MehrWert
Belletristische AutorInnen, die für große Verlagskonzerne schreiben, berichten manchmal, sie hätten den Eindruck, es gäbe kaum noch Männer in den Berufen rund ums Buch. Auch ich habe mehrfach angeregt, dass langsam eine Männerquote zumindest in Lektoraten angedacht werden könnte. Aber wie sieht die Berufswirklichkeit in der Buchbranche tatsächlich aus? Wie stark sind Bücher bereits in der Produktion Frauensache? Wie sehen die Arbeitsbedingungen aus, machen Frauen in der Buchbranche genauso oder genauso schwer Karriere wie anderswo? Wie lassen sich Beruf und Familie unter einen Hut bringen?
Die Studie zur Buchbranche
Endlich gibt es Antworten auf diese Fragen. Die BücherFrauen e.V. haben bei Prof. Dr. Romy Fröhlich von der Universität München eine Studie in Auftrag gegeben, die gerade unter dem Titel "MehrWert. Arbeiten in der Buchbranche heute" im Ulrike Helmer Verlag erschienen ist. Mehr als 1200 angestellte und freiberufliche Frauen (87%) und Männer (13%) aus Buchhandel, Zwischenbuchhandel und Verlagen haben daran teilgenommen.
Die Ergebnisse sind zunächst nicht überraschend. Obwohl es im 19. Jahrhundert noch als geisteskrank angesehen wurde, wenn Frauen echte Literatur lasen (im Gegenteil zu den für sie vorgesehenen seichten "Frauenlektüren") und Buchhändlerinnen Ziel übler Witzeleien waren, sind Medienberufe allgemein Traumberufe für Frauen geworden. Tatsächlich seien 80% der im Buchhandel Auszubildenden Frauen, während sich das Lektorat wirklich zum Frauenberuf gemausert hat. 64% aller angestellten Lektorinnen sind Frauen. Die Studie ist deshalb besonders interessant, weil sie Überraschungen zutage fördert. Der Frauenanteil hat wider Erwarten nämlich weder etwas mit der Buchsparte noch der Editionsform zu tun. Lektorinnen können sogar in leitende Stellungen aufsteigen. Aber warum haben nur 36% aller Lektorinnen eine Führungsposition inne, dafür aber 50% der Männer?
Woman drain
Noch mehr Überraschungen: In der Buchbranche gehen hochqualifizierte Frauen schlicht "verloren", und zwar ziemlich drastisch. In der Fachsprache nennt man das "woman drain". Gemeint ist damit, dass relativ viele Frauen eine gute und oft aufwändige Ausbildung genießen, aber auf dem Weg zwischen Berufseinstieg und Aufstieg plötzlich verloren gehen. Und noch seltsamer wird dieser Zustand, wenn man sieht, dass dies mit Doppelbelastung nichts zu tun haben kann. Auch kinderlose Singlefrauen verschwinden von der Bildfläche. Wenig verwundert bei solchem "woman drain" jedoch, dass auch in der Buchbranche meist Männer die begehrten Führungspositionen ganz oben innehaben.
Die Studie geht dieser spannenden Frage dann durch die Befragung im Einzelnen nach. Erfreulich, dass sie auch für LaiInnen verständlich und flüssig zu lesen ist, hilfreich illustriert ist und die wichtigsten Ergebnisse am Rand noch einmal einzeln aufgelistet sind. So lässt sich das 122 Seiten starke Buch im Schnelldurchgang mit Gewinn durchblättern und verstehen, bevor man sich in die einzelnen Statements vertieft und die Zusammenhänge kennenlernt.
Auch wenn ich als Autorin nicht immer einen Einblick in die anderen Buchberufe habe, fand ich es äußerst aufschlussreich, mich mit genau denen zu beschäftigen, mit denen ich beim Büchermachen zu tun habe. So manches, was man im kleinen Finger hat oder im Gespräch mit den Leuten aus Verlagen zu spüren vermeint, wird durch "MehrWert" plötzlich greifbar und fundiert begründet. Es ist schon seltsam, dass ein so hoher Prozentsatz von Frauen für Buchberufe schwärmt und eine Ausbildung macht, aber nachher weniger als in allen anderen Medienberufen mit ihrer Arbeitssituation zufrieden sind. Auch die Löhne sprechen Bände... Erschreckend, dass Frauen laut Studie ihre Aufstiegschancen unterschätzen, aber noch erschreckender, wie viele Männer und Frauen die Branche überhaupt nach oft kurzer Zeit wieder verlassen wollen.
Extreme Unterschiede
Dass Frauen immer noch für die gleiche Arbeit weniger Lohn bekommen als Männer, wundert mich bei den ungerechten Verhältnissen in der Wirtschaft allgemein gar nicht. Doch die tatsächlichen Zahlen, etwa aus Buchhandel und Lektorat sind schlicht erschütternd. Kaum zu glauben, dass Frauen im 21. Jahrhundert 36% weniger als ihre männlichen Kollegen verdienen - für genau die gleiche Arbeit - ohne auf die Barrikaden zu gehen! Und warum verdienen Mütter weniger als Kinderlose, Väter dagegen mehr? Das sind nur ein paar wenige Punkte aus einem sehr genau recherchierten Umfeld von Problemen, für die sich die Studie bereits allein gelohnt hat. Es muss sich dringend auch in der Buchbranche etwas verändern - in Richtung wahrer Gleichstellung. Prof. Dr. Romy Fröhlich hat wichtige Arbeit geleistet, genauer zu erforschen, wohin die hochqualifizierten Frauen verschwinden und wo es in Verlagen und Buchhandel hakt, damit Frauen und Männer zufriedener im Beruf sind - denn Geld ist nicht alles.
UrheberInnen ohne Auskommen
Geld ist allerdings alles für diejenigen, welche die Inhalte liefern, mit denen Verlage und Buchhandel Gewinne machen. Leider wurden sie nicht innerhalb der Studie befragt, aber die BücherFrauen haben ein paar wichtige Kapitel über die UrheberInnen der Bücher angehängt: AutorInnen, ÜbersetzerInnen, IllustratorInnen. Wer selbst betroffen ist, wird sich über die gesellschaftliche Perversion nicht wundern, dass Kulturleistungen und die schöpferische Arbeit an einem derart wichtigen Kulturgut immer noch und teilweise immer mehr jämmerlichst bezahlt wird. Auch wenn ich selbst in zwei dieser Berufe arbeite (und einen dritten zum Überleben brauche), war mir nicht bewusst, wie schlecht die Arbeitsbedingungen und Honorare wirklich sind. Schon allein für diesen Einblick lohnt sich die Anschaffung des Buchs. Es macht nicht nur die Zusammenhänge klarer, es gibt auch wichtige Denkanstöße für den eigenen Umgang mit dem Beruf.
Schlicht zum Heulen finde ich, dass die meisten Urheberinnen, sofern sie nicht völlig andere, gut bezahlte Ausweichberufe haben, aufgrund von Arbeitsaufkommen und Entlohnung in den meisten Fällen das alte Rollenspiel betreiben: Der Partner verdient das "echte" Geld. Singles müssen eigentlich verrückt sein, sich diesen Wahnsinn ohne Netz und doppelten Boden anzutun. Und - das ist jetzt meine eigene Meinung: Solange Unternehmen davon ausgehen können, dass UrheberInnen ohnehin versorgt sind (Partner oder Zweitberuf), haben sie ja gar keinen Anlass, die prekäre Lage zu verbessern. Hier muss Veränderung von der Basis kommen.
Wichtige Orientierung
Betroffene Berufsgruppen sollten sich die Studie unbedingt anschaffen - es findet sich übrigens außerdem ein beruflicher Ausblick für LiteraturagentInnen und Antiquariate darin. Außerdem bietet die Studie eine ideale Orientierung für all diejenigen, die mit einer Ausbildung in einem Buchberuf liebäugeln und sich über die Arbeitsbedingungen informieren wollen. Und einen Zusatznutzen gibt es auch: Die Inhalte stacheln auf, sich mehr zu engagieren. Und weil hier die BücherFrauen e.V. eine sehr wichtige Rolle spielen, möchte ich sie hier im Blog zu einem späteren Zeitpunkt mit ihrer Arbeit vorstellen.
Lesetipp:
MehrWert. Arbeiten in der Buchbranche heute. Herausgegeben von BücherFrauen e.V., Ulrike Helmer Verlag
links zu allen mir bekannten blogs etc zum Thema "MehrWert"
AntwortenLöschenNeue Studie: Arbeiten in der Buchbranche
Börsenblatt 8.10.2010
http://www.boersenblatt.net/398172/.de
Kommentar: Wie lange hält die Liebe noch. Von Tamara Weise.
http://www.boersenblatt.net/399922/?t=newsletter.de
„Reden wir mal über Geld: Auch in der Buchbranche verdienen Frauen weniger als Männer“ Von Franziska Schramm
http://www.litaffin.de/literaturbetrieb/reden-wir-mal-ueber-geld-auch-in-der-buchbranche-verdienen-frauen-weniger-als-maenner/
„Frauensache: Arbeiten in der Buchbranche“ von S. Strohschneider-Laue
http://www.ebensolch.at/blog/archives/681
Buch Markt Sonntagsgespräch vom 19.10.2010
Karina Schmidt über die Studie „Arbeiten in der Buchbranche heute“
http://www.buchmarkt.de/content/44488-karina-schmidt-ueber-die-studie-arbeiten-in-der-buchbranche-heute-.htm
„MehrWert - Arbeiten in der Buchbranche heute“ von Kathrin Grün
Zur Podiumsdiskussion im Literaturhaus Frankfurt am 1.11.2010
http://www.buchmesse.de/blog/de/2010/11/03/mehrwert-arbeiten-in-der-buchbranche-heute/
Börsenblatt: Bericht von der Jahrestagung der BücherFrauen e.V.
„Frauen in der Buchbranche: unterbezahlt, unterrepräsentiert in Führungsebenen und kinderlos.“
http://www.boersenblatt.net/403504/
Toller Service, danke für die Arbeit!
AntwortenLöschenNormalerweise sollte Blogger das selbst erfassen und bringen, aber die Google-Technik streitet sich mit Wordpress & Co...
Übrigens ist dieser Beitrag der meistgelesene aller Zeiten in diesem Blog, da besteht großes Interesse fürs Thema!