Von alten Scheunen und Schriftstellerinnen

Im Dorf meiner Freundin gibt es sympathische Nachbarn, die ein Problem miteinander haben. Alles begann mit einer Scheune. Die erstreckte sich über das Grundstück der beiden, das sie deshalb billiger erstanden hatten. Und weil sich niemand um die Scheune gekümmert hatte, zerfiel sie. Die Häuslesbauer wussten, irgendetwas musste passieren, alles sollte seine Ordnung haben. Und so beschloss der eine, die Scheune müsse zuerst und vor allen anderen Arbeiten abgetragen werden, schließlich wolle man es sauber und repräsentativ haben, auch wenn das Haus innen noch nicht eingerichtet war. Ein Unternehmen legte eine dicke Rechnung vor, denn zum Abbruch kam die Entsorgung der Materialien hinzu. Wir müssen aber unbedingt, sprach der Nachbar, wie sieht das denn aus, was sollen die Leute denken! Erst legen wir zusammen und dann kommt alles andere. Zuerst muss es ordentlich aussehen bei uns.

Der andere Nachbar hatte andere Sorgen. In der Fabrik entließen sie wieder Leute, das Kind kam in die höhere Schule und würde mehr Geld kosten. Sauber wollte er es auch haben, aber nicht um jeden Preis und nicht alles auf einmal. Vor der Scheune würde er zunächst Kies aufschütten, den bekam er über einen Kumpel - und die Frau würde Schlingpflanzen vor die Bretterwände setzen. Kommt Zeit, kommt Geld, vielleicht würde man mit etwas mehr Ruhe die Scheune unter Freunden billiger einreißen können. Warum er, wenn er so wenig Geld habe, sich nicht einen anderen Job suche, fragte sein Nachbar. Ob er sich vorstellen könne, dass es auch unsichere Leben gäbe, fragte der andere, und dass man nicht immer den Geldscheinen nachrennen könne, wenn man sich ein Leben aufgebaut habe, mit dem man eigentlich zufrieden sei. Sogar mit einer zerfallenden Scheune.

Was das mit dem Schreiben zu tun hat? Sehr viel. Ich musste nämlich sofort an diese Dorfgeschichte denken, als ich den Beitrag von Christa S. Lotz las: "Falsche Strategien gegen den Burnout". Ein äußerst lesenswerter Beitrag, denn er beschäftigt sich mit der Frage, warum wir uns mit aller Kraft für etwas engagieren - und ob man sich dabei nicht auch verrennen kann, wenn man sich nicht die richtigen Fragen stellt. Wir Schriftsteller unterscheiden uns darin zunächst nicht von allen anderen Berufen; wir haben nur wie bei allen Berufungen das Pech, dass uns die Konsequenzen nicht finanziell, sondern existentiell treffen. Gewiss ist auch der Abriss einer Scheune eine zunächst wirtschaftliche Frage. Aber der Umgang damit, die möglichen Antworten, verraten viel über unsere Lebensauffassungen und Überlebenskonzepte.

Ich persönlich fand ihren Beitrag sehr hilfreich, um mich wieder zu "erden". An der Anzahl der wilden Blogartikel in der vergangenen Woche sehe ich selbst, dass ich wie ein kopfloses Huhn auf äußere Rückschläge reagiert habe, mich sogar fast in eine Panik des Ausgeliefertfühlens hineingearbeitet habe. Ich hatte völlig vergessen, dass man auch in Zeiten, in denen Verlage insolvent werden oder verkauft, in denen Reihen eingestellt werden oder Programme geändert, Vertrauen haben kann. Vertrauen haben muss. Es schwatzen uns zwar viele Menschen auf, wir müssten "viele" sein und alles selbst machen - aber was ist eigentlich wirklich unsere Aufgabe, unser persönliches Ziel? Der Autor als eigene PR-Agentur, als eigener Hersteller, als Bühnendarsteller und Rampensau, ständig präsent und immer erreichbar - das mag sich aus wirtschaftlichen Umstrukturierungen ergeben. Aber wird es nicht auch ein Teil einer Lebenseinstellung, die uns Kontrolle verheißt und zum Kontrollwahn ausarten kann?

Wer als Selbstständiger alles allein in die Hand nimmt, schafft sich zunächst das trügerische Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben, auf niemanden angewiesen zu sein, auf nichts warten zu müssen, nicht abhängig zu sein von anderen, die vielleicht scheitern. Wenn so ein Allesunternehmer alles alleine in die Hand nimmt, ist er an einem möglichen Ruin wenigstens nur allein schuld. Sicherheitssuche wird zur Sicherheitssucht und so rennt er dann im Hamsterrad, blind dafür, dass es außer der Unberechenbarkeit von menschlichen Faktoren viel gewichtigere Risiken gibt, denen man sich da völlig einsam ausliefert. Dabei genügte ein Blick in die Welt der Manager: den Burnout bekommen zuerst diejenigen, die nicht delegieren können, denen die anderen nichts gut genug machen, die versuchen, das "Risiko Mensch zu minimieren". Anstatt zu teilen und sich mitzuteilen.

Natürlich werde ich mein Elsassbuch wieder neu auflegen. Ich gehörte geschlagen, ein gut funktionierendes Buch auslaufen zu lassen, wenn ich mir mehr Risiko und Spielfreude gönnen kann als ein großer Verlag. Aber ich muss auch nicht auf allen Hochzeiten gleichzeitig tanzen, so verführerisch all die modernen Möglichkeiten der Totalpräsenz auch sein mögen. Ich muss innerlich immer wieder zurücktreten und mich kritisch hinterfragen: Warum schreibst du überhaupt? Was willst du damit?

Ich würde ganz bestimmt nicht protestieren, wenn meine Bücher plötzlich stapelweise auf dem Bestsellertisch lägen. Jeder Schriftsteller, der vehement verneint, dass er insgeheim nicht auch davon träumt, belügt sich womöglich selbst. Aber es wäre eine Verkettung glücklicher Umstände mit einem glücklichen Manuskript, das einen in etwa so häufig trifft wie Scheunen, die zu Schlössern ausgebaut werden. Bei Christa S. Lotz schrieb ich in einem Kommentar, wie ich mir in den Neunzigern vorgenommen hatte, "es" mit Fünfzig geschafft zu haben in der Schriftstellerei. Wahrscheinlich dachte ich damals tatsächlich an den Stapel neben der Kasse. Irgendwann wurde das "es" zu einem richtig guten Verlag. Aber welcher von den vielen durfte "es" denn sein? Wenn ich "es" nicht schaffte, so nahm ich mir damals jedenfalls vor, würde ich das Schreiben an diesem Stichtag einstellen.

Inzwischen ist das Limit in erreichbare und vorstellbare Nähe gerückt. Und ich weiß nur eines: Als ich noch nicht schreiben und lesen konnte, habe ich eine Schrift erfunden, um seitenweise "schreiben" zu können. Ich habe mein ganzes Leben schreibend gelebt und erlebt und kann mir außer meinem eigenen Todesfall keinen vernünftigen Grund ausdenken, mit dem Erzählen aufzuhören - egal in welcher äußeren Form es stattfinden mag. Wie also konnte ich mir einen derartigen Blödsinn vornehmen?!?

Beim Lesen des oben empfohlenen Beitrags kam mir dann die gute Fee in den Sinn, die drei Wünsche erfüllt, aber wortwörtlich - und seien sie noch so idiotisch. Wünschen will eben gelernt sein. Und weil ich riesigen Respekt vor dieser Fee habe, wünschte ich mir schreibend eigentlich immer nur eines: Endlich bei meinen ureigenen Themen anzukommen und die Fragen herauszufinden, die mich umtreiben. Endlich mein ureigenes Schreiben zu finden und eine adäqaute sprachliche Form dafür zu entwickeln. Für all die Leser, die ähnliche Fragen umtreiben oder die sich angesprochen fühlen. Und wenn ich jetzt in Abstand zu mir selbst gehe und die vergangenen Jahre kritisch betrachte, muss ich fast lachen. All die scheinbaren Rückschläge und Katastrophen, die Unwägbarkeiten und Kontrollverluste haben mich meilenweit von dem entfernt, was man angeblich als Schriftsteller zu tun, zu denken und zu lassen hat.

Wenn ich dieses künstliche Limit des halben Jahrhunderts überschreiten werde, werde ich stattdessen Dinge tun, die ich nie von mir gedacht hätte. Ich werde in einem Beruf an die Öffentlichkeit treten, den mir eine kluge alte Dame prophezeite, als ich vier Jahre alt war. Und ich werde ein Buch veröffentlichen - so die Umstände wohlgesinnt bleiben - in dem ich unter anderem über jemanden schreiben werde, der mich mein ganzes Leben begleitet, fasziniert und inspiriert. Ich werde Dinge tun, die ich mich früher nie getraut hätte. Ich werde wieder bei mir ankommen - wenn das kein Durchbruch ist!

Natürlich wünsche ich mir zwischendurch immer wieder einmal das Leben des Nachbarn, der die Scheune sofort einreißen will. Mit ordentlichen, regelmäßigen Monatsgehältern und einem Leben, in dem man den Jahresurlaub zwei Jahre im Voraus plant. Aber im gleichen Atemzug schon wische ich den Gedanken weg, weil ich Angst vor der guten Fee habe. Sie könnte es hören und für einen echten Wunsch halten. Und dann säße ich für den Rest meines Lebens da und würde mich zu Tode langweilen. Was hätte ich dann noch zu erzählen?

3 Kommentare:

  1. Ich habe spotan auf "Applaus" gedrückt, Petra. Und beim Lesen deines Rosenbuches weiß ich so-
    fort, was du meinst!

    Hezlichst
    Christa

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  2. Wenn ich mich recht entsinne, dann soll einmal Oscar Wilde gesagt haben:

    Wen Gott bestrafen möchte, dem erfüllt er seine Wünsche.

    Also immer vorsichtig sein, mit dem Gewünsche, sie könnten in Erfüllung gehen und dann? ;-)

    Servus aus Wien
    Richard

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  3. Immer wieder gerne gelesen :-)

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