Teepause
Es ist ein Punkt bei meiner Arbeit am Nijinsky-Projekt gekommen, bei dem ich mich genüsslich zurücklehne und lächelnd zurückschaue. Früher habe ich mir immer gewünscht, spätestens mit 50 müsste ich "es" geschafft haben. Ich habe nur nie auch nur im Kleinsten ahnen können, was dieses "es" sein würde. In der Rückschau würde ich sagen: "Es" ist in diesem Jahr passiert. Ich habe mich - nicht unbedingt im Schreiben selbst -, aber in meiner Auffassung vom Schreiben und meinem künstlerischen Denken derart verändert, dass es kein Zurück mehr gibt. Dinge, die ich für normal oder sogar erstrebenswert hielt, habe ich weit hinter mir gelassen. Dinge, die vor Jahren undenkbar schienen, probiere ich frech aus.
In der Rückschau ist bei mir der Knopf an einem Abend im September geplatzt. Komisch, noch gar nicht lang her, aber ich hüpfte mir selbst um Meilen davon. Ich bekam eine verwegene Idee, nahm all meinen Mut zusammen und sprach Menschen dazu an - was ich mich in dieser speziellen Form zwei Jahre zuvor nie getraut hätte (warum eigentlich?). Vielleicht ist es das Alter, das die Einsicht bringt: Mehr als scheitern kann ich nicht.
Es hat sich nun so weit entwickelt, dass die erhofften Zusagen da sind, der Austausch ebenfalls. Ich staune immer noch ein wenig, wen ich da angesprochen habe in meinem Mutanfall. Drei völlig unterschiedliche Menschen, alle drei ganz charismatisch in ihrer Arbeit und wirkliche Könner ihrer Materie. Für diesen zweiten Teil von Nijinsky habe ich das Heft aus der Hand gegeben, bin nur Stichwortgeberin und Lauscherin. Natürlich recherchiert man auch für Sachbücher genauer, befragt vielleicht zu Einzelproblemen den ein oder anderen Fachmenschen. Aber diese andere Art, ein Buch zu schreiben, ist auch für mich völlig neu. Da ist zunächst der erzählende Text über Nijinsky - und dann wird das alles aufgebrochen, weitergeführt, weitergedacht - von drei völlig unterschiedlichen Richtungen her, mit drei faszinierenden Stimmen.
So etwas will sehr viel ausführlicher vorbereitet sein, als man es dem Endtext ansehen wird. Ich muss mich zunächst in meine Gesprächspartner hineinversetzen können, muss vieles über ihre Arbeit lernen. Und bekomme faszinierende Einblicke in neue Welten, verschiebe meine eigenen Horizonte wieder ein ganz großes Stück. Manchmal sitze ich da und staune einfach. Wie bin ich nur darauf gekommen? Wie hat ausgerechnet das funktioniert? Manchmal ist es fast ein wenig magisch, dieses Arbeiten mit Visionen.
Das Schlimme ist: Es macht auch noch höllisch Spaß. Die Journalistin und die Autorin können sich endlich einmal in Personalunion austoben. Es macht solch höllischen Spaß, dass ich gern öfter Bücher so anpacken würde. Auch wenn es ziemlich aufwändig ist, auch wenn diese Mischung eigentlich nicht üblich ist, weil der Leser, die Leserin ja angeblich immer nur das eine oder das andere wollen. Aber ich bin ja in diesem Falle völlig frei.
Trotzdem muss ich mich noch ein wenig freier machen - ich brauche nämlich jetzt Freiräume, um in die ganz anderen Welten einzutauchen, in intensive Dialoge zu treten und mit diesen anderen Menschen die richtigen Fragen zu finden. Denn nachher, oder am besten schon währenddessen, muss ich innerlich von meinem eigenen Erzähltext zurücktreten und erzählen, was das alles zusammenhält, das Eigene und das Fremde, das Damals und das Jetzt. Nie zuvor konnte ich mit einem Buch derart wild experimentieren. Und nie zuvor hat mir Schreiben solchen Spaß gemacht. Ich fürchte, dieses Projekt wird Junge bekommen. Denn auch das ist ein Vorteil, wenn man sich mit anderen Welten konfrontiert: Man findet neue Themen, die dort nur so auf der Straße liegen...
Langer Rede kurzer Sinn: Ich mache eine kleine Blogpause. Wer sich inzwischen langweilt, der kann in der Kolumne des Merkur lesen, warum ausgerechnet Kathrin Passig das Interesse am Buch verloren hat und trotzdem wie wild textet. Oder was Luchterhand-Lektor Klaus Siblewski über totgeschriebene Manuskripte denkt. Der ist übrigens Co-Autor von Hanns-Joseph Ortheil in dem absolut empfehlenswerten Band "Wie Romane entstehen". Außerdem macht sich in der NZZ Ruth Klüger kluge Gedanken über die Zukunft des Lesens - und auch von ihr gibt es ein höchst interessantes Buch: "Was Frauen schreiben" (Zsolnay)
Bon Voyage. Wer auf Reisen geht hat danach immer viel zu erzaehlen.
AntwortenLöschenFrohes Schaffen wünscht
AntwortenLöschenChrista-bis bald
Ich wünsche viel Spaß und Erfolg und freue mich schon auf die kommenden Berichte. Auch wenn das noch etwas dauert. ;-)
AntwortenLöschenBin mal gespannt, wie lange Du es aushältst.;-)
AntwortenLöschenIch wünsche Dir ein fröhliches, kreatives Schaffen und eine appetitliche Teepause mit viel Zucker!
Liebe Grüße
Nikola
Liebe Petra,
AntwortenLöschenobwohl Sie die fleißigste Bloggerin sind, die mir je begegnet ist, kenne ich sie persönlich und Ihre Bedürfnisse weniger als von manch anderen „schweigsameren“ Bloggerinnen oder Bloggern.
Trotzdem maße ich mir an, einen Vorschlag zu machen. Vorschläge sind ja völlig unverbindlich. ;)
Sie haben den LeserInnen Ihres Blogs in große Teilbereiche Ihrer Arbeit so ausführlich und anschaulich Einblick gewährt, dass selbst ein Literaturbanause wie ich erahnen konnte, wie die Welt wohl ausschaut, in der Sie leben.
Das ist eine grandiose Welt, die sich erlebnisreich, tiefgründig und farbenfroh dreht. Solch eine Welt kann man nicht einfach anhalten! Auch wenn sich Ihre Welt für Sie immer weiter dreht, können Sie die Funktürme dieser Welt nicht einfach abschalten. Wenn Sie Ihr Internetblog als „Rundfunkstation“ und Tor zur virtuellen Welt eine Weile von Ihrer Welt abschirmen, sich selbst die Möglichkeit nehmen, auch in dieser virtuellen Ecke des Geschehens „laut nachzudenken“, sparen sie insgesamt weder Zeit noch Kraft. Vermutlich müssen Sie dann mehr Emails beantworten, oder es kommen selbst bei einer so starken und selbstbewussten Frau wie Ihnen mal Zweifel auf, ob Sie noch auf der richtigen Frequenz funken, wenn das Radio wieder aktiviert wird.
Nehmen Sie sich einmal in der Woche ein paar Minuten Zeit, für einen PvC-Statusbericht, denken Sie laut über die Dinge nach, die die Welt schon wissen darf, und deren Echo Sie wieder auffangen. Ein Funkspruch pro Woche lässt den Kontakt zur virtuellen Außenwelt nicht abreißen und wird von 10x mehr LeserInnen gelesen als sich Email-Newsletter-LeserInnen eintragen würden.
Auch wenn es enttäuschend ist, dass 9 von 10 Lesern kein Feedback geben, jeder zweite Lesern trägt aber wichtige Gedanken weiter oder wenigstens in sich, bis sie mal irgendwo einfließen und aufblühen. ;)
Wenn Sie z.B. das http://cronenburg.blogspot.com/2010/09/das-feine-netz-begeisterung.html nicht hingeschrieben hätten, mit dem Wissen, dass es alle lesen können, die es lesen wollen, hätte IHNEN auch etwas gefehlt. Lesen Sie Ihre wichtigen Blogeinträge nach einem Jahr noch einmal - dann freuen Sie sich über die oder Ihre Entwicklung. Auch das würde Ihnen fehlen, wenn Sie es nicht hinschreiben. Wenn Sie es statt dessen in Ihr Tage- oder Projektbuch schreiben, haben Sie auch keine Zeit gespart.
Wenn Sie andere Gründe haben, als „Zeit zu sparen“, nehme ich meinen Vorschlag diskussionslos zurück und wünsche Ihnen eine erfolgreiche Schaffenszeit ohne Funkstörungen.
Ich habe ja auch nur laut nachgedacht - zwar über Dinge, die mich nichts angehen, oder die ich nicht verstehe, aber ich wüsste sonst nichts, was ich zu dieser Ankündigung in einem Leserbrief schreiben könnte.
C'est le Heinrich ;)
Ich sollte öfter Pause machen - dann sehe ich, welch prächtige Leserinnen und Leser hier vorbeikommen!
AntwortenLöschenIch bin ja nicht WEG, ich will mir nur gewisse Arbeiten sparen: Themen fürs Blog suchen, darüber nachdenken, recherchieren, Tatsachen abklopfen und Beiträge redigieren...
Aber Heinrich hat mich jetzt weichgeklopft, er bekommt seinen beim Tee geschriebenen Beitrag!
Liebe Petra,
AntwortenLöschenda bin ich aber froh, dass Sie meinen Aufschrei erhört haben.
Ich bin kein Teenager, eher ein Kaffeebeisser, aber Texte, die Sie beim Tee schreiben sind köstlicher als als ein ganzes Wiener Caféhaus.
(Sorry, Richard K. B., falls Sie hier mitlesen - das ist nicht persönlich - eher taktisch. ;)
Gruß Heinrich
Lieber Heinrich,
AntwortenLöschendanke für das Kompliment (ich denke übrigens ernsthaft über eine "Best of" Sammlung dieses Blogs nach)!
Übrigens bin ich eigentlich eine eingefleischte Kaffetrinkerin (Espresso + Café au lait). Aber so wie ich bei meinem Buch über Schwarze Madonnen ständig romanische Musik gehört habe, muss ich zum Nijinsky einfach russischen Tee trinken - und jetzt schmeckt der Café au lait nicht mehr...
Schöne Grüße,
Petra