Ein Buch mit eigenem Kopf
Bücher sind ein wunderliches Ding. Sie scheinen immer gleich auszusehen: Ein Deckelgebilde hält Seiten, die etwas erzählen oder auch nicht. Recommendation concerning the International Standardization of Statistics Relating to Book Production and Periodicals heißt der Paragraphenwurm der UNESCO, der Bücherwürmern sagt, was Sache ist. Darin wird akribisch definiert, was Buch sein darf und was nicht. Eine UNESCO-Ausschlussliste für die bösen Werke also, die nur vorgeben, ein echtes Buch zu sein. Telefonbücher, Atlanten, als Hardcover 300seitig redigierte Preislisten, nicht mit mechanischen Druckverfahren hergestellte Bücher, wahrscheinlich sogar das umfangreiche Manuskript von Jack Torrance dürfen sich am Welttag des Buchs nicht feiern lassen.
Bücher sind ein verlässlich Ding. Sie tragen weithin sichtbar die Aufschrift "Roman" oder zwängen sich in ein Genre-Regal, sie werden von Buchhändlern hilflos aussortiert, wenn sie Genregrenzen sprengen. Manche glänzen mit Aufklebern wie "Buch des Monats" oder "Spitzentitel". Seit der Abschaffung der Schriftrollen und Pergamente stricken wir an der kollektiven Vorstellung vom Buch, das von richtigen Buchautoren geschrieben sein muss, sonst ist es womöglich nur ein Tagebuch. Bücherwürmer wissen das.The General Conference of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization mit ihrer Recommendation concerning the International Standardization of Statistics Relating to Book Production and Periodicals - welch ein Wortwurm! Verschlafen haben sie das E-Book...
Bücher sind frech. Neue Formen wollen alte stürzen. Doch wir zähmen sie sogleich und diskutieren Schubladen und Normen: epub, pdf, app. Was darf ein E-Book und was nicht? Reicht es, Papier zu scannen oder müssen Bücher künftig interaktiv sein? Ist eine App noch ein Buch? Wir haben genug von "totem Holz", beschimpfen die einen das Buch. Wir brauchen Haptik, Genuss, wir wollen Bücher streicheln, brüllen die anderen. Und so manch einer geht ganz leise in uralte Bibliotheken, inhaliert den Staub der Jahrhunderte, als sei es eine Droge, lässt sich eine Inkunabel vorlegen- und streift vorsichtig und genüsslich die weißen Handschuhe über. Manche Bücher verlangen Respekt.
Währenddessen machen die Bücher, was sie wollen. Sie lösen sich von ihren Menschen und spazieren allein in die Welt hinaus. Sie nehmen ihre Geschichten einfach mit. Früher haben sie nur Zeiten überdauert und Jahrhunderte überlebt. Heute erobern sie den Raum. Der Reiseführer ist mit dem GPS verbunden und nudelt in der richtigen Kirche die richtige Musik ab. Wandelbare Stadtgeschichten vernetzen sich im Internet und verdichten sich zu elektronischen Büchern, geschrieben und erfunden von Fußgängern - nicht mehr von echten Buchautoren. Wandelbücher von Wandlern geschrieben. Fußgängerbücher, multimediale Bücher, Multiple-Choice-Bücher mit offenen Enden - Tagebuchschreiber werden Mitautoren, Leser greifen in Geschichten ein und es wird geklickt und verlinkt und vernetzt. Und fleißig raubkopiert.
Autoren kämpfen um Urheberrechte und manche Leser kämpfen um Bücher für alle und jeden. Autoren kämpfen darum, Autoren zu sein. Leser kämpfen darum, Autoren zu werden. Bücher werden verliehen, unzählige Male kopiert, verschenkt und wie die Sau um den Erdball getrieben. Bücher haben es schwer. Je öfter sie sich klonen lassen, desto eher gesteht man ihnen Überleben zu. Nicht mehr das Material bestimmt die Dauer, sondern die Masse; nicht mehr der Inhalt, sondern der Profit. Manchmal nähert sich so ein Erfolgsbuch dem bösen Telefonbuch an. Und manchmal, in Umbruchzeiten, scheinen sich Bücher von ihren Menschen zu lösen und ein Eigenleben zu entwickeln. Brauchen Menschen Bücher oder brauchen Bücher Menschen? Wie viel Print muss sein, wie viel Experiment darf sein? Wer ist Autor und was ist Lesen? Ein Buch ist ein Buch ist ein Buch?
Zur Leipziger Buchmesse, die heute beginnt, stehen sie wieder brav in Reihe. Und sogar die E-Books kommen ordentlich daher, in Reader gepackt, im genormten Seitenoutfit. Selbst das elektronische Eselsohr darf nicht fehlen. Kauft mich! Die Masse macht ein Buch, ein richtig erfolgreiches Buch, ein Telefonbuchromanspitzentitelbuch.
Auf der Leipziger Buchmesse hat sich jedoch in Halle 3, Stand E 521 ein besonders freches Buch eingeschlichen. Eine kleine Buchrevolution. Dieses Buch hat nämlich seinen eigenen Kopf. Und obendrein keine Brustwarzen. Mit 21,0 x 29,7 cm brächte es die Fachkommission der UNESCO zum Frohlocken und Holz und Print ist da irgendwie auch. Die Haptiker - diese Leute, die Bücher streicheln und Geschichten liebkosen, bekommen die weißen Handschuhe gleich mitgeliefert.
Es ist das erste transmediale EinBUCH der Welt.
Oder ist es eher ein EINbuch? "EINBUCH 1 1 von 1", "Einbuch 2 1 von 1", klingt nach Verweigerung und Einzigartigkeit - Auflage hat dieses Buch nicht nötig. Auf den Kopierer lässt es sich so leicht nicht legen. Und doch steht es irgendwie frei bei youtube im virtuellen Raum und irgendwie doch nicht.
Das alles verspricht das transmediale EinBUCH. Miba Eisbraun zeichnet dafür verantwortlich, aber wer mag Miba Eisbraun sein? Ein echter Buchautor oder eine echte Buchautorin? Oder ein Mensch, der fotografiertbildhauertschreibtkomponiertfilmtperformanced? Schlagen wir doch das Buch einmal auf...
So einfach ist das nicht. Das Buchobjekt will liebevoll behandelt und demontiert werden. Demontage von Büchern? Zwischen Text und Fotografie verbirgt die Skulptur Buch eine DVD. Eine einzige DVD für ein einziges Buch. Millionenfach, zum Trailer gekürzt, abzurufen bei youtube: die Performance. Oder ist es eine Lesung? Die Geschichte: eine einzige für ein einziges Buch. Millionenfach abzurufen in einem Blog, gestylt in absolutem Selfmade-Understatement: Just another wordpress.com-site. Gedruckt, aber nicht auf Papier. Gelesen, aber nicht in einer Lesung. Das EinBUCH ist inszeniert, fotografiert, aufgeführt, gefilmt, hergestellt. Gleichzeitig elitär begrenzt auf das Extrem des Begrenzbaren - und doch weltweit verfügbar in gewandelter Form. Ein Objekt, das man vorsichtig mit Handschuhen berührt; ein Datenstrom, den man sich nachlässig herbeiklicken kann.
Wo ist das Buch, wo fängt es an, wo hört es auf? Ein Buch ist ein Buch ist ein Buch ist ein EinBUCH?
Miba Eisbraun: Das Blog zum EinBUCH 1 1 von 1
Die Performance in Kurzfassung
Live auf der Leipziger Buchmesse bis Sonntag in Halle 3, Stand E 521
Bücher sind ein verlässlich Ding. Sie tragen weithin sichtbar die Aufschrift "Roman" oder zwängen sich in ein Genre-Regal, sie werden von Buchhändlern hilflos aussortiert, wenn sie Genregrenzen sprengen. Manche glänzen mit Aufklebern wie "Buch des Monats" oder "Spitzentitel". Seit der Abschaffung der Schriftrollen und Pergamente stricken wir an der kollektiven Vorstellung vom Buch, das von richtigen Buchautoren geschrieben sein muss, sonst ist es womöglich nur ein Tagebuch. Bücherwürmer wissen das.The General Conference of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization mit ihrer Recommendation concerning the International Standardization of Statistics Relating to Book Production and Periodicals - welch ein Wortwurm! Verschlafen haben sie das E-Book...
Bücher sind frech. Neue Formen wollen alte stürzen. Doch wir zähmen sie sogleich und diskutieren Schubladen und Normen: epub, pdf, app. Was darf ein E-Book und was nicht? Reicht es, Papier zu scannen oder müssen Bücher künftig interaktiv sein? Ist eine App noch ein Buch? Wir haben genug von "totem Holz", beschimpfen die einen das Buch. Wir brauchen Haptik, Genuss, wir wollen Bücher streicheln, brüllen die anderen. Und so manch einer geht ganz leise in uralte Bibliotheken, inhaliert den Staub der Jahrhunderte, als sei es eine Droge, lässt sich eine Inkunabel vorlegen- und streift vorsichtig und genüsslich die weißen Handschuhe über. Manche Bücher verlangen Respekt.
Währenddessen machen die Bücher, was sie wollen. Sie lösen sich von ihren Menschen und spazieren allein in die Welt hinaus. Sie nehmen ihre Geschichten einfach mit. Früher haben sie nur Zeiten überdauert und Jahrhunderte überlebt. Heute erobern sie den Raum. Der Reiseführer ist mit dem GPS verbunden und nudelt in der richtigen Kirche die richtige Musik ab. Wandelbare Stadtgeschichten vernetzen sich im Internet und verdichten sich zu elektronischen Büchern, geschrieben und erfunden von Fußgängern - nicht mehr von echten Buchautoren. Wandelbücher von Wandlern geschrieben. Fußgängerbücher, multimediale Bücher, Multiple-Choice-Bücher mit offenen Enden - Tagebuchschreiber werden Mitautoren, Leser greifen in Geschichten ein und es wird geklickt und verlinkt und vernetzt. Und fleißig raubkopiert.
Autoren kämpfen um Urheberrechte und manche Leser kämpfen um Bücher für alle und jeden. Autoren kämpfen darum, Autoren zu sein. Leser kämpfen darum, Autoren zu werden. Bücher werden verliehen, unzählige Male kopiert, verschenkt und wie die Sau um den Erdball getrieben. Bücher haben es schwer. Je öfter sie sich klonen lassen, desto eher gesteht man ihnen Überleben zu. Nicht mehr das Material bestimmt die Dauer, sondern die Masse; nicht mehr der Inhalt, sondern der Profit. Manchmal nähert sich so ein Erfolgsbuch dem bösen Telefonbuch an. Und manchmal, in Umbruchzeiten, scheinen sich Bücher von ihren Menschen zu lösen und ein Eigenleben zu entwickeln. Brauchen Menschen Bücher oder brauchen Bücher Menschen? Wie viel Print muss sein, wie viel Experiment darf sein? Wer ist Autor und was ist Lesen? Ein Buch ist ein Buch ist ein Buch?
Zur Leipziger Buchmesse, die heute beginnt, stehen sie wieder brav in Reihe. Und sogar die E-Books kommen ordentlich daher, in Reader gepackt, im genormten Seitenoutfit. Selbst das elektronische Eselsohr darf nicht fehlen. Kauft mich! Die Masse macht ein Buch, ein richtig erfolgreiches Buch, ein Telefonbuchromanspitzentitelbuch.
Auf der Leipziger Buchmesse hat sich jedoch in Halle 3, Stand E 521 ein besonders freches Buch eingeschlichen. Eine kleine Buchrevolution. Dieses Buch hat nämlich seinen eigenen Kopf. Und obendrein keine Brustwarzen. Mit 21,0 x 29,7 cm brächte es die Fachkommission der UNESCO zum Frohlocken und Holz und Print ist da irgendwie auch. Die Haptiker - diese Leute, die Bücher streicheln und Geschichten liebkosen, bekommen die weißen Handschuhe gleich mitgeliefert.
Es ist das erste transmediale EinBUCH der Welt.
Oder ist es eher ein EINbuch? "EINBUCH 1 1 von 1", "Einbuch 2 1 von 1", klingt nach Verweigerung und Einzigartigkeit - Auflage hat dieses Buch nicht nötig. Auf den Kopierer lässt es sich so leicht nicht legen. Und doch steht es irgendwie frei bei youtube im virtuellen Raum und irgendwie doch nicht.
Angewandte, Bildende und Darstellende Kunst in Bündelung
Kunst (Performance, Video, Fotografie, Skulptur, Objekt) . Literatur . Klang
Das alles verspricht das transmediale EinBUCH. Miba Eisbraun zeichnet dafür verantwortlich, aber wer mag Miba Eisbraun sein? Ein echter Buchautor oder eine echte Buchautorin? Oder ein Mensch, der fotografiertbildhauertschreibtkomponiertfilmtperformanced? Schlagen wir doch das Buch einmal auf...
So einfach ist das nicht. Das Buchobjekt will liebevoll behandelt und demontiert werden. Demontage von Büchern? Zwischen Text und Fotografie verbirgt die Skulptur Buch eine DVD. Eine einzige DVD für ein einziges Buch. Millionenfach, zum Trailer gekürzt, abzurufen bei youtube: die Performance. Oder ist es eine Lesung? Die Geschichte: eine einzige für ein einziges Buch. Millionenfach abzurufen in einem Blog, gestylt in absolutem Selfmade-Understatement: Just another wordpress.com-site. Gedruckt, aber nicht auf Papier. Gelesen, aber nicht in einer Lesung. Das EinBUCH ist inszeniert, fotografiert, aufgeführt, gefilmt, hergestellt. Gleichzeitig elitär begrenzt auf das Extrem des Begrenzbaren - und doch weltweit verfügbar in gewandelter Form. Ein Objekt, das man vorsichtig mit Handschuhen berührt; ein Datenstrom, den man sich nachlässig herbeiklicken kann.
Wo ist das Buch, wo fängt es an, wo hört es auf? Ein Buch ist ein Buch ist ein Buch ist ein EinBUCH?
Miba Eisbraun: Das Blog zum EinBUCH 1 1 von 1
Die Performance in Kurzfassung
Live auf der Leipziger Buchmesse bis Sonntag in Halle 3, Stand E 521
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