Sturheit oder Disziplin
Was ich im Moment erlebe, habe ich meiner Übersetzerarbeit zuzuschreiben, aber der Zustand unterscheidet sich in nichts vom professionellen Bücherschreiben. Wenn man einen Vertrag hat, hat man nämlich auch einen Abgabetermin. In der Regel rechnet man sich genügend Zeit ein für etwaige Krankheitsfälle und sonstige Unfälle. Trotzdem kann es extrem knapp werden. Ging mir so mit dem "Lavendelblues", als der Verlag fragte, ob ich nicht zwei Monate früher abliefern könne, da sei etwas ausgefallen und er passe viel besser ins frühere Programm. Eigentlich nicht zu machen, aber will man seinem Buch nicht das ach so viel bessere Programm gönnen? Ich weiß nicht, ob ich das damalige Schreiben noch einmal aushalten würde. Einen Roman auf Knopfdruck schreiben, kreativ sein nach der Uhr. Irgendwann schlief ich im Sitzen ein, als ich mir nachts endlich eine Büchse Fertigessen aufmachen wollte - nicht einmal mehr zum Kochen hatte ich Kraft. Anschließend waren der Haushalt und mein Körper ein Wrack, aber das Buch "locker leicht" erschienen.
Diesmal habe ich den eingerechneten Ausfallsrabatt bereits eingeholt und Übersetzungen sind ohnehin Arbeit auf Zeit, damit es sich überhaupt rechnet. Meine Tage sind Pakete geworden, Textpakete. Jeden Tag soundsoviel Seiten, koste es, was es wolle. Dazu braucht es feste Rituale, eiserne Disziplin. Morgens ein Hirnerwecken im Internet, dann kurzes Einlesen in den Tagestext. Herunterübersetzen, mit Speed, möglichst ohne viel Nachschauen im Wörterbuch, die noch nicht geklärten Wörter sind schon unterstrichen. Mittags Hundelauf und dabei ein Resumé des geschafften Textes, die innerliche Vorbereitung auf die nächste Portion und etwas Ausspannen.
Und weiter geht's im Text. Mit sehr viel Wasser nebenher und sehr wenig Aufputschgetränken, denn die machen einen fertig, wenn man das länger durchhalten will. Pünktlich zur ersten Hälfte des Texts setzt dann auch das Gehirn aus, das Tippen wird plötzlich legasthenisch, der Kopf kann Sprachen nicht mehr auseinanderhalten. Das kommt davon, wenn man sich über die eigenen Grenzen treibt. Auch dafür gibt es ein Mittel: Pause machen, sofort - und ausreichend für Hirnnahrung sorgen. Man glaubt kaum, wie viel Energie ein Körper bei intensiver geistiger Arbeit verbrennt! Man kann überall nachlesen, was so ein Hirn am liebsten mag - Schokolade ist es jedenfalls nur sehr bedingt und das Blut soll auch nicht in den Bauch sacken. Das mache ich jetzt anders als zur Zeit der Büchse zum "Lavendelblues" - und bin bedeutend fitter.
Ein bißchen Ritual wie beim Hund hilft außerdem; die nächste Schicht wird mit einem leckeren Tee eingeläutet, der bei der Kaffeetrinkerin eigentlich für "Entspannung und Genießen" im Kopf verankert wurde. So betrügt man den eigenen Kopf, der sich erfrischt an den Genuss weiteren Texts setzt. Diese Schicht ist die Schlimmste, denn sie wird über den toten Punkt hinausgepeitscht bis zum Abend. Ja, man feuert sich dann tatsächlich an wie einen Marathonläufer, der im Begriff ist, aufzugeben.
Etwa 18:30 geht dann wirklich nichts mehr. Denkt man. Aber wenn ich nicht nur Büchsen aufwärme, sondern richtig schön koche, bin ich so erfrischt, dass ich statt sonstiger Aktivitäten das Textpäckchen des nächsten Tages vorbereiten kann. Diese Arbeit besteht darin, den Text ohne Hilfsmittel beim Lesen sozusagen simultan zu übersetzen und darin Notizen zu machen. Manchmal ersetzt diese Arbeit auch die Bettlektüre. Aber möglichst nie den Schlaf, den brauchen die grauen Zellen nötigst. Am nächsten Morgen: The same procedure as every day. Bei zu großer Erschöpfung wird ein freier Tag zwischengeschaltet. Und so komisch es klingt: Psychologisch hilft einem eine gute Gesichtscreme über den schauderhaften Anblick im morgendlichen Spiegel hinweg!
Absolut ärgerlich ist, dass in dieser heißen Phase ausgerechnet ein Projekt dazwischenquengelt, das monatelang von dritter Seite her Staub angesetzt hatte; dass ausgerechnet jetzt eine Behörde wieder mit völlig unsinnigem Quatsch belästigt - und man sich die Putzfrau mit solchen Jobs natürlich immer noch nicht leisten kann. Ich frage mich kurz, wie es anderen gelingt, derzeit unerreichbar im Urlaub zu sein (unter anderem die Frau von der Behörde) und wieso ich so dumm sein muss, in heißen Phasen kurz vor der Erschöpfung noch mehr tun zu müssen. Gnadenlos wird aufgeschoben. Das andere Projekt dazwischen geschoben. Geflucht. Gejammert. Und natürlich bin ich längst wieder soweit, mich für einen schönen, regelmäßigen Angestelltenjob zu bewerben - was meist daran scheitert, dass mir nicht einmal die Zeit bleibt, mir einen Job auszudenken.
Manche sehen in solchen Phasen vielleicht Masochismus, ich nenne es lieber Kalkül: Ich versuche nämlich, meine eigenen Textpäckchen zu überholen. Schaffe ich bei einem Tagespensum von sagen wir zehn Seiten nämlich zwölf, habe ich zwei Seiten gutgeschrieben. Überhole ich mich mehrmals, springt ein freier Tag heraus. Und natürlich überfordere ich mich mit den Portionen, weil die immer so berechnet sind, dass ich bis zum wahren Abgabetermin noch etwas Luft habe. Man kann ja nie wissen: Behörden, Kunden, Kopfschmerzen...
Vierzehn große Seiten Originalsprache (größer als Normseiten) sind mein Pensum für 10-14 Tage (im Deutschen ergibt das etwa 20% mehr). Hirnverbrannt und nicht zu machen. Ich habe jedoch schon 409 Buchseiten übersetzt, was 496 Normseiten ergab. 545 Seiten hat das dicke Brikett von Buch ohne Anhang (so ein dickes Buch würde ich als Autorin nie schaffen!). Genau mit diesem Zwang der Textpäckchen erledige ich die Rohübersetzung schneller und habe viel mehr Zeit für die Feinüberarbeitungen danach. Die sind Ende August fällig. Und dann - das hält mich im Moment unter Dampf - gönne ich mir einen unerhörten Luxus: Ich arbeite in meinem eigentlichen, wahren, wirklichen Beruf.
Der gute Heinrich nennt das, was ich hier mache, in einem Beitrag "worcaholic":
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Tja, schön wäre es, wenn es sich denn nur um eine Sucht handeln würde, für die es Heilung gäbe! Leider - viele KollegInnen werden das bestätigen können - ist es der ganz normale Arbeitsalltag bei Freiberuflern in schreibenden Berufen. Seit die Honorare in solchen Berufen real in den letzten Jahren sogar gesunken sind, wird es eher schlimmer als besser.
Ähnlich fleißig arbeitet gerade die Krimiautorin im Blog "schreiben!" - siehe Blogroll.
Das ist ja witzig....die "Unterstellung", dass das, was Du hier beschreibst, worcaholic sei......
AntwortenLöschenWenn eine berufstätige Frau (ich nehm mal ne Frau als Beispiel, weil es meistens Frauen betrifft) morgens um kurz vor 6 aus den Federn springt, die Brut weckt, parallel dazu sich und das Frühstück fertig macht, alle (sich auch) aus dem Haus scheucht, ihren 8-Stunden-Job erledigt, auf dem Heimweg einkauft, Abendessen macht, die Wäsche in die Maschine schmeißt, Hausaufgaben und sonstige Kümmernisse checkt und irgendwann müde ins Bett sinkt - und das ca. 365 Tage im Jahr....spricht dann jemand von einer Workaholicerin? Ne, nä? Was gemacht werden muss, muss gemacht werden!
Aber bei nem Terminjob ist es Workaholicanismus...... Dabei ist es doch dasselbe, wie im Beispiel oben: Wat mut, dat mut!
Na, ich glaube, Heinrich hatte das eher besorgt-ironisch gemeint gehabt. Ich habe ihn nur zitiert, weil der Spruch noch von zwei Leuten aus meinem Bekanntenkreis kam, allerdings nicht ironisch. Die hatten auch vergessen, dass ich zwei volle Monate aufholen muss, die ich durch die Todesfälle verloren hatte...
AntwortenLöschenWenn ich dann dein Beispiel dazu betrachte, liebe Sabine, dann fällt mir nur sarkastisch dazu ein: Frauen machen das doch alles mit links, können sie doch, sind doch multitaskingfähig. Aber wehe, sie reden laut darüber! ;-)
Nein, was ich viel schlimmer finde: Die wenigsten Menschen wissen eigentlich, wie Übersetzungen zustande kommen, was für eine harte Arbeit auf Zeit das ist. In der freien Wirtschaft gibt es dann tatsächlich die Sorte Kunden, die einen nach dem Kostenvoranschlag entsetzt fragen: "Was, Sie wollen für das bißchen Sprache in die andere Sprache auch noch Geld!?! Das machen Sie doch beim Frühstück!" Oder: "Mein Sohn hatte auch Französisch in der Schule, der macht mir das umsonst."