Heidenreich ist gegangen worden

Vor einiger Zeit fragte mich eine wohlmeinende Autorenkollegin: "Warum bist du eigentlich nicht nett? In einem Autorenblog gibt man sich nett für seine Leserinnen, erzählt schöne Geschichten ums Buch und ums Schreiben. Und man zeigt keine Schwächen und so, wegen der PR und so."

Zunächst war ich baff. "Feuilles et ton", von dem das eingedeutschte "Feuilleton" stammt, ist im Französischen mehrdeutig. Da schwirren Blätter herum, die verkleinert werden, zum "Heftchen". Schreibt man es aber auseinander, dann hat das Herumwerfen mit Blättern einen gewissen Ton. Und weil das hier kein netter Autorenblog sein will, sondern eine Kolumne einer Journalistin, darf es im Ton schärfer, frecher, subjektiver, persönlicher sein - natürlich im Rahmen. Journalistische Formen wie Satire, Glosse und auch mal das gute alte Pamphlet haben leider seit dem Terrorregime Frankreichs um Siehzehnhunderttobak rasant an Verbreitung eingebüßt. Und selbst Kommentare kommen weichgespült daher, weil man es sich mit niemandem verscherzen will.

"Hast du nicht Angst, dass da mal ein Verlag mitliest und deshalb dein Manuskript nicht kauft?", fragte die wohlmeinende Kollegin. Auf die Idee bin ich ehrlich gesagt noch nicht gekommen. Hier lesen öfter Verlage rein, Feuilletonisten auch - und ich scheue mich nicht, potentiellen Arbeitgebern die URL zu geben. Sollte ich vielleicht doch netter werden?

Ich meine, ich weiß ja, was passiert, wenn man nicht nett ist, zumal als Frau. Ein Jahr vor dem Abitur bin ich fast von der Schule geflogen und hatte den ersten Rechtsanwalt meines Lebens am Hals. Der Grund: Ich hatte in der Schülerzeitung eine Satire über meinen Lateinlehrer geschrieben und nicht bedacht, dass der sich gerade zu irgendwelchen politischen Wahlen hatte aufstellen lassen. Ich bekam eine Vorladung zum Direktor, die Androhung des Schulausschlusses, ein Angebot des Konkurrenzgymnasiums, mich mit Freude aufzunehmen und viele Einladungen zum Kaffee bei feixenden Lehrerinnen und Lehrern. Man einigte sich gütlich und der Lateinlehrer verlor die Wahl.

Später hatte ich mal einen Chef, der fest daran glaubte, Journalistinnen seien nur gut dazu, in der Waagerechten über seinen Schreibtisch zu rutschen. Als ich dem Unternehmen aus einem anderen Grund den Rücken kehrte, schrieb ich ihm zum Abschied eine Satire und schenkte allen netten braven Kollegen, die immer ihren Mund gehalten hatten, riesige Heftpflaster. Oweia, ging da ein kleines Männchen in die Luft! Und ich vermarktete fortan mein loses Maul und wurde Kritikerin.

Ich kann nur warnen: Sowas tut man nicht. Aus mir wäre längst etwas geworden, wenn ich nicht ständig so vorlaut wäre, sagten meine Eltern früher. Sei doch mal ein bißchen nett, beiß dir halt auch mal auf die Zunge, man wird nur was im Leben, wenn man auch mal sein Maul halten kann.
Ob meine Eltern recht hatten?

Eine, die zu viel gesagt hat, hat es jetzt erwischt: Elke Heidenreich ist unerwartet schnell vom ZDF gekündigt worden. In einer Weise, die Arbeitgeber sonst nur anwenden, wenn man in der Firma goldene Löffel geklaut hat: Sie darf die bereits abgemachten beiden Sendungen in diesem Jahr nicht mehr produzieren.

Aber unsere Daily Soap bekommen wir auch noch dazu. Jetzt sagt nämlich plötzlich auch noch der Marcel, den die Elke eigentlich in Schutz nehmen wollte, dass die Elke nicht nett war. Er sagt das übrigens gar nicht nett, sondern richtig böse (Wortlaut in obigem Artikel). Und das ZDF ist nicht nett und nette Zeitungen nehmen plötzlich Sätze in den Mund, die gar nicht nett sind, sondern die Scheisse in der Überschrift nur variieren. Oh ist das alles nett und niedlich! Ein richtig netter kleiner ZDF-Kindergarten. Haut euch, Kinners, haut druff...

Liebe wohlmeinende Kollegin: Du siehst, mein Frechsein in dieser Kolumne hat Programm. Nur wer nicht nett ist, wird heutzutage was... Und wer weiß, in unserer netten Casting-Gesellschaft, vielleicht entdeckt mich ja mal einer, hehehe...

1 Kommentar:

  1. Wenn hier Nettigkeiten an unangebrachten Stellen versülzt würden, läse ich sicherlich nicht so eifrig mit!
    Grüße an die "wohlmeinende Kollegin": Das Nette an Frau Cronenburg ist der Verzicht auf Nettigkeit.
    Wie heißt es doch so schön: "Nett ist die kleine Schwester von Scheiße!".

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