Dicker Hund
Bis aus einer Rohübersetzung ein druckfertiges Manuskript geworden ist, braucht es mehrere Arbeitsdurchgänge mit höchst kritischem Blick. Jeder Übersetzer arbeitet da anders. Viele lesen z.B. zuerst das Buch ganz durch - ich mache das nicht, weil ich mich mit meinem fotografischen Gedächtnis sonst bei der Arbeit nachher tödlich langweilen würde. Ich würde es aber wahrscheinlich machen, wenn der Ton des Autors oder seine sprachlichen Eigenarten schwerer zu treffen wären.
Dafür lese ich einzelne Kapitel mit dem Bleistift voraus, wodurch die Notizen im Buch (meist Vokabeln oder wichtige Wendungen) und der Text im Kopf eine erste Textidee ergeben. Daraus entsteht in einem ersten geschriebenen Durchgang die Rohübersetzung (Version 1). Die gebe ich keinem in die Hand. Gelbscheckig ist sie an den Stellen, wo ich genau nachrecherchieren muss. Wendungen, bei denen ich nicht mit ein wenig Nachdenken eine adäquate Übersetzung finde, enthalten mehrere Vorschläge, ebenfalls markiert.
Manchmal muss ich recherchieren, bevor ich überhaupt übersetzen kann - etwa wenn der Autor ein Bild beschreibt oder eine historische Person. Dann heißt es, dieses Bild zu suchen und genau zu betrachten, weil viele Ausdrücke im Französischen mehrdeutig sind. Und außerdem gibt es Kommentare an mich selbst - etwa, wenn der Originalautor und dessen Lektor Fehler übersehen haben und ich irgendwie damit umgehen muss. Eine Landesspezialität: die Franzosen scheinen es mit dem Lektorat nicht immer allzu genau zu nehmen. Und weil man eine Weile braucht, bis man den richtigen Ton und die richtige Sprache findet, ist so eine Rohübersetzung natürlich anfangs sehr gelb und wird dann langsam besser.
Die Rohübersetzung zur Lektoratsfassung (Version 2) zu überarbeiten, also abgabereif, ist für mich ein einziger Durchgang, obwohl sich dahinter mehrere Arbeitsschritte verbergen können. Feinrecherchen, Wortjonglierereien, das Suchen nach Problemlösungen bei notwendigen Korrekturen am Originaltext - das alles sind nur kleine Schritte. Denn jetzt kommt es darauf an, ein schriftstellerisch annehmbares Deutsch zu schreiben, Reihenfolgen zu ordnen, die eigenen Fehler zu korrigieren. Lexika, Onlinerecherche und das eigene Sprachgefühl werden im fliegenden Wechsel genutzt. Wenn ich diese Lektoratsfassung abgebe, sollte sie möglichst fast druckreif sein.
Anschließend lektoriert das die Lektorin und schickt mir - wie bei einem Buch, das ich selbst schreibe - ihre Korrekturen und Anmerkungen (Version 3) zurück. Das ist in meinem Fall erfreulich wenig, aber es will eingearbeitet werden und hier und da gibt es auch Diskussionsstoff. Version 4 ist dann die Fassung, die in den Satz geht, bevor die Fahnen auch noch einmal korrigiert werden müssen.
Im Moment arbeiten die Lektorin und ich hintereinander her. Ich schicke ihr die frisch erarbeiteten Portionen von Version 2 und bekomme Version 3 zurück. Ist Version 2 abgeschlossen, fertige ich Version 4.
Abgesehen davon, dass das wirklich kein Spaziergang ist, wie ich zuerst naiv vermutete, muss man sich bei der Plackerei auch ganz gehörig konzentrieren. Manche eigenen Fehler lesen sich nämlich nur allzu schön! Einen dicken Hund, den ich heute aufgespießt habe, möchte ich unbedingt zur allgemeinen Belustigung teilen. Ich übersetzte:
"Das Resultat war ein ziemlich bizarres Verhalten, das seine Familie jedoch erst an dem Tag beunruhigte, als er sich auf öffentlicher Straße wenig anständige Extremitäten erlaubte..."
Tja. Welche Extremitäten er da wohl unanständig gezeigt hat? Ich sah das förmlich vor mir!
Aber wir wissen ja aus der Schule: Fremde Vokabeln können manchmal mehrere Bedeutungen haben. Und so heißt "extrémités" auch mal "Gewalttätigkeiten" und der Satz korrekt:
"Das Resultat war ein ziemlich bizarres Verhalten, das seine Familie jedoch erst an dem Tag beunruhigte, als er sich auf offener Straße wenig anständige Gewalttätigkeiten erlaubte..."
Monsieur Aragon möge mir posthum verzeihen...
Und ich mach mal weiter auf Seite 627 - denn ein Ende von Version 2 ist in Sicht!
PS: Möge dieser Beitrag auch eine kleine Illustration dafür sein, warum man für richtig gute Bücher schlicht professionelle Fachleute braucht. Selbst bei all diesen Mühen und Korrekturen werden sich immer noch genügend Fehler einschleichen. Aber wie sähe so ein Buch aus, wenn man nur an einem Arbeitsgang sparen würde!
PPS klebe ich hier an für alle, die mit der französischen Sprache arbeiten. Da habe ich gerade das absolute Paradies entdeckt, dank CNRS: Das Centre National de Ressources Textuelles et Lexicales. Ich sitze mit leuchtenden Augen davor, das ist wie Weihnachten, Ostern und Geburtstag an einem Tag für Sprachverrückte! Dass die auch noch ein eigenes Firefox-addon entwickelt haben ...
Dafür lese ich einzelne Kapitel mit dem Bleistift voraus, wodurch die Notizen im Buch (meist Vokabeln oder wichtige Wendungen) und der Text im Kopf eine erste Textidee ergeben. Daraus entsteht in einem ersten geschriebenen Durchgang die Rohübersetzung (Version 1). Die gebe ich keinem in die Hand. Gelbscheckig ist sie an den Stellen, wo ich genau nachrecherchieren muss. Wendungen, bei denen ich nicht mit ein wenig Nachdenken eine adäquate Übersetzung finde, enthalten mehrere Vorschläge, ebenfalls markiert.
Manchmal muss ich recherchieren, bevor ich überhaupt übersetzen kann - etwa wenn der Autor ein Bild beschreibt oder eine historische Person. Dann heißt es, dieses Bild zu suchen und genau zu betrachten, weil viele Ausdrücke im Französischen mehrdeutig sind. Und außerdem gibt es Kommentare an mich selbst - etwa, wenn der Originalautor und dessen Lektor Fehler übersehen haben und ich irgendwie damit umgehen muss. Eine Landesspezialität: die Franzosen scheinen es mit dem Lektorat nicht immer allzu genau zu nehmen. Und weil man eine Weile braucht, bis man den richtigen Ton und die richtige Sprache findet, ist so eine Rohübersetzung natürlich anfangs sehr gelb und wird dann langsam besser.
Die Rohübersetzung zur Lektoratsfassung (Version 2) zu überarbeiten, also abgabereif, ist für mich ein einziger Durchgang, obwohl sich dahinter mehrere Arbeitsschritte verbergen können. Feinrecherchen, Wortjonglierereien, das Suchen nach Problemlösungen bei notwendigen Korrekturen am Originaltext - das alles sind nur kleine Schritte. Denn jetzt kommt es darauf an, ein schriftstellerisch annehmbares Deutsch zu schreiben, Reihenfolgen zu ordnen, die eigenen Fehler zu korrigieren. Lexika, Onlinerecherche und das eigene Sprachgefühl werden im fliegenden Wechsel genutzt. Wenn ich diese Lektoratsfassung abgebe, sollte sie möglichst fast druckreif sein.
Anschließend lektoriert das die Lektorin und schickt mir - wie bei einem Buch, das ich selbst schreibe - ihre Korrekturen und Anmerkungen (Version 3) zurück. Das ist in meinem Fall erfreulich wenig, aber es will eingearbeitet werden und hier und da gibt es auch Diskussionsstoff. Version 4 ist dann die Fassung, die in den Satz geht, bevor die Fahnen auch noch einmal korrigiert werden müssen.
Im Moment arbeiten die Lektorin und ich hintereinander her. Ich schicke ihr die frisch erarbeiteten Portionen von Version 2 und bekomme Version 3 zurück. Ist Version 2 abgeschlossen, fertige ich Version 4.
Abgesehen davon, dass das wirklich kein Spaziergang ist, wie ich zuerst naiv vermutete, muss man sich bei der Plackerei auch ganz gehörig konzentrieren. Manche eigenen Fehler lesen sich nämlich nur allzu schön! Einen dicken Hund, den ich heute aufgespießt habe, möchte ich unbedingt zur allgemeinen Belustigung teilen. Ich übersetzte:
"Das Resultat war ein ziemlich bizarres Verhalten, das seine Familie jedoch erst an dem Tag beunruhigte, als er sich auf öffentlicher Straße wenig anständige Extremitäten erlaubte..."
Tja. Welche Extremitäten er da wohl unanständig gezeigt hat? Ich sah das förmlich vor mir!
Aber wir wissen ja aus der Schule: Fremde Vokabeln können manchmal mehrere Bedeutungen haben. Und so heißt "extrémités" auch mal "Gewalttätigkeiten" und der Satz korrekt:
"Das Resultat war ein ziemlich bizarres Verhalten, das seine Familie jedoch erst an dem Tag beunruhigte, als er sich auf offener Straße wenig anständige Gewalttätigkeiten erlaubte..."
Monsieur Aragon möge mir posthum verzeihen...
Und ich mach mal weiter auf Seite 627 - denn ein Ende von Version 2 ist in Sicht!
PS: Möge dieser Beitrag auch eine kleine Illustration dafür sein, warum man für richtig gute Bücher schlicht professionelle Fachleute braucht. Selbst bei all diesen Mühen und Korrekturen werden sich immer noch genügend Fehler einschleichen. Aber wie sähe so ein Buch aus, wenn man nur an einem Arbeitsgang sparen würde!
PPS klebe ich hier an für alle, die mit der französischen Sprache arbeiten. Da habe ich gerade das absolute Paradies entdeckt, dank CNRS: Das Centre National de Ressources Textuelles et Lexicales. Ich sitze mit leuchtenden Augen davor, das ist wie Weihnachten, Ostern und Geburtstag an einem Tag für Sprachverrückte! Dass die auch noch ein eigenes Firefox-addon entwickelt haben ...
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