Welten öffnen sich
Heute hätte ich gern einen Tag mit mindestens 72 Stunden, muss aber leider wegen "Hirnüberflutung" und Fingerkrampf zwangsweise zum Feierabend greifen. Es ist einer dieser Tage, die ich zu Ungunsten von "Brotjobs" gern öfter erleben würde, weil sie mich fühlen lassen, dass Schreiben die schönste Berufung der Welt sein kann.
Ich sitze fleißig am "Projekt Nijinsky", nicht an äußerlichen Herstellungs- und Technikfragen, sondern am Text. Und weil die ursprüngliche Geschichte ja als Hörbuch mit Musik recht kurz ausgefallen war (etwa 100 Normseiten), hatte ich beschlossen, dem Buch noch einen zweiten Teil zukommen zu lassen. An diesem zweiten Teil arbeite ich nicht ganz alleine. Eine spontane Schnapsidee hatte mir eingegeben, mich an ein paar Fachleute zu wenden, die in spannenden Bereichen nicht nur sehr viel mehr wissen als ich, sondern auch durch völlig andere Ansätze neue Horizonte öffnen können.
Zunächst habe ich geglaubt, mit ein paar Gesprächen wäre das geschafft und der Text könnte sozusagen "in die Tastatur geklopft" werden. Im Moment bereite ich gerade eins der Gespräche vor und staune, was ich noch alles lesen muss, um die richtigen Fragen stellen zu können. Das habe ich dann auch ausgiebig gemacht und noch mehr gestaunt. Obwohl ich glaubte, über Nijinsky ziemlich alles gelesen zu haben, was es an Material in den mir erreichbaren Sprachen gibt, entdeckte ich den Tänzer heute wieder von einer völlig neuen Perspektive aus. Schuld daran war meine eigene Aufgabenstellung, sein Leben durch recht ungewöhnliche "Speziallupen" zu betrachten. Das relativiert eine Menge Wissen, wie es gern unendlich und ohne Nachfragen von einer Schrift zur nächsten hinüberzitiert wird - und es wirft neue Fragen auf.
Ich musste aber noch ganz anderes recherchieren. Wenn man sich nämlich mit intelligenten und interessanten Fachleuten auseinandersetzt, sollte man sich zuerst mit deren Arbeit und Zugang zum Thema beschäftigen. Man muss versuchen, Sie darin ein wenig kennenzulernen und sich ihnen zu nähern. Ach, waren das noch Zeiten, als die Journalistin im Redaktionsbüro gerade mal zwei Stunden Zeit hatte, um sich auf ein Interview vorzubereiten, das anschließend in einer halben Stunde "heruntergerissen" wurde! Aber was kommt bei einer solchen Arbeitsweise heraus? Fürs Lokalblatt mag das reichen.
Obwohl die ersten Fragen bereits entworfen sind, muss ich noch Einiges vorarbeiten. Ganze Welten öffnen sich da; Einblicke, die allein Stoff für weitere Bücher abgäben. Jedes Gespräch verändert auch mich, schenkt mir Erlebniswelten dazu. Trotzdem muss ich diszipliniert am Thema bleiben, mich genau konzentrieren. Ich sollte kein Pulver verschießen, solche Leute fragt man für ein Buch nur einmal. Aber frage ich nicht Dinge, die sie schon hunderte Male gefragt worden sind? In welchen Fragen läge wirklich Neues, was brächte Erkenntnisgewinn? Welche Fragen würden Nijinsky von ungewöhnlichen Seiten beleuchten und neue Facetten zutage fördern? Was fasziniert mein Gegenüber besonders, was fasziniert mich? (Möge daraus Faszination bei den Lesern reifen).
Jedes dieser Gespräche fühlt sich an wie ein völlig neuer Kosmos, wie eine Parallelwelt zum bisherigen "Buch". Natürlich wird aus den Gesprächen anschließend erst ein Text wachsen müssen. Auch das öffnet Welten: andere formale Textarten, unterschiedlichste Themenbereiche und Persönlichkeiten - und ich eher als Werkzeug denn als Erfinderin. Irgendwie werde ich diese Facetten zusammenführen, wie die Marionettenspielerin den Überblick behalten, den roten Faden beständig in alle Richtungen ziehen müssen. Aus dem Gewebe entsteht langsam nebenher ein einleitendes Essay.
Und so wird dieses Buch ähnlich wie die Ballets Russes nicht nur eine einzige "Kunstform" darbieten. Aber genau deshalb braucht es wie im Theater seine Vorhänge an den richtigen Stellen, sein verknüpfendes Bühnenbild. Im Buch nennt man das Layout, Fotos sollen das Gesamtbild rhythmisieren und verbinden. Und das ist ein zusätzliches Vergnügen, das ich so in meiner Laufbahn noch nicht hatte: Ich selbst entscheide, welche Mittel ich wie einsetze, um ein Ganzes zu gestalten. Mich hindern weder irgendwelche Reihenkonzepte noch festgeschriebene Usancen - allenfalls die Preise der Fotorechte. Ich schreibe nicht nur Inhalte in der ihnen adäquaten Form, ich schaffe auch die äußere Form für diese Form.
Es ist ein wunderschönes Gefühl, so zu arbeiten - fast, als würde man bildhauern. Da muss eine Menge an Anatomie studiert werden, stundenlang und tagelang gefeilt werden - aber wenn man langsam eine Ahnung davon bekommt, was man aus dem Stein wachsen lässt, ist das ein unvergesslicher Moment. Immer wird es anders als die Vision, der Plan, den man vor Augen hatte. Denn so ein Stein ist etwas Lebendiges. Man muss mit seinen gegebenen Strukturen und Farben umgehen. Mit ihm in einen Dialog treten.
Ein wenig macht mich mein Stein atemlos, weil er sich so wild und unvorhergesehen bewegt. Ich habe längst nicht mehr den Eindruck, zielgerichtet und planvoll meinen Meißel anzusetzen. Es scheint mir eher dieser sich bäumende Stein selbst zu sein, der dafür sorgt, dass mir der Meißel an die richtigen Stellen rutscht. Ich recherchiere und denke und unterhalte mich und denke und schreibe. Aber im Grunde schreibt mich das Buch...
Ich sitze fleißig am "Projekt Nijinsky", nicht an äußerlichen Herstellungs- und Technikfragen, sondern am Text. Und weil die ursprüngliche Geschichte ja als Hörbuch mit Musik recht kurz ausgefallen war (etwa 100 Normseiten), hatte ich beschlossen, dem Buch noch einen zweiten Teil zukommen zu lassen. An diesem zweiten Teil arbeite ich nicht ganz alleine. Eine spontane Schnapsidee hatte mir eingegeben, mich an ein paar Fachleute zu wenden, die in spannenden Bereichen nicht nur sehr viel mehr wissen als ich, sondern auch durch völlig andere Ansätze neue Horizonte öffnen können.
Zunächst habe ich geglaubt, mit ein paar Gesprächen wäre das geschafft und der Text könnte sozusagen "in die Tastatur geklopft" werden. Im Moment bereite ich gerade eins der Gespräche vor und staune, was ich noch alles lesen muss, um die richtigen Fragen stellen zu können. Das habe ich dann auch ausgiebig gemacht und noch mehr gestaunt. Obwohl ich glaubte, über Nijinsky ziemlich alles gelesen zu haben, was es an Material in den mir erreichbaren Sprachen gibt, entdeckte ich den Tänzer heute wieder von einer völlig neuen Perspektive aus. Schuld daran war meine eigene Aufgabenstellung, sein Leben durch recht ungewöhnliche "Speziallupen" zu betrachten. Das relativiert eine Menge Wissen, wie es gern unendlich und ohne Nachfragen von einer Schrift zur nächsten hinüberzitiert wird - und es wirft neue Fragen auf.
Ich musste aber noch ganz anderes recherchieren. Wenn man sich nämlich mit intelligenten und interessanten Fachleuten auseinandersetzt, sollte man sich zuerst mit deren Arbeit und Zugang zum Thema beschäftigen. Man muss versuchen, Sie darin ein wenig kennenzulernen und sich ihnen zu nähern. Ach, waren das noch Zeiten, als die Journalistin im Redaktionsbüro gerade mal zwei Stunden Zeit hatte, um sich auf ein Interview vorzubereiten, das anschließend in einer halben Stunde "heruntergerissen" wurde! Aber was kommt bei einer solchen Arbeitsweise heraus? Fürs Lokalblatt mag das reichen.
Obwohl die ersten Fragen bereits entworfen sind, muss ich noch Einiges vorarbeiten. Ganze Welten öffnen sich da; Einblicke, die allein Stoff für weitere Bücher abgäben. Jedes Gespräch verändert auch mich, schenkt mir Erlebniswelten dazu. Trotzdem muss ich diszipliniert am Thema bleiben, mich genau konzentrieren. Ich sollte kein Pulver verschießen, solche Leute fragt man für ein Buch nur einmal. Aber frage ich nicht Dinge, die sie schon hunderte Male gefragt worden sind? In welchen Fragen läge wirklich Neues, was brächte Erkenntnisgewinn? Welche Fragen würden Nijinsky von ungewöhnlichen Seiten beleuchten und neue Facetten zutage fördern? Was fasziniert mein Gegenüber besonders, was fasziniert mich? (Möge daraus Faszination bei den Lesern reifen).
Jedes dieser Gespräche fühlt sich an wie ein völlig neuer Kosmos, wie eine Parallelwelt zum bisherigen "Buch". Natürlich wird aus den Gesprächen anschließend erst ein Text wachsen müssen. Auch das öffnet Welten: andere formale Textarten, unterschiedlichste Themenbereiche und Persönlichkeiten - und ich eher als Werkzeug denn als Erfinderin. Irgendwie werde ich diese Facetten zusammenführen, wie die Marionettenspielerin den Überblick behalten, den roten Faden beständig in alle Richtungen ziehen müssen. Aus dem Gewebe entsteht langsam nebenher ein einleitendes Essay.
Und so wird dieses Buch ähnlich wie die Ballets Russes nicht nur eine einzige "Kunstform" darbieten. Aber genau deshalb braucht es wie im Theater seine Vorhänge an den richtigen Stellen, sein verknüpfendes Bühnenbild. Im Buch nennt man das Layout, Fotos sollen das Gesamtbild rhythmisieren und verbinden. Und das ist ein zusätzliches Vergnügen, das ich so in meiner Laufbahn noch nicht hatte: Ich selbst entscheide, welche Mittel ich wie einsetze, um ein Ganzes zu gestalten. Mich hindern weder irgendwelche Reihenkonzepte noch festgeschriebene Usancen - allenfalls die Preise der Fotorechte. Ich schreibe nicht nur Inhalte in der ihnen adäquaten Form, ich schaffe auch die äußere Form für diese Form.
Es ist ein wunderschönes Gefühl, so zu arbeiten - fast, als würde man bildhauern. Da muss eine Menge an Anatomie studiert werden, stundenlang und tagelang gefeilt werden - aber wenn man langsam eine Ahnung davon bekommt, was man aus dem Stein wachsen lässt, ist das ein unvergesslicher Moment. Immer wird es anders als die Vision, der Plan, den man vor Augen hatte. Denn so ein Stein ist etwas Lebendiges. Man muss mit seinen gegebenen Strukturen und Farben umgehen. Mit ihm in einen Dialog treten.
Ein wenig macht mich mein Stein atemlos, weil er sich so wild und unvorhergesehen bewegt. Ich habe längst nicht mehr den Eindruck, zielgerichtet und planvoll meinen Meißel anzusetzen. Es scheint mir eher dieser sich bäumende Stein selbst zu sein, der dafür sorgt, dass mir der Meißel an die richtigen Stellen rutscht. Ich recherchiere und denke und unterhalte mich und denke und schreibe. Aber im Grunde schreibt mich das Buch...
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