Das Achterbahn-Komplott
Klingt wie ein Thriller, ging auch ähnlich an die Nerven. Jemand bei Twitter fragt, wann und wo "Nijinsky" erscheinen wird, und eben habe ich die letzten Danksagungen ins Manuskript getippt. Dabei fiel mir wieder der eine Abend ein, der bei mir einen Schalter umgelegt hatte und dazu führte, dass ich alle Pfade der Tugend verließ, pardon, alle eingetretenen Autorenwege. Ungläubig starre ich auf den Kalender: Über zwei Jahre sind vergangen!
"Nijinsky" war ursprünglich ein Verlagsauftrag - ein Hörbuch war geplant, das pünktlich zum hundertjährigen Jubiläum der Ballets Russes im September 2009 erscheinen sollte. Ende 2008 hatte ich den Vertrag unterschrieben, im August 2009 waren alle Arbeiten am Manuskript angeschlossen. Ich hatte das Letzte aus mir herausgepresst - die Recherchen waren immens, das Schreiben ein Kraftakt. Wie das manchmal vorkommt, kam es zu Verzögerungen, doch konnte ich im Januar 2010 jubeln: Nijinsky war als Spitzentitel eingeplant.
Es folgte eine Zeit der Wechselbäder und drei Monate später war es dann amtlich: Das Hörbuch konnte nicht produziert werden. Gleichzeitig zwei Todesfälle in der engsten Familie, ein Fast-Todesfall und ein erster Auftrag im neuen Übersetzerberuf, der terminlich drängte - ich weiß nicht mehr, wie ich diese Zeit überstanden habe. Ich erinnere mich nur noch dunkel daran, dass mein Anwalt es mir abnahm, die Rechte zurückzurufen. Da stand ich nun, mit dem meiner Meinung nach besten Text meiner Laufbahn, meinen Rechten - und völlig am Ende aller Kräfte.
Verzweifelt griff ich nach dem letzten Strohhalm, den ich erkennen konnte: Ich müsste einfach ganz schnell einen herkömmlichen Verlag für das Manuskript finden und es zum normalen Buch umarbeiten. Während ich zwei Monate lang fast jeden Tag 100 km fuhr, um eine Wohnung aufzulösen und mich um Formalitäten zu kümmern (und "nebenbei" ein Buch über die Avantgarde übersetzte), schaffte ich es irgendwie, auch noch ein Exposé zu stricken und loszuschicken. Klar, dass ich jubelte, als mir die Verlegerin eines anderen Verlags am Telefon quasi zusagte. Sie wolle den Nijinsky gern ins Programm aufnehmen. Herbst 2011 war als Erscheinungstermin angedacht, ebenfalls als Spitzentitel. Damals war ich noch so naiv, an telefonische Versprechungen zu glauben.
Aber dann wurden die Vertreter zu Rate gezogen, externe Vertreter eines dritten Verlags übrigens, der sich nicht gerade mit dem Einkauf deutschsprachiger Autoren einen Namen gemacht hat. Und diese Vertreter zeigten mit dem Daumen nach unten - aus einem völlig abstrusen Grund. Freitag der 13., im August 2010 - und wie man im Blog nachlesen kann, war ich da in Stimmung für Wodka und Chopin. Undenkbar für mich, das Ganze selbst in die Hand zu nehmen, ich empfand das als "Bankrotterklärung meiner selbst". Noch war ich zu blind, um zu erkennen, dass ganz andere sich bankrott erklärt hatten. Aber in Wodka und Chopin lagen wohl Kraft, denn ich notierte:
"Nicht dass ich jetzt von den Russen lassen würde. Da ist der berühmte "point of no return" längst erreicht..."
Es folgte völlige Konfusion. Ich versuchte es euphorisch mit einem anderen Manuskript und gab es wieder auf. Ich dachte daran, den Manuskripttext von "Nijinsky" mit einem "Unmaking of" zu einem Ratgeber für Autoren umzugestalten. Daran kann man sehen, dass ich eigentlich nur noch verzweifelt war. Jeder normale Mensch hätte aufgegeben, Urlaub gemacht, brav gearbeitet und sich der nächsten Idee zugewandt. Aber dieses Buch war nicht normal und ich war es offensichtlich auch längst nicht mehr.
In solchen Momenten, in denen man trotz aller Katastrophen und Kraftlosigkeit noch die Leidenschaft aufbringt, an ein künstlerisches Projekt zu glauben, begegnen einem oft seltsam passende Menschen und Zeichen. Man kann in solchen Momenten die Augen davor verschließen oder mutig ins eiskalte Wasser springen.
Es war das Musikfestival in Wissembourg, das alles für mich veränderte. Zwei Wochen lang war ich fast jeden Tag in einem Konzert mit dem Schwerpunkt russische Musik, um alles zu vergessen und einfach nur noch zu mir zu kommen. "Mein Nijinsky", der von Petersburg nach Paris gekommen war, würde - so dachte ich - nie das Licht der Welt erblicken. Also saß ich in Frankreich, um mir Petersburger Musiker anzuhören. Meiner französischen Freundin werde ich nie vergessen, dass sie mich an einem Abend zu einem gemeinsamen Essen mit den Petersburgern schleppte, bei dem auch zwei Musikmäzene aus den USA anwesend waren, die junge Talente gefördert hatten, deren Namen man heute kennt. Und da musste ich aufgeregt und völlig nervös in viersprachiger Runde mein Projekt "pitchen", von meinem Manuskript erzählen.
Ich war im siebten Himmel. Mit den Russen konnte ich mich plötzlich über einen Tänzer austauschen, der in ihrer Heimat noch absolut lebendig und präsent ist. An jenem Abend hatten sie eine Uraufführung von Musik eines seiner Ballettkomponisten gespielt - dessen vergessene Noten sie in einer Bibliothek in Petersburg entdeckt hatten. Petersburg war plötzlich ganz nah und ich konnte meine Leidenschaft teilen. Die Amerikaner haben mir dann erfolgreich den Kopf gewaschen. Warum ich mich denn in solch einem wichtigen Bereich wie der Kunst von Menschen abhängig machen würde, die nur behinderten, die zu träge geworden seien und sich gar nicht mehr für die Inhalte interessierten? Sie meinten die Verlagswelt.
Es waren diese besonderen Menschen, es war die Magie dieses Abends, die mir die verrückteste Idee eingab: "Nijinsky" würde nach zweimaligem Scheitern trotzdem ein Buch werden. Jetzt erst recht. Ich würde es selbst machen und mir nur noch Menschen suchen, die mich vorwärts brachten, anstatt mich zu blockieren. Euphorisch triumphierte ich über das kleinliche Konkurrenzdenken jenes zweiten Verlags und drehte den Spieß um: Gute Bücher macht man mit Partnern, nicht gegen jemanden. Und so suchte ich mir für den zweiten Teil zwei namhafte Fachmenschen, die ich interviewen wollte: einen Choreografen und einen Museumskurator.
Was dann folgte, hat jeder in der Serie "Ich bastle ein Buch" verfolgen können. Heute lache ich über KollegInnen, die behaupten, ein Buch im Print-on-Demand-Verfahren habe Schmuddelimage. Es hat meine Interviewpartner nicht gestört, es hat auch viele andere nicht gestört, die ich kontaktierte. Im Gegenteil, sogar Menschen aus der etablierten Buchbranche und aus Verlagen sprangen mir plötzlich helfend und motivierend zur Seite, nicht zuletzt die Bücherfrauen. Ich bin der Meinung, dass man als Profiautor durchaus auch ohne Verlag professionelle Bücher machen kann - es macht nur sehr viel mehr Arbeit und kostet erst einmal Geld.
Ich bin jetzt gerade dabei, die Fotorechte zu besorgen und das Buch zu setzen. Derweil wird das Cover gestaltet. Da ich lieber mit Weile eile als im letzten Moment noch etwas zu verhunzen, gebe ich noch keinen genauen Erscheinungstermin bekannt. Vom Satz bis zur Käuflichkeit muss ich etwa vier bis sechs Wochen für den Hersteller rechnen - das sind also absehbare Zeiträume. Erscheinen wird das Buch bei Monsenstein & Vannerdat - im Nijinsky-Blog werde ich natürlich rechtzeitig den Erscheinungstermin und den endgültigen Titel bekannt geben. Ich muss wohl kaum sagen, dass sich durch dieses Projekt und vor allem das Festhalten daran so viel in meinem Denken geändert hat, dass ich auch künftig mit dem Kopf durch Betonwände gehen werde. Und irgendwann, irgendwann werde dann auch ich einmal nach Sankt Petersburg reisen...
"Nijinsky" war ursprünglich ein Verlagsauftrag - ein Hörbuch war geplant, das pünktlich zum hundertjährigen Jubiläum der Ballets Russes im September 2009 erscheinen sollte. Ende 2008 hatte ich den Vertrag unterschrieben, im August 2009 waren alle Arbeiten am Manuskript angeschlossen. Ich hatte das Letzte aus mir herausgepresst - die Recherchen waren immens, das Schreiben ein Kraftakt. Wie das manchmal vorkommt, kam es zu Verzögerungen, doch konnte ich im Januar 2010 jubeln: Nijinsky war als Spitzentitel eingeplant.
Es folgte eine Zeit der Wechselbäder und drei Monate später war es dann amtlich: Das Hörbuch konnte nicht produziert werden. Gleichzeitig zwei Todesfälle in der engsten Familie, ein Fast-Todesfall und ein erster Auftrag im neuen Übersetzerberuf, der terminlich drängte - ich weiß nicht mehr, wie ich diese Zeit überstanden habe. Ich erinnere mich nur noch dunkel daran, dass mein Anwalt es mir abnahm, die Rechte zurückzurufen. Da stand ich nun, mit dem meiner Meinung nach besten Text meiner Laufbahn, meinen Rechten - und völlig am Ende aller Kräfte.
Verzweifelt griff ich nach dem letzten Strohhalm, den ich erkennen konnte: Ich müsste einfach ganz schnell einen herkömmlichen Verlag für das Manuskript finden und es zum normalen Buch umarbeiten. Während ich zwei Monate lang fast jeden Tag 100 km fuhr, um eine Wohnung aufzulösen und mich um Formalitäten zu kümmern (und "nebenbei" ein Buch über die Avantgarde übersetzte), schaffte ich es irgendwie, auch noch ein Exposé zu stricken und loszuschicken. Klar, dass ich jubelte, als mir die Verlegerin eines anderen Verlags am Telefon quasi zusagte. Sie wolle den Nijinsky gern ins Programm aufnehmen. Herbst 2011 war als Erscheinungstermin angedacht, ebenfalls als Spitzentitel. Damals war ich noch so naiv, an telefonische Versprechungen zu glauben.
Aber dann wurden die Vertreter zu Rate gezogen, externe Vertreter eines dritten Verlags übrigens, der sich nicht gerade mit dem Einkauf deutschsprachiger Autoren einen Namen gemacht hat. Und diese Vertreter zeigten mit dem Daumen nach unten - aus einem völlig abstrusen Grund. Freitag der 13., im August 2010 - und wie man im Blog nachlesen kann, war ich da in Stimmung für Wodka und Chopin. Undenkbar für mich, das Ganze selbst in die Hand zu nehmen, ich empfand das als "Bankrotterklärung meiner selbst". Noch war ich zu blind, um zu erkennen, dass ganz andere sich bankrott erklärt hatten. Aber in Wodka und Chopin lagen wohl Kraft, denn ich notierte:
"Nicht dass ich jetzt von den Russen lassen würde. Da ist der berühmte "point of no return" längst erreicht..."
Es folgte völlige Konfusion. Ich versuchte es euphorisch mit einem anderen Manuskript und gab es wieder auf. Ich dachte daran, den Manuskripttext von "Nijinsky" mit einem "Unmaking of" zu einem Ratgeber für Autoren umzugestalten. Daran kann man sehen, dass ich eigentlich nur noch verzweifelt war. Jeder normale Mensch hätte aufgegeben, Urlaub gemacht, brav gearbeitet und sich der nächsten Idee zugewandt. Aber dieses Buch war nicht normal und ich war es offensichtlich auch längst nicht mehr.
In solchen Momenten, in denen man trotz aller Katastrophen und Kraftlosigkeit noch die Leidenschaft aufbringt, an ein künstlerisches Projekt zu glauben, begegnen einem oft seltsam passende Menschen und Zeichen. Man kann in solchen Momenten die Augen davor verschließen oder mutig ins eiskalte Wasser springen.
Es war das Musikfestival in Wissembourg, das alles für mich veränderte. Zwei Wochen lang war ich fast jeden Tag in einem Konzert mit dem Schwerpunkt russische Musik, um alles zu vergessen und einfach nur noch zu mir zu kommen. "Mein Nijinsky", der von Petersburg nach Paris gekommen war, würde - so dachte ich - nie das Licht der Welt erblicken. Also saß ich in Frankreich, um mir Petersburger Musiker anzuhören. Meiner französischen Freundin werde ich nie vergessen, dass sie mich an einem Abend zu einem gemeinsamen Essen mit den Petersburgern schleppte, bei dem auch zwei Musikmäzene aus den USA anwesend waren, die junge Talente gefördert hatten, deren Namen man heute kennt. Und da musste ich aufgeregt und völlig nervös in viersprachiger Runde mein Projekt "pitchen", von meinem Manuskript erzählen.
Ich war im siebten Himmel. Mit den Russen konnte ich mich plötzlich über einen Tänzer austauschen, der in ihrer Heimat noch absolut lebendig und präsent ist. An jenem Abend hatten sie eine Uraufführung von Musik eines seiner Ballettkomponisten gespielt - dessen vergessene Noten sie in einer Bibliothek in Petersburg entdeckt hatten. Petersburg war plötzlich ganz nah und ich konnte meine Leidenschaft teilen. Die Amerikaner haben mir dann erfolgreich den Kopf gewaschen. Warum ich mich denn in solch einem wichtigen Bereich wie der Kunst von Menschen abhängig machen würde, die nur behinderten, die zu träge geworden seien und sich gar nicht mehr für die Inhalte interessierten? Sie meinten die Verlagswelt.
Es waren diese besonderen Menschen, es war die Magie dieses Abends, die mir die verrückteste Idee eingab: "Nijinsky" würde nach zweimaligem Scheitern trotzdem ein Buch werden. Jetzt erst recht. Ich würde es selbst machen und mir nur noch Menschen suchen, die mich vorwärts brachten, anstatt mich zu blockieren. Euphorisch triumphierte ich über das kleinliche Konkurrenzdenken jenes zweiten Verlags und drehte den Spieß um: Gute Bücher macht man mit Partnern, nicht gegen jemanden. Und so suchte ich mir für den zweiten Teil zwei namhafte Fachmenschen, die ich interviewen wollte: einen Choreografen und einen Museumskurator.
Was dann folgte, hat jeder in der Serie "Ich bastle ein Buch" verfolgen können. Heute lache ich über KollegInnen, die behaupten, ein Buch im Print-on-Demand-Verfahren habe Schmuddelimage. Es hat meine Interviewpartner nicht gestört, es hat auch viele andere nicht gestört, die ich kontaktierte. Im Gegenteil, sogar Menschen aus der etablierten Buchbranche und aus Verlagen sprangen mir plötzlich helfend und motivierend zur Seite, nicht zuletzt die Bücherfrauen. Ich bin der Meinung, dass man als Profiautor durchaus auch ohne Verlag professionelle Bücher machen kann - es macht nur sehr viel mehr Arbeit und kostet erst einmal Geld.
Ich bin jetzt gerade dabei, die Fotorechte zu besorgen und das Buch zu setzen. Derweil wird das Cover gestaltet. Da ich lieber mit Weile eile als im letzten Moment noch etwas zu verhunzen, gebe ich noch keinen genauen Erscheinungstermin bekannt. Vom Satz bis zur Käuflichkeit muss ich etwa vier bis sechs Wochen für den Hersteller rechnen - das sind also absehbare Zeiträume. Erscheinen wird das Buch bei Monsenstein & Vannerdat - im Nijinsky-Blog werde ich natürlich rechtzeitig den Erscheinungstermin und den endgültigen Titel bekannt geben. Ich muss wohl kaum sagen, dass sich durch dieses Projekt und vor allem das Festhalten daran so viel in meinem Denken geändert hat, dass ich auch künftig mit dem Kopf durch Betonwände gehen werde. Und irgendwann, irgendwann werde dann auch ich einmal nach Sankt Petersburg reisen...
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