Macht euch frei

Was haben wir heute im Angebot? Wind, viel Wind. Scharf und eisig aus Nordost, was die Nordvogesen betrifft - aber genau diese Wetterlage durchlüftet das Hirn und bläst die Menschen hinaus in die Sonne. Irgendwo steht ein einsamer Autor und reißt die letzten Papierbücher zu Federn, aus denen er sich Flügel baut, während in China eine strenge Auslese unter Neugeborenen stattfindet. Dort wird die Menschheit in Fernsehzuschauer und Schreiber erzogen. Die einen schreiben den Müll, den die anderen konsumieren. Irgendwo in den USA liegt eine erfolgreiche Schriftstellerin unterm Messer des Schönheitschirurgen und lässt sich zur Arbeit passend zurechtoperieren. Vor allem die Titaniumplatte unter der Haut wird ihr bessere Dienste leisten als die alte Hornhaut gegen Kritiker. Ihr Kollege hat es nicht so gut erwischt. Er endet wie das Heer mittelmäßig bekannter Autoren in Schachtelgröße auf einem der Tische in einem Fastfoodrestaurant. Wer seine Kreditkarte in ihn hineinsteckt, kann auf Knopfdruck den gewünschten Roman abrufen, in Twitterlänge natürlich...

Das und ähnlichen vergnüglichen Wahnsinn haben die Herausgeber Jeff Martin und C. Max Magee in dem Buch "The Late American Novel: Writers on the Future of Books" (Soft Skull Press) zusammenkochen lassen. Der etwas andere Schreibratgeber exerziert durch, wie Autoren zu hochgezüchteten eierlegenden Wollmilchschweinen werden, mit Groupies umgehen oder als Textspender enden.

Ähnliche Aufbruchstimmung herrscht bei Cora Stephan, die manchen eher als Romanschriftstellerin Anne Chaplet bekannt ist. Die politische Publizistin macht sich in der NZZ Gedanken um die Entkörperlichung der Ware Buch: "Revolution in der Gutenberg-Galaxis". Anders als die meisten Schwarzseher begreift sie den Umbruch in der Wahrnehmung von Büchern als Chance und Befreiung für die Autoren:
"Fragen wir also einmal andersherum: Wäre es nicht geradezu eine Befreiung, wenn der Zwang zur Körperlichkeit mitsamt dem kostenaufwendigen Vertrieb wegfiele? Könnte es nicht sein, dass die Revolution der Gutenberg-Galaxis gerade für die Autoren die grössten Chancen bereithält?"
So ganz neu und zukunftsweisend sind ihre Schlussfolgerungen zwar nicht mehr - aber das zeigt nur, wie rasend sich die Revolution ausbreitet.

Studenten der Buchwissenschaft in München haben sich mit der Zukunft beschäftigt, die in der Vergangenheit liegt. Noch sind zahlreiche Recherchen notwendig, um fremde Literaturen zu entdecken, doch der Markt wird durch die Distributionsriesen zunehmend global. Wohl dem, der in den richtigen Sprachen schreibt - schon jetzt kann er weltweit gelesen werden. Für alle anderen gibt es das Buch "In 80 Büchern um die Welt. Eine literarische Weltreise", das im Thiele Verlag erschienen ist und zum Stöbern einlädt.

Man stelle sich das vor: Stöbern nicht im Buchladen. In Frankreich ist das nach dem Buchhandelssterben ja längst gang und gäbe - den politischen Aufreger kaufe ich neben der Käsetheke, die Comics neben dem Gemüse und selbst im Ministädtchen auf dem Land hängt eine Mindestauswahl von Kochbüchern an der Kühltruhe mit den Milchprodukten. Nach der Pleite von Borders denken nun auch die Amerikaner um - da scheint es hipp zu werden, Bücher in Klamottenläden anzubieten. Während die großen Ketten ihre Riesenflächen zunehmend mit Non-Book-Produkten füllen, weil das mit den Bücherstapeln nicht mehr so läuft wie gedacht, bringen Verlage ihre Bücher neuerdings in Läden aller Art. Und siehe da, die New York Times verkündet ein kleines Wunder: Plötzlich verkaufen sich auch schräge Bücher gut, die mit den Ketten nie eine Chance gehabt hätten!

Nicht schräg genug, nicht zukünftig genug? Dann habe ich noch einen ganz besonderen Geheimtipp aus den Tiefen meiner Bibliothek. Dort steht nämlich ein Buch, das schon etwas zerfleddert ist, weil es mich auch nach mehrmaligem Lesen noch herrlich zum Lachen gebracht hat. "Cosmo Pollite" heißt der Kultschinken, den es heute nur noch in teuren Sammlerexemplaren gibt. Der Schöpfer des Weltraumphilosophen, der gar fürchterlich mit den Mächten der Finsternis ringt, hat wohl endlich auf mich gehört, als ich ein verzweifeltes "Mehr!" schrie. Schließlich kann ich nicht ständig das gleiche Buch vor- und rückwärts lesen und auch Douglas Adams gibt nicht mehr viel her. Andreas Winterer, der im Parallelleben der etwas anderen Literaturzeitschrift "Zarathustras miese Kaschemme" als Wirt vorsteht, legt endlich nach.

Vergesst, was zaudernde Verlage über Genre sagen, vergesst, dass angeblich keiner mehr Science Fiction mag. Andreas Winterers demnächst bei Evolver Books erscheinender "Scott Bradley" ist genau der Typ, mit dem man freiwillig kein Buch verbringen möchte: Ein Unsympath und unflätig daherbrüllendes Berufsekel, ein stinkender Müllkutscher von Raumschiff-Kapitän, bezaubernd trashig mit seinen affenscharfen Dialogen. Wer wissen will, was ich nicht nur heimlich und nicht nur unter der Bettdecke verspeise - hier gibt's die Leseprobe.

Tja, der frische Wind pfeift, die Zukunft hat bereits begonnen und ich kann es kaum abwarten, mich in dieses Raumschiff beamen zu lassen. (Ich, die ich kaum noch Science Fiction anrühre). Oder wie Scott Bradley sagt:
„Hier? Wir sind doch praktisch nirgendwo. Am Arsch der Galaxis, sozusagen.“

2 Kommentare:

  1. Vielen herzlichen Dank für diesen herzerfrischenden Blogpost. Ich hatte dazu heute auch ein Post veröffentlich "Pizza und Bücher" http://demipress.blogspot.com/2011/03/pizza-und-bucher.html die Idee dazu hatte ein Verlag.
    Herzliche Grüsse sendet D. Skrzypczak

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  2. Tolle Sache!
    Mein Elsassbuch hat sich übrigens aus genau dem Grund so gut verkauft - der Verlag war sich nicht zu schade, ganz nah ans Publikum zu gehen und auch Leute aus dem Fremdenverkehr und der Gastronomie zu beliefern.
    Ich habe auch schon edle Fotobände in den hauseigenen Bibliotheken von Nobelhotels gesehen.

    Hier liegt übrigens die Zukunft für aktive Autoren. Wenn ich mit einem Buch nicht im Buchhandel ausliege, tue ich gut daran, alternative Verkäufer zu finden.

    Herzliche Grüße!

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