Der Zahn der Zeit
Sie wollen das auch können? Nichts einfacher als das! Vergessen Sie Schweigeeinkehr im abgeschiedenen Kloster, Schwitzhüttenqualen im Schwarzwald und Zeninstruktionen auf Japanisch: werden Sie Buchautor.
Seit Herbst 2008 arbeitete ich am Projekt "Nijinsky", recherchierte mir einen Wolf und schrieb wie ein Berserker, denn die Zeit war knapp. Knapp in Buchkategorien bemessen: ein Jahr später, nämlich im September 2009, sollte das Hörbuch erscheinen. Der Text war perfekt, doch das passiert im Buchgeschäft auch ständig - der Erscheinungstermin war es nicht. Mehrmaliges Verschieben, Warten, Exitus.
Gestern, am 2. Mai 2010, bekam ich endlich - nach wochenlangen Autorenqualen - die rechtsverbindliche Bestätigung der Vertragsauflösung in die Hand. Damit bin ich wieder stolze Besitzerin der Rechte an meinem Geistesprodukt.
Das bedeutet, die Autorin kann sich mit diesem Wisch vor der Nase herumwedeln, tief durchatmen und endlich wieder ruhig schlafen - den wartenden Lesern nutzt das zuerst natürlich nichts. Die Autorin könnte sich jetzt entweder die Kugel geben oder sich angesichts der "Unbillen unvorhergesehener Ereignisse" heulend die Haare ausraufen. Blieben noch Schweigekloster, Schwitzhütte und Schwarzwald. Denn natürlich ist das Hundertjährige, zu dem das Werk konzipiert war, letztes Jahr abgelaufen. Nijinsky ist tot (übrigens im April seit genau 60 Jahren).
Aber als Künstler hat man ja diese kostenlose Gelassenheitsausbildung und Hartnäckigkeitsschulung. Während ich mir fiktiv die Fingernägel abbiss und meine Nerven in glühendem Eisenfluss badete, führte ich Gespräche. Bekam Absagen für Zu-Spät-Aufgewachte und zermarterte mir - welch treffender Ausdruck - das Hirn. Mitten in einer Staubwolke aus Vulkanasche traf ich auf eine Verlegerin und entwickelte am Telefon ein völlig neues Konzept, jubiläumsunabhängig, noch größer, noch ambitionierter, wunschtraumartig.
Und was macht die Autorin, die sich nach normalen Zeitmaßstäben die Kugel hätte geben können? Investiert ihr letztes Lektüregeld in wichtige Unterlagen aus aller Welt, die eben neu erschienen sind, lernt zu den Mammutrecherchen noch Berge dazu - und spinnt etwas aus, das, so die Schreibgötter wollen, im Herbst 2011 erscheinen soll. Toitoitoi, man weiß ja nie, hat die Autorin gelernt, denn bis dahin können noch täglich drei Katastrophen passieren, würde man nicht immer nur ans Gelingen glauben.
Übersetzerin und Autorin stoßen miteinander an, denn manchmal fügen sich Katastrophen zu kleinen Wundern. Der Bestseller, den die Übersetzerin bearbeitet, passt zur Idee der Autorin wie die Faust aufs Auge, spricht über ein gleiches Phänomen aus völlig anderer Warte. Anstatt sich aus dieser faszinierenden Zeit herausbewegen zu müssen, schließt sich das eigene Buch also darin an.
Was sind schon drei Jahre Lebenszeit gegen ein Hundertjähriges, das die Presse im nächsten Jahr schon vergessen hat? Was sind schon fast zerrüttete Nerven gegen die endlich rechtskräftige Bestätigung, wieder frei über den eigenen Text verfügen zu dürfen!
Nijinsky wird wieder tanzen, allerdings nicht mehr in der Hauptrolle.
Ommmmmmmm...
Liebe Petra,
AntwortenLöschentut mir sehr Leid für dich, dass das 'Projekt Liebesschlange' ein solch betrübliches Ende genommen hat. :-(
Aufmunternde Grüße aus Berlin
Siegfried Langer
Danke für die Aufmunterung, Siegfried,
AntwortenLöschenaber das "Ende" ist doch nur ein Phoenixende - der Feuervogel steht ja wieder auf!
Aufgemunterte Grüße,
Petra
So hatte ich es auch verstanden:
AntwortenLöschendass das Projekt jetzt erweitert und noch viel besser wird!
Herzlichst
Christa
Irgendwie, Petra, bist Du ein Kandidat für einen Oscar für "Bestes Stehaufmännchen"! Oder eher "Stehauffrauchen"....
AntwortenLöschenSteh-was, liebe Sabine? Den neuen Beitrag von heute konnte ich nur schreiben, weil mich vorher jemand vom Parkett gekratzt hat. ;-)
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