Das feine Netz Begeisterung
Man nehme einen Eimer, rühre leidenschaftliche Begeisterung hinein, dazu eine heftige Vision oder einen Traum - und eine Fokussierung, die von außen womöglich schon als Fachidiotentum belächelt wird. So ähnlich müsste das Rezept für den geheimnisvollen Kuchen beginnen, der Träume in die Realität hinein bäckt. Natürlich sind noch jede Menge anderer Ingredienzien nötig: knallharte Arbeit und Disziplin etwa, Selbstkritik, Beherrschen des Handwerks und was es außer Sauerkraut oder Crème fraiche in der Kreativküche noch so gibt. Das wahre Rezept bleibt jedoch geheim, seit die Höhlenmenschen ihre Wohnzimmerdecken bemalten und seit sich Coachs und Gurus eine goldene Nase mit der Geilheit (und Beschränktheit) ihrer Adepten verdienen, die endlich mit Fingerschnipp und Wochenendeinweihung zum gelebten Traum kommen wollen.
Der Fingerschnipp, das Patenrezept - das alles funktioniert nicht. Denn da ist noch etwas magisch Anmutendes, das sich beim Rühren im Eimer manchmal ergibt. Es scheint an die eigene Begeisterung gekoppelt zu sein und ist doch so spinnwebfein und empfindlich, dass es durch die kleinste falsche Bewegung zerreißen kann. Ein schillerndes Gespinst, farbig wie alle Zufälle eines Lebens - und wenn man genau hinhört, kann man seine Musik vernehmen. Wie es wohl zustande kam? Nicht einmal das lässt sich mehr rekonstruieren...
Es gibt diese Episodenfilme voller Dramatik, in denen sich eine Handlung oder ein Leben als Verkettung von Zufällen entpuppt, die aus irgendeinem undurchdringlichen Grund wildfremde Menschen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zusammenführen. Wir Autoren wissen: das passiert nicht nur Menschen. Wenn "die Chemie stimmt", "wenn die Zeit reif ist", wenn "Zeit und Ort stimmen" - dann passiert das auch einem Buch. Und weil das alles eben nicht in einem Eimer zur Weltbestsellerformel zusammenzurühren ist, klingt auch Autorengerede über das sehr reale Phänomen eher esoterisch als wissend. Die Worte versagen den Wortarbeitern in solchen Augenblicken.
Als ich vor kurzem mit den Petersburger Musikern am Tisch saß und wir über Nijinsky redeten, wusste ich, dass "etwas passiert", dass das ein Schlüsseltag war für mein Projekt. Das war es auch, so wie einige Tage und Begegnungen zuvor schlüsselhaft gewesen waren. Aber an jenem Abend ahnte ich nicht, worin das eigentliche Geheimnis bestand. Im Rückblick weiß ich, dass da ein Knoten geplatzt ist: Ich bin verwegen geworden. So verwegen, wie es einem im Verlagsgeschäft heutzutage abtrainiert wird, obwohl es jede andere Kunst verlangt.
Das seltsame Netz begann, sich mit einem zufälligen Foto zu entwickeln, das mir jemand ohne irgendwelche Nebengedanken geschickt hatte. Darauf war Himmel zu sehen - und eine Ecke eines Plakats. Zufällig folgten mir dann bei Twitter diejenigen, die dieses Plakat aufgehängt hatten. Ich bedauerte wie schon so oft, dass die virtuelle Welt so viel leichter Entfernungen überbrückt, als ich das im realen Leben könnte.
Ich weiß nicht, was es genau war, jedenfalls konnte ich in dieser Nacht nicht schlafen. In meinem Kopf quirlte all das wild schäumend wie in jenem geheimnisvollen Eimer. Zu einer Zeit, in der brave Dorbewohner längst schlafen, legte ich mir Strawinsky auf und holte Papier und Stift. Kritzelte und malte wie in Trance, strich durch, verband Sätze mit Linien und Blasen und hatte das Gefühl, da ging wieder ein Knopf auf.
Der Idee für mein Nijinsky-Projekt mangelte es nämlich an etwas Grundlegendem. Sie war nicht verwegen genug. Klebte noch viel zu brav an all dem, was einem in Jahren dieses Berufs eingehämmert wird, wie ein Autor zu funktionieren habe, wie ein braves Buch auszusehen habe. Dabei war ich doch frei! In dieser Nacht warf ich mein gesamtes Konzept um und kam auf eine Idee, die ich noch vor einem Jahr als verrückt angesehen hätte.
Plötzlich fügte sich alles zusammen. Das ist der ganz große Traum, den man als Autor träumt: Wenn das Buch selbst die Zügel in die Hand nimmt, wenn man wie ein Werkzeug zurücktritt, staunend über das, was da so spontan entsteht. Wenn man weiß, das hätte man alles vorsätzlich gewollt und geplant und bedacht und abgewogen nie zustande gebracht. Wenn man nicht das Buch tanzt, sondern das Buch einen tanzt...
Plötzlich war für mich Nijinsky in der Jetztzeit angekommen, so etwas wie eine künstlerische Zeitmaschine erfunden. Ich beginne langsam zu begreifen, warum er lebt, immer noch lebt.
Damit ist dann der nächste Knopf aufgegangen, der etwas von einem Point of no Return an sich hat. Ich habe begriffen, wie viel man als einzelner Autor bewegen kann und wie viele Jahre ich mich "verhindern" ließ. Nur weil ich dachte, es müsse so sein, diese massive Bedenkenträgerei, die ständige Demotivation, die enorme Risikoangst, die Entscheidungsscheu von Verlagsseite; monatelange, ja jahrelange Wartereien, brutales Arbeiten auf Zeitdruck - um dann ein "nettes Buch haben Sie geschrieben" zu hören oder womöglich nicht einmal ein Feedback zu bekommen, dass das Manuskript angekommen sei. Ich dachte, das sei normal und müsse so sein, weil alle um mich herum dachten, es gehöre zu unserem Metier wie das stundenlange Üben eines Musikers.
Ich weiß es jetzt besser. Und ich muss ohne zu erröten zugeben, dass ich ein klein wenig Schadenfreude genieße. Denn mit Menschen, die mir sagten: "Nijinsky, das ist zu klein, wen interessiert der schon!" oder "da gibt's in London jetzt einen Ausstellungskatalog zu den Ballets Russes und damit ist der Markt ruiniert" - mit solchen Leuten hätte ich nicht die Hälfte von dem bewegen können, was jetzt ins Rollen kommt. Als ich für die Arbeit am Nijinsky sogar Jobs ausschlug und lieber einen Monat lang fror, sagte mir jemand: "Stell dir vor, Diaghilew hätte auch nur einen Pfifferling darauf gegeben, was "man" gefälligst so macht oder wie Ballett gefälligst zu sein habe - all das wäre nie entstanden." Mich hat das damals statt Heizung gewärmt und vielleicht begann da auch das feine Netz Begeisterung mein Leben umzuweben.
Nein, ich verrate vorab gar nichts. Aber es macht mich froh zu sehen, dass Nijinsky auch noch sechzig Jahre nach seinem Tod viele Menschen so bezaubert, dass sie seinen sehnlichsten Wunsch erfüllen: "Ich will eine Liebesschlange (vor dem Theater)..." Er wollte als Mensch geliebt, nicht als Weltstar und für Geld bejubelt werden. Kein "kleines" Thema - denn das ist das Thema, das Mythen webt und manche Menschen zu Mythen macht.
Der Fingerschnipp, das Patenrezept - das alles funktioniert nicht. Denn da ist noch etwas magisch Anmutendes, das sich beim Rühren im Eimer manchmal ergibt. Es scheint an die eigene Begeisterung gekoppelt zu sein und ist doch so spinnwebfein und empfindlich, dass es durch die kleinste falsche Bewegung zerreißen kann. Ein schillerndes Gespinst, farbig wie alle Zufälle eines Lebens - und wenn man genau hinhört, kann man seine Musik vernehmen. Wie es wohl zustande kam? Nicht einmal das lässt sich mehr rekonstruieren...
Es gibt diese Episodenfilme voller Dramatik, in denen sich eine Handlung oder ein Leben als Verkettung von Zufällen entpuppt, die aus irgendeinem undurchdringlichen Grund wildfremde Menschen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zusammenführen. Wir Autoren wissen: das passiert nicht nur Menschen. Wenn "die Chemie stimmt", "wenn die Zeit reif ist", wenn "Zeit und Ort stimmen" - dann passiert das auch einem Buch. Und weil das alles eben nicht in einem Eimer zur Weltbestsellerformel zusammenzurühren ist, klingt auch Autorengerede über das sehr reale Phänomen eher esoterisch als wissend. Die Worte versagen den Wortarbeitern in solchen Augenblicken.
Als ich vor kurzem mit den Petersburger Musikern am Tisch saß und wir über Nijinsky redeten, wusste ich, dass "etwas passiert", dass das ein Schlüsseltag war für mein Projekt. Das war es auch, so wie einige Tage und Begegnungen zuvor schlüsselhaft gewesen waren. Aber an jenem Abend ahnte ich nicht, worin das eigentliche Geheimnis bestand. Im Rückblick weiß ich, dass da ein Knoten geplatzt ist: Ich bin verwegen geworden. So verwegen, wie es einem im Verlagsgeschäft heutzutage abtrainiert wird, obwohl es jede andere Kunst verlangt.
Das seltsame Netz begann, sich mit einem zufälligen Foto zu entwickeln, das mir jemand ohne irgendwelche Nebengedanken geschickt hatte. Darauf war Himmel zu sehen - und eine Ecke eines Plakats. Zufällig folgten mir dann bei Twitter diejenigen, die dieses Plakat aufgehängt hatten. Ich bedauerte wie schon so oft, dass die virtuelle Welt so viel leichter Entfernungen überbrückt, als ich das im realen Leben könnte.
Ich weiß nicht, was es genau war, jedenfalls konnte ich in dieser Nacht nicht schlafen. In meinem Kopf quirlte all das wild schäumend wie in jenem geheimnisvollen Eimer. Zu einer Zeit, in der brave Dorbewohner längst schlafen, legte ich mir Strawinsky auf und holte Papier und Stift. Kritzelte und malte wie in Trance, strich durch, verband Sätze mit Linien und Blasen und hatte das Gefühl, da ging wieder ein Knopf auf.
Der Idee für mein Nijinsky-Projekt mangelte es nämlich an etwas Grundlegendem. Sie war nicht verwegen genug. Klebte noch viel zu brav an all dem, was einem in Jahren dieses Berufs eingehämmert wird, wie ein Autor zu funktionieren habe, wie ein braves Buch auszusehen habe. Dabei war ich doch frei! In dieser Nacht warf ich mein gesamtes Konzept um und kam auf eine Idee, die ich noch vor einem Jahr als verrückt angesehen hätte.
Plötzlich fügte sich alles zusammen. Das ist der ganz große Traum, den man als Autor träumt: Wenn das Buch selbst die Zügel in die Hand nimmt, wenn man wie ein Werkzeug zurücktritt, staunend über das, was da so spontan entsteht. Wenn man weiß, das hätte man alles vorsätzlich gewollt und geplant und bedacht und abgewogen nie zustande gebracht. Wenn man nicht das Buch tanzt, sondern das Buch einen tanzt...
Plötzlich war für mich Nijinsky in der Jetztzeit angekommen, so etwas wie eine künstlerische Zeitmaschine erfunden. Ich beginne langsam zu begreifen, warum er lebt, immer noch lebt.
Damit ist dann der nächste Knopf aufgegangen, der etwas von einem Point of no Return an sich hat. Ich habe begriffen, wie viel man als einzelner Autor bewegen kann und wie viele Jahre ich mich "verhindern" ließ. Nur weil ich dachte, es müsse so sein, diese massive Bedenkenträgerei, die ständige Demotivation, die enorme Risikoangst, die Entscheidungsscheu von Verlagsseite; monatelange, ja jahrelange Wartereien, brutales Arbeiten auf Zeitdruck - um dann ein "nettes Buch haben Sie geschrieben" zu hören oder womöglich nicht einmal ein Feedback zu bekommen, dass das Manuskript angekommen sei. Ich dachte, das sei normal und müsse so sein, weil alle um mich herum dachten, es gehöre zu unserem Metier wie das stundenlange Üben eines Musikers.
Ich weiß es jetzt besser. Und ich muss ohne zu erröten zugeben, dass ich ein klein wenig Schadenfreude genieße. Denn mit Menschen, die mir sagten: "Nijinsky, das ist zu klein, wen interessiert der schon!" oder "da gibt's in London jetzt einen Ausstellungskatalog zu den Ballets Russes und damit ist der Markt ruiniert" - mit solchen Leuten hätte ich nicht die Hälfte von dem bewegen können, was jetzt ins Rollen kommt. Als ich für die Arbeit am Nijinsky sogar Jobs ausschlug und lieber einen Monat lang fror, sagte mir jemand: "Stell dir vor, Diaghilew hätte auch nur einen Pfifferling darauf gegeben, was "man" gefälligst so macht oder wie Ballett gefälligst zu sein habe - all das wäre nie entstanden." Mich hat das damals statt Heizung gewärmt und vielleicht begann da auch das feine Netz Begeisterung mein Leben umzuweben.
Nein, ich verrate vorab gar nichts. Aber es macht mich froh zu sehen, dass Nijinsky auch noch sechzig Jahre nach seinem Tod viele Menschen so bezaubert, dass sie seinen sehnlichsten Wunsch erfüllen: "Ich will eine Liebesschlange (vor dem Theater)..." Er wollte als Mensch geliebt, nicht als Weltstar und für Geld bejubelt werden. Kein "kleines" Thema - denn das ist das Thema, das Mythen webt und manche Menschen zu Mythen macht.
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