Zur Hölle!

So würde wahrscheinlich der unterbezahlte Praktikant heute titeln, den ich mir nicht leisten kann. Beim heutigen Medienkompost könnte man diesen Ausruf jedenfalls mehrfach ertönen lassen.

Zum Teufel mit der Qualitätskontrolle: Random House England ruft 80.000 Exemplare von Jonathan Franzens Bestseller zurück, in denen es offenbar von Lektoratsfehlern hagelt. Angeblich war ein Setzer schuld, aber wie zum Teufel kommt der an eine "alte" Dateiversion ohne Druckfreigabe aus dem Lektorat? Da hat wohl nicht nur einer geschlafen...

Zum Teufel mit der Quote: Das herzerfrischende Interview mit dem Erfinder der Fernsehserien "The Wire" und "Treme", David Simon, in der FAZ sollte man durchaus frech auch auf den Buchmarkt beziehen. Und wenn es die FAZ hasst wie die Pest, wenn man sie zitiert, mach ich das im wissenschaftlich erlaubten Rahmen frech, denn Simon bringt es auf den Punkt:
"Und Sie wollen Sachen wie „The Wire“? Das ist ganz einfach. Dann müssen Sie alle Macht dem Autor geben."

Zum Teufel mit dem alten Mief: So könnte ich gerade Richard K. Breuers Blog umschreiben, denn er bringt nicht nur hochinteressante Beispiele für Veränderungen im Verlagswesen, sondern analysiert gleich noch die Trends. Immer wieder reinzuschauen lohnt sich. Diesmal sollte man sich vor allem im Artikel über ein alternatives Verlagkonzept den dort verlinkten Originalbeitrag des amerikanischen Autors und Medientheoretikers Douglas Rushkoff ansehen. Rushkoff ist einer in der Reihe von Autoren, die derzeit in den USA ihre Verlage verlassen und auch im deutschsprachigen Raum heiß diskutiert werden. Da passt dann auch Breuers Beitrag zu Veröffentlichungsplattformen: Cui bono, sollte man immer fragen - wem nützt es? Vergessen wir nicht: Autoren sind es, die die Lizenz zum Gelddrucken an andere verteilen. Aber nicht immer ist das Hätscheln der Kreativen selbstlos.

Zum Teufel mit der Schwerfälligkeit: Das wird sich der Autor Jürgen Neffe gesagt haben, als er sich wunderte, warum noch kein Verlag auf die Idee gekommen ist, die vielgepriesenen Ebooks so zu entwickeln, dass auch literarische Digitalformen des Erzählens entstehen. Also hat er mal schnell ein Gerät namens "Libroid" entwickeln lassen. Nun hat nicht jeder Autor lustig und zufällig eine "kleine sechsstellige Summe" auf der hohen Kante, aber das Beispiel zeigt: Innovationen kommen heute aus kleinen flexiblen Strukturen, die bereit sind, Risiken einzugehen und Entscheidungfreude an den Tag legen.

Zum Teufel mit den E-Books: Federico Heinz macht sich in "Argentina Copyleft" Gedanken über das Ebook und die ZEIT bringt einen gekürzten Vorabdruck. Nun ist das an sich nichts Neues, andere machen sich die Gedanken auch. Heinz jedoch mischt den Begriff des E-Books auf, zeigt, dass da ein preiswertes "Nichts" zu einem viel zu teuer und umständlich aufgeblasenen Verkaufsprodukt stilisiert wird. Und er redet davon, wer alles daran verdient, bevor der Text vom Autor an den Leser gelangt. Wahrhaftige elektronische Bücher seien jedoch etwas anderes und so ist sein Fazit bitter:
"Die E-Books, wie sie die Verlagsindustrie versteht, sind lediglich ein Mittel, das erdacht wurde, um die Kontrolle über den Kulturbetrieb und den Zugang zu Kultur weiter in den eigenen Händen zu behalten."
Argentina Copyleft in voller Länge kann man hier downloaden.


Zum Teufel mit den Misserfolgen!, kann man da nur ausrufen. Und beim Physiker Martin Bäker in die Schule gehen, der bei den Science-Blogs eine herrlich einfache Anleitung gibt, wie man Verkaufszahlen (und andere Statistiken) unauffällig, elegant und effektiv fälscht. Mein Tipp dazu: Die Methode lässt sich hervorragend auf Buchverkäufe und Trends in der Branche anwenden, bei zu früher Verramschung setzt man einfach Monate statt Jahre in der Skala.

Wenn ich mir jetzt diesen Medienkomposthaufen so ansehe, bleibt nur eine Schlussfolgerung: Wir gehen himmlisch wilden Zeiten entgegen, wenn das alles aus den USA über den großen Teich schwappt. Aber das tut es ja immer, früher oder später.

PS: Apropos frischer Wind -
der Deutsche Buchpreis geht an Melinda Nadj Abonji und rückt damit auch endlich einmal einen Verlag ins Rampenlicht, der sonst weniger beachtet wird: Jung und Jung.
Und Forbes meldet, dass selbstverlegte Bücher jetzt auch bei Top-Agenturen Chancen haben - sofern sie neben der Qualität gute Verkäufe vorweisen können. Von 5000 Stück im Jahr ist die Rede.

3 Kommentare:

  1. Das ist sehr großzügig von den Top-Agenturen erst dann mitverdienen zu wollen, wenn jemand schon aus eigenem Antrieb erfolgreich ist.

    Darauf muss man erstmal kommen. Genial.

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  2. So etwas Ähnliches habe ich beim Schreiben auch gedacht. Wenn jemand 5000 Exemplare Abverkauf pro Jahr allein schafft, braucht er wirklich niemanden mehr zum Mitverdienen...

    Ich betrachte diese Entwicklung auch bei diversen Plattformen mit Sorge. Bei den noch nicht etablierten Autoren werden damit Hoffnungen geschürt, die genauso trügerisch sind wie das alte System der herkömmlichen Bewerbung.

    Gleichzeitig kann man mit dieser Methode immer mehr Leute entlassen (machen ja künftig die Autoren auf eigene Rechnung und eigenes Risiko) und schraubt die Anforderungen für Autoren auch in Verlagen noch höher. Zeig erst mal, wie erfolgreich du bist, beweis unternehmerisches Risiko, dann greifen wir bequem zu.

    In die Reihe passt dann ein neues Angebot eines großen Verlagskonzerns, wo als "Autorenservice" freie Lektoren, Korrektoren, Grafiker etc. vermittelt werden. Aber irgendwo hat man genau diese Leute mal "freigesetzt" ... und wer glaubt, über diese Schiene "normal" verlegt zu werden, der träumt.

    Abgesehen davon, dass es schon kurios ist, wie viele Großverlage derzeit auf dieses Dienstleistungskonzept aufspringen.

    Wir Autoren scheinen jedenfalls eine sehr begehrte Ware zu erschaffen, wenn solche Geschäftskonzepte aufgehen...

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  3. Das liegt an der Hoffnung, an der "Eitelkeit", am Wunsch teilhaben zu wollen am establishment - wer sich also gut damit auskennt, wie Menschen "funktionieren" hat schon die halbe Miete. Überall im Leben spielt Psychologie eine große Rolle.

    Ich habe nur dann ein Problem damit, wenn sich Menschen nicht bewusst sind, auf was sie sich einlassen.

    Ich habe einige Zusammenhänge im Leben nie verstanden. Nicht, dass ich sie nicht wirklich nicht verstanden hätte, aber kurz gesagt, sie waren mir immer zu doof. Und weil ich mich so schlecht anpassen kann, schreibe ich jetzt hier einen Kommentar und nicht einen grandiosen Beitrag in einer grandiosen Zeitung, die mich noch ordentlich (naja - früher halt) dafür entlohnen würde.

    :-)

    Immer munter bleiben.

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