jack Torrance dafür einige hundert Seiten mehr hätte schreiben müssen. Ich wurde neugierig. Wer war dieser Mann, der schreibt, als könne man Schnaps in seinen Zeilen verschwinden lassen?
Die Künstlergruppe M+M (Marc Weis und Martin De Mattia), die das Projekt "Was du heute kannst besorgen" als Performance zum letzten Mal 2008 auf der "Art Cologne" präsentiert haben, verrät, sie seien den Manuskripten des Schriftstellers, der unter mysteriösen Umständen zu Tode kam, in der römischen Villa Massimo auf die Spur gekommen. Meine Neugier war geweckt, zumal mir der Autorenname irgendwie bekannt vorkam. Und ein Jörg Pleva mit seiner wunderbar markanten Stimme spricht ja sicher nicht jeden...
Also habe ich brav Rezensenten-Hausaufgaben gemacht und den mysteriösen Jack Torrance gegoogelt. Es gab erstaunlich wenig über sein Werk zu finden, offensichtlich waren die Manuskripte wirklich lange verschollen gewesen. Aber auf amerikanischen Servern fand ich dann doch einiges über sein viel zu kurzes Leben, das im Winter 1979 in einem Hotel in den Rocky Mountains tragisch endete. Meine Assoziation zum Flachmannversteck war gar nicht so schräg - einigen Websites zufolge muss der Mann vor allem gegen Ende seiner Schriftstellerei dem Alkohol verfallen gewesen sein.
Und da endlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Jörg Pleva war Stimme für Jack Nicholson. Jörg Plewa ist von Stanley Kubrick persönlich als deutsche Stimme ausgesucht worden. Jack Torrance ist der Protagonist in Shining - dem Film nach dem Roman von Stephen King! Jack Torrance ist der verrückte Hausmeister im legendären Overlook-Hotel! Und jetzt blättern sich nicht nur Seiten hin, sondern Seins-Ebenen: Die deutsche Synchronstimme eines amerikanischen Schauspielers liest ein fiktives Buch einer Filmfigur, die aus einem Roman kommt. Ich, ehemals Leser von Stephen Kings Roman, dann Zuschauer von Stanley Kubricks "Shining", höre ein fiktives Hörbuch, das ich auch gedruckt lesen kann und das doch nie existierte. Existiert es jetzt? Existiere ich noch? Wer bildet sich hier wen ein?
Ich höre zu und habe zuerst den Verdacht, Jörg Pleva lese als Endlosschleife, so exakt wiederholt er sich selbst. Zuerst wirkt das Hörbuch wie ein Subliminal, das das eigene schlechte Gewissen ankratzt. Das ideale Geschenk für Zauderer und Berufverschieber, für Leute, die ihre Steuererklärung hassen oder ungern Zimmer aufräumen. Aber dann steigt die Aufmerksamkeit und ich höre genau hin, so genau wie noch nie. Ich will den Sprecher bei irgendetwas ertappen, wobei, weiß ich selbst nicht.
Unmerklich verschieben sich Betonungen. Wörter verändern ihr Gewicht, blähen sich auf oder werden dünn, unveränderte Sätze sagen Unterschiedliches. Nuancen, die ich am geschriebenen Text nicht ausmachen kann - Sprache muss Ton werden, erst die Schwingung macht Bedeutung. Und irgendwann wird das Wort reine Schwingung, Rhythmus, Klang. Verschwunden die Bedeutung. Angestrengt höre ich einen deutschen Satz und verstehe nichts mehr, lausche nur noch.
Jeder kennt das Kinderspiel, das im Philosophieunterricht so gern benutzt wird: Man sagt das Wort "Tisch" und stellt sich einen Tisch vor. Und dann sagt man es immer wieder, immer anders betont und gesprochen, und doch immer das gleiche Wort. Irgendwann nimmt man die Bedeutung nicht mehr wahr. Das Wort hat sich entleert. Eine Technik, die auch Schriftsteller zum Üben benutzen können, um einen scharfen Blick für die eigenen Metaphern zu bekommen. Für den Bedeutungsgehalt an Text. Wieder ein Klischee zum 1001. Mal wiederholt? Jack Torrance lehrt Schriftsteller Aufmerksamkeit. Der Ton macht die Musik.
Vielleicht aber ist das Wort irgendwann überflüssig? Vielleicht klingt irgendwann jeder Text hohl? Was produziert Inhalte und Bedeutungen? Und brauchen wir wirklich so viel davon in der Literatur?
Die Assoziationen bei diesem über 40 Minuten dauernden Hörbuch sind vielfältig und überraschend, wenn man an dieses Kunstprojekt wirklich unvorbelastet und spielerisch herangeht. Offen wie ein Kind, bereit für die Verrücktheit einer fiktiven Figur, die sich mit diesem Buch in unsere Realität hineinschreibt. Hier spricht nicht einfach nur der Text - dieses Hörbuch entlarvt uns selbst, zeichnet ein absurdes Bild moralischer Vorschriften und guter Vorsätze - die nur in einem enden können, wenn man sie zu oft bemüht: im Wahnsinn.
Insofern nicht nur Sylvestergeschenk, Kunstgeschenk, Bügelhilfe und Assoziationsspaß, sondern natürlich das absolute Must für alle Fans von Stephen King. Man kann damit aber auch überstudierte säuerliche Tanten erschrecken, Feuilletonisten frech hinterfragen oder in Schickimicki-Kreisen mit dem verrücktesten Gastgeschenk des Abends punkten. Und wen so viel moderne Kunst zunächst sprachlos macht, der hat damit jede Menge neuen Gesprächsstoff gefunden.
Jack Torrance, M+M (Hrsg.): Was Du heute kannst besorgen – Das HörbuchBuch
Der Diwan im HörHaus Verlagsverbund
Buch mit 1 CD, ca. 40 min, gelesen von Jörg Pleva
ISBN & EAN: 978-3-941009-05-9
EUR 24,00 (D) / EUR 24,70 (A) / CHF 45,50 (CH)
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