Der S-Punkt
"Lewinsky: Das ist der Punkt, an dem der Zuschauer sagt: "Scheiße; mir gefällt's nicht, ich schalte um." Als man noch aufstehen musste, um zum Fernseher zu gehen, lag der Shitpoint später als jetzt, da man nur die Fernbedienung drücken muss: Also musste der Höhepunkt, oder was immer Zuschauer bindet, früher kommen."
Seine Theorie erklärt mir plötzlich ein Phänomen, dem ich seit einigen Jahren in gewissen Taschenbüchern begegne und das Lektoren für gewisse Verlage sogar einfordern:
- In unseren Krimis gibt's auf der ersten Seite eine Leiche oder Gewalt.
- Wir hätten gern Sex auf S. 1, S. 30. S. 60 uswusf.
- Knall auf S.1 die starke Frau rein, Großaufnahme.
- Keine Landschaftsbeschreibungen, Kooooonflikt auf S. 1!
Lesen ist schon irgendwie wie Fernsehen: Es wird immer schwieriger, Wahrnehmenswertes zu finden.
AntwortenLöschenBlöd ist auch, dass ich auf offensichtliche Köderungsversuche wie die oben beschriebenen so leicht mit Fallenlassen und Abwenden reagiere und dann nicht mehr weiterlesen mag.
Ich möchte auf Seite 1 gelockt werden, nicht erschlagen!
Ach, Buchstäblich,
AntwortenLöschendu sprichst so vielen aus dem Herzen! Das Schlimme ist derzeit, dass es so viel Wahrnehmenswertes und echte Perlen gibt, in der Unterhaltung wie im Anspruchsvollen. Es hakt schlicht in der "Vermittlungsbranche", die in Deutschland (woanders läuft das besser) überaltert, überbürokratisiert und verkrustet eben den langsamen Tod stirbt. Aber man hat nichts Neues gefördert, ein Vakuum entsteht. Heidenreich und MRR haben uns das Todesröcheln nur gezeigt...
Massenschund wird lauter beschrien und ist im Ketten-Buchhandel präsenter.
Immer weniger Buchhändler sind ausgebildet. Und die noch selbst lesen und empfehlen, werden von immer debilerer Werbung der Verlage überschüttet.
Verlage preisen auch ihre Perlen wie Schund an, verstecken Besonderes, Anderes, weil sie das Risiko scheuen. Fängt beim Klappentext an. Auch optisch werden Bücher zur billigen Austauschware (s. Historischer Roman).
Das Feuilleton, einzige Verkaufs"maschine" für Anspruchsvolles, bespricht nur noch die üblichen Verdächtigen, geht keine Risiken mehr ein, leidet unter verkrusteten Strukturen.
Es gibt (noch) keine Gegenkonzepte oder sie werden nicht gekauft, s. Risikovermeidung.
Gegenkonzepte "von unten" leiden darunter, dass keine Profis daran arbeiten.
Das Publikum schweigt und kauft und bestätigt dadurch die Macher, dass es eben doch dumm ist.
Kurzum: Jeder, der derzeit abseits vom Mainstream arbeitet, kämpft so hart wie noch nie um Wahrnehmung. Ob das Autoren mit neuen Themen sind oder kleinere Verlage, die sich noch etwas trauen.
Ich glaube, in den nächsten Jahren wird sich an den deutschen Strukturen viel ändern, die Frage ist nur, wer genug Durchhaltevermögen hat, um bis dahin zu überleben. Ich kenne einige, die in diesem Winter verdammt frieren werden, Autoren wie Verleger!
Liebe Petra, auch diejenigen, die versuchen, auf einer Mainstream-Schiene zu fahren, müssen unvorstellbar hart kämpfen. Und zäher sein als Schweineschwarte.
AntwortenLöschenGruß,
Manuel
Manuel, die ganze Branche ist ein Haifischbecken. Beim Mainstream ist es ein anderer Kampf (gegen Nr. 0815, gegen "Wir schmeißen ein TB auf den Markt und schauen, wie lang es strampelt" etc.)
AntwortenLöschenTatsache ist aber, dass Mainstream in D. in der Regel finanziell mehr einbringt als Literatur (mit Ausnahmen wie Kehlmann & Co.). Und Verlage, die gegen die Goliaths antreten, "independent" Buchhandlungen, die gegen die Ketten antreten, kämpfen ungleich schwerer als die, die anbieten, was die breite Masse im Supermarkt kauft.
Zäh müssen wir alle sein. Außenseiter noch ein bißchen zäher...
Shitpoint ist ein klasse Wort: kurz knackig melodisch. Wenn einer bei uns nun beim Fernsehen umschalten will, wird nur noch gerufen: Shitpoint!
AntwortenLöschen