Durchgeknallt bis duftend
Es gibt jetzt ein Parfum, das nach Bibliothek duften soll. Bei Twitter macht man sich schon Gedanken, wer freiwillig so riechen möchte. Ganz ehrlich - ich möchte auch nicht so riechen wie meine Stadtbibliothek, die müffelt nämlich. Und gerade heute hat mir jemand erzählt, wie er alte gebrauchte Bücher erst mal besprühen musste, um sie auszuhalten. Ich habe da einen Museumskatalog aus Frankreich über Nijinsky, der hat mir schon beim Auspacken die Luft genommen und gast fast zwei Jahre nach der Anschaffung und Lavendelsprayattacken immer noch nach Gauloise ohne Filter. Ich finde das Bibliotheksparfum trotzdem nützlich: Man kann damit jeden Ereader aufpeppen!
Weniger schön ist das, was Rowohlt und Fischer neuerdings treiben. Joachim Leser berichtet im Buchreport darüber, dass beide Verlage auf der Website plötzlich unter "Stimmen zum Buch" keine aktuellen Pressestimmen mehr zu Büchern brächten, sondern stattdessen für die Holtzbrinck-Community lovelybooks werben.
Das ist heftig und seltsam zugleich. Wäre es doch ein Leichtes gewesen, zur Werbung die Pressestimmen trotzdem zu belassen. Stattdessen lieber Rezensionsniveau à la Onlinehändler mit A.
Meine Meinung: Das geht vor allem zu Lasten der Autoren, die noch nicht so etabliert sind und dringend Pressestimmen zu Aufbau ihres Rufs brauchen. Und es erinnert mich fatal an den Ausspruch eines Fernsehproduzenten: "Beim Privatfernsehen kommt es nur noch insofern auf Inhalte an, als sie die ideale Hintergrundtapete für die Werbung abgeben."
Ein Gutes hat jedoch die abstruse Werbeaktion auf Kosten der Pressestimmen: Sie entlastet die Feuilletons. Die haben in Zukunft wieder mehr Platz, über richtig gute Bücher zu schreiben.
Wir Autoren sammeln die niveauvollen Aussagen dann lieber auf der eigenen Website, etwa so.
Eine kleine Vorauswerbung habe ich noch. Gestern bedauerte ich noch das Fehlen von Gender-Studien über den Buchmarkt, heute schon entdecke ich durch die Bücherfrauen ein Buch dazu, das sie herausgegeben haben:
MehrWert. Arbeiten in der Buchbranche heute. Ulrike Helmer Verlag.
Sobald das Buch in meinem Briefkasten liegt und durchgeschaut ist, werde ich es ausführlicher vorstellen.
Ich will natürlich immer alles genau wissen und bin nun auf der Verlagsseite von Rowohlt ein wenig gesurft. "Stimmen zum Buch" (worunter der gemeine Leser eine Vielfalt vermutet) kommen tatsächlich nur noch ausschließlich von lovelybooks, aber offensichtlich hat es nicht alle Bücher "erwischt". Thomas Pynchon und Philip Roth etwa entgehen der Neuerung.
Bei Franzens Freiheit kann ich zwar nun bei Recherche zwei Pressezitate sehen, die stammen aber von einem alten Buch - sogar durch die Titelnennung ersichtlich. Und das, obwohl das Feuilleton bereits breit über "Freiheit" geschrieben hat. Leider kein Zitat daraus.
Über Daniel Kehlmanns "Vermessung der Welt" erfahre ich dafür, dass er mal 3712, mal 178 Eselsohren hat, was auch immer das bedeuten mag (oder haben die Rezensenten Eselsohren?) - und wichtige Hinweise wie:
"...erzählt in einem Roman, in dem sich die beiden wie zwei Parallelen verhalten und am Ende berühren."
Wenn ich das Buch nicht längst gelesen hätte, wäre ich garantiert von dieser Rezension zum Kauf animiert worden:
"Toll, es ist schön zu lesen, wenn man dieses Buch liest, es nur schwierig sich winzige Details zu merken. Humbolt ist zum Vermessen der Welt aufgebrochen nach Amerika aufgebrochen und Gauß blieb in Deutschland, er reiste nicht so gerne. Schwer zusammenzufassen, es gab sehr viele Details in dem Buch." (Quelle: lovelybooks)
Auch ich verfolge diese Entwicklung seit einiger Zeit - zu Beginn dachte ich noch, dass es eine "Ausnahme" bei wenigen Titeln ist, aber es scheint sich auf alle aktuellen und auch die älteren Titel zu beziehen.
AntwortenLöschenIch persönlich wäre nie auf die Idee gekommen, eine Rezension bei Lovelybooks oder Amazon als Referenz bei einer Bewerbung anzugeben. Aber es scheint für die Feuilletonrezensenten genauso schwierig geworden zu sein, sich durch die Flut der Neuerscheinungen zu wühlen wie für die Lektoren ...
AntwortenLöschenChrista
Würde mich mal interessieren, ob die Autoren nun auch Werbung in den Briefkasten bekommen statt der Feuilletonlisten aus den Pressestellen der Verlage ;-)
AntwortenLöschenFeuilletonisten recherchieren weder in Communities noch auf Verlagswebsites (jetzt vielleicht noch weniger). In der Regel gibt der Verlag seine "Blurbs" auf dem Buchrücken und in den Presseaussendungen an - in den Genuss letzterer kommen aber nicht alle Bücher.
Wenn ich als Journalistin wissen will, ob die Kollegen schon rezensiert haben, bekomme ich das durch die Konkurrenzbeobachtung mit oder benutze die große Suchmaschine.
Leute, die Leserrezensionen Vorfahrt gegenüber Zeitungen geben wollen, jubeln übrigens gerade bei Twitter... Das mag bei sog. "Lesefutter" angebracht sein, aber gerade in diesen beiden Verlagen dürften damit einige Bücher hinten runter fallen. Es sei denn... ;-)
PS: Was mir an der Sache so aufstößt: Textplatz auf Websites kostet ja nun nicht wirklich Geld. Man hätte also die *aktuellen* Pressestimmen nicht zugunsten der Werbung weglassen müssen. Das entgeht einfach meiner Logik.
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