Schlechtwetterlese

Während draußen alles in den Kurzurlaub oder die nächste Arche wandert, biete ich den Gelangweilten oder Interessierten wieder Surfstoff aus dem Meer der Überinformation, diesmal englisch und deutsch. Wer das immer noch nicht geschnallt hat (ja, solche gibt es), die Links führen zu den Beiträgen, dürfen also bei Interesse angeklickt werden!

Schöne neue Welt da draußen, die uns immer mehr Möglichkeiten bietet, sogar solche, die wir gar nicht wollen oder brauchen, sondern aufgeschwatzt bekommen. Ich rede da nicht einmal von der Facebook-Austritts-Aktion berühmter Köpfe (z.B. Cory Doktorow), denen Datenmissbrauch und die Durchsichtigkeit des Individuums mittlerweile bis oben stehen. Ich bin ja schon lange weg.

Danah Boyd vom Harvard Berkmann Center for Internet and Society befasst sich in ihrem Blog mit dem Datenschutz bei Google und Facebook. Google hat ihr immerhin geantwortet. Facebook kommt bei ihrer Untersuchung (mit hilfreichen Links zu Aufklärungsartikeln) allerdings übel weg. Was sie - und viele investigative Journalisten - zutage fördern, ist Stoff für die perversesten Science-Fiction-Plots, mutet an wie der Kampf der "Affen gegen die Roboter", die Spaltung der Welt in das Dummvieh der "exposed people" gegen die privilegierten Lenker. Natürlich geht es um jede Menge Zaster und Macht. Kennern der Geschichte oder von diversen Sekten dürfte solch ein Plot bekannt vorkommen.

Ebenfalls im Land, wo alles seinen Anfang nimmt, was Mode wird, nämlich den USA, regt sich nun langsam Kritik am vielgepriesenen System der kostenlosen Sharing-Kultur unter Aushöhlung des Urheberrechts. Im Burns Auto Parts Blog geht es um Laurence Lessig, die Kultfigur hinter Creative Commons. Eigentlich keine schlechte Sache, mit diesem Lizensierungssystem Texte, Bilder und andere Schöpfungen kostenlos und in geordneter Weise weltweit zu verschenken und teilweise auch für Veränderungen und Bearbeitungen frei zu geben. Der Autor hat Lessig jedoch genau aufs Maul geschaut und konstatiert außerdem: Durch Verschenk-Content sind in den USA zahlreiche kleine Kreativunternehmen kaputtgegangen. Es leiden nicht nur die von ihm angesprochenen Fotografen, sondern Kreative aller Art. Diskussionen um die Abschaffung von Urheberrechten und Copyright haben die Wertigkeit kreativer Schöpfungen völlig unterhöhlt, anstatt mehr künstlerische Schöpfungen anzuregen: "Yes, copyright may impede some creative growth, but what about all the incredible creative growth we have seen thus far in our society?"

Für deutsche Autoren mag all das in weiter Ferne liegen, was allerdings einer gefährlichen Unterschätzung der Realität gleich käme. Viele KollegInnen wissen kaum, was sie in ihren Verlagsverträgen unterschreiben, oder kümmern sich nicht, weil sie kaum glauben können, dass Verträge grundsätzlich verhandelbar sind. Manche vergeben lustig ihre Nebenrechte, sogar solche, die noch gar nicht erfunden sind. Inzwischen wissen wir aber: Sollte sich das Ebook durchsetzen, ist auch damit eine Menge Geld zu machen - von den Verwertern allerdings, zumal die Kosten geringer sind, die Autorentantiemen aber nicht unbedingt steigen! Während sich mancher naive deutschsprachige Autor darüber freut, wenn er wenigstens in elektronischer Form in der Backlist landet, statt gleich verramscht zu werden, denken US-Autoren längst um.

Anlass war ein Streit zwischen Random House und der Erbin des Autors William Styron. Dessen Werke  sollten ungefragt als Ebook veröffentlicht werden - eingedenk der damals noch nicht ausreichend formulierten Verträge. Random House hat inzwischen nachgegeben und spätestens damit ist klar: Es geht nicht an, dass ein Verlag sich automatisch Nebenrechte herausnimmt, die zur Zeit des Vertragsschlusses nicht existierten. Dies ist für Autoren vor allem deshalb wichtig, weil sie bequem und einfach ihre Backlisttitel selbst als Ebooks veröffentlichen und damit sehr viel mehr pro Stück verdienen könnten.

In Europa ist das von noch mehr Brisanz: Viele Verlage sind viel zu unflexibel in Sachen Ebook - hier können Autoren in Direktarbeit für ihr Buch sehr viel mehr erreichen. Bleibt zu raten, was bei allen Nebenrechten der Fall ist: Der Autor sollte im Buchvertrag wirklich nur diejenigen Nebenrechte vergeben, die er garantiert nicht selbst verwerten möchte / kann. Das Streichen von anderslautenden Passagen war schon immer erlaubter Usus - nur die wenigsten machen sich Gedanken um die unterschiedlichen Erscheinungsformen ihrer Bücher.

Welche Möglichkeiten Autoren selbst haben, machen die Franzosen vor. "In libro veritas" ist ein Verlag (spezialisiert auf rechtefreie Klassiker) mit angeschlossener PoD-Produktion, der Autoren erlaubt, ihre Werke gleichzeitig woanders zu veröffentlichen. Bekannt wurde er dadurch, dass Leser sich Bücher mit Wunschbefüllung im Baukastensystem drucken lassen können. Seine Besonderheit ist die Stärke im Ebook. Und damit die noch größer wird, bietet der Verlag nun einen eigenen Reader an, den man vor dem Kauf mit unterschiedlichen "Bibliotheken" aus dem Programm befüllen lassen kann. Spätestens hier wird klar: Für ein Ebook in Parallelauflage und dessen effiziente Vermarktung brauchen Autoren wirklich keine herkömmlichen Verlage mehr.

Falls das alles irgendwem zu düster war: Hier gibt's die Brille gegen den Krisenblick auf die Welt.

5 Kommentare:

  1. Liebe Petra,
    Ihre Artikel sind informativ, lehrreich, tiefgründig und humorvoll.
    Aber manchmal machen sie mich auch traurig. Das ist nicht Ihre 'Schuld'! Es sind die Entwicklungen und Schwierigkeiten von denen Sie berichten, wie es SchriftstellerInnen immer schwerer gemacht wird, für ihre Arbeiten Anerkennung, Veröffentlichung und Honorar zu bekommen!

    Was habe ich es als Leser leicht! Ich streune durch die Welt und sammele alles ein. Vieles bekomme ich kostenlos - super! Im Internet sowieso! Der Endverbraucher freut sich!
    Ich frage mich nur, wie lange haben Autoren noch ein Motiv, mich mit anspruchsvollen Werken zu versorgen? Sammele ich eines Tages nur noch Massenware ein?

    Deshalb kann ich nur immer wieder betonen, wie dankbar ich Ihnen allen für die Geistesnahrung bin!

    Ich kann leider keine Verlagsmisere verbessern oder das Marktgeschehen 'retten', aber ich finde, die Leser können ruhig mal DANKE sagen.

    Gruß Heinrich

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  2. Lieber Heinrich,

    wenn meine Beiträge auch nur ein paar LeserInnen und Branchenleute sensibilisieren können wie Sie, dann hat sich die Arbeit gelohnt! Drum danke für das Danke!

    Ich denke, Leserinnen und Leser können - wie bei jeder Ware - durch bewussteres Einkaufen Einfluss nehmen. Vielleicht schreibe ich dazu mal einen praktischen Beitrag (den ich gut formulieren muss dank Abwahnwesen).

    Es ist wie bei der Wahl von Asienware mit Dumpingpreisen bei Billigstdiscountern, hinter denen womöglich Kinderarbeit steckt... Wer Verlagen und Autoren Gutes tun will, kauft seine Bücher im unabhängigen Buchhandel, der noch gelernte Buchhändler ausbildet und einstellt - und nicht bei den großen "Discountern". Viele von diesen Buchhändlern sind auch bereit für Versandgeschäft, falls man keinen in der Nähe hat. Das meiste Geld kommt übrigens den Verlagen zu, wenn man direkt bei Ihnen (auch per Webseite) bestellt, was zugegebenermaßen etwas aufwändig ist, falls man bei vielen verschiedenen einkaufen will. Literarisch ist www.tubuk.com eine Alternative.

    Es ist ein Teufelskreis: Leserinnen und Leser, die immer billigeres Lesefutter wollen und zufrieden sind mit den Stapeln, die Verlage ihnen unter die Nase bezahlen, unterstützen eine Rabattschraube, die Verlagen ohne Massenfutter fast die Luft abdreht.

    Warum soll die Geiz-ist-geil-Mentalität ihren Schaden eigentlich nicht auch bei der "Ware Buch" anrichten?

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  3. Teil 2

    Zur "Misere":
    Es geht nicht allen Schriftstellern / Verlagen schlechter. Heute werden gerade in der Unterhaltungliteratur in Reihe Manuskripte aufgekauft, die noch vor fünf Jahren nie einen Vertrag bekommen hätten. Wer bereit ist, sich Trends anzupassen und dazu handwerklich ordentliche Ware auf Zeit abzuliefern, hat große Chancen, gut im Geschäft zu sein. Auch der Markt der Auftragsarbeiten wächst.

    Es ist wie beim Fernsehen: Das Anspruchsvolle kostet sehr viel mehr Investitionen und ganz andere Autoren, bei wachsendem Risiko, denn die Buchketten sperren Verlage unter einer bestimmten Größe und Rabattgeberkraft schlicht aus. Unsichtbare Bücher verkaufen sich nicht.

    Trotzdem glaube ich nicht, dass wir uns in einer Misere befinden, sondern in einem (mich inspirierenden) Umbruch. Kunst und Künstler haben es schon immer schwer gehabt - ich möchte z.B. mit der Avantgarde vor dem Ersten Weltkrieg nicht tauschen! Dagegen sind wir fett und verwöhnt.

    Ich schaue oft auf die Nachteile und Fehler des alten Systems, um die Schwachstellen zu begreifen und die Chancen eines möglichen neuen zu erkennen. Das ist also weniger ein Lamentieren als ein optimistisches: "Hier könnten wir Hebel ansetzen."

    Die Beharrlichen und Guten werden weiter ihren Weg machen. Die Zeit ist überreif für Qualität, Besonderes, für "Nische" und Anspruchsvolles. Es fehlt an Vermittlungsstellen (Alternativen zum Feuilleton), neuen Handelsstrukturen (Sichtbarkeit solcher Bücher). Ich bin Optimist. Wer heute noch Bücher als reine Ware "verschrottet", wird sich in wenigen Jahren warm anziehen müssen.

    Traurig ist die "lost generation", das sind die Verlage, Autoren oder Kulturschaffenden, die den Umbruch finanziell nicht überleben werden.

    Aber keine Angst, Autoren, die ihr Schreiben nicht als Geschäft begreifen, werden immer schreiben. Konzertpianisten oder Ballerinen hören auch nicht einfach auf, nur weil Finger oder Füße schmerzen...

    Schöne Grüße,
    Petra

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  4. Das beruhigt mich doch schon sehr. Der Blick, den Sie mir hinter die Kulissen gestatten, wir nun realistischer und hoffnungsvoller.

    Zuerst habe ich nur im Zuschauerraum gesessen, mich an dem Dargebotenen erfreut und mir keine Gedanken gemacht - egal, ob ich Rang 1 bezahlen musste, oder Freikarten bekommen habe.

    In der nächsten Phase, die Kunst zu erforschen, habe ich auch mal hinter die Bühne geschaut und in den Garderoberäumen, abgeschminkte und ernste Gesichter mit Existenzängsten gesehen.

    Um ein wirklich ausgewogenes Bild zu bekommen, genügen aber kurze Blicke über den Zaun nicht, darum sind Ihre objektiven Berichte, ohne die 'Jammerei' der Überängstlichen nicht nur für mich als Zuschauer / Leser interessant; ich kann mir auch sehr gut vorstellen, dass Sie damit vielen Kolleginnen und Kollegen helfen.

    Wenigsten sind die SchriftstellerInnen noch eine große Familie, die zusammenhält. In dieser Familie scheint es viel weniger schwarze Schafe zu geben, als in anderen Branchen. ;)

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  5. Große Familie? Ach je... Ich habe immer den Eindruck, Schriftsteller seien die eigenbrötlerischsten, eifersüchtigsten und intrigantesten von allen Künstlern! ;-)
    Aber wenn man sie mit Malern, Musikern, Fotografen etc. mischt, sind sie ganz gut auszuhalten...

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