Ein Hoch auf die Unvernunft
Ich machte nur, wozu ich Lust hatte, und noch heute richte ich, wenn das, was ich will, nicht möglich ist, es so ein, dass es möglich wird.
Wir müssen dem folgen, was uns begeistert, was uns interessiert, was uns herausfordert und uns das Gefühl gibt, lebendig zu sein, und wir müssen alles andere zur Seite schieben.
Hélène Grimaud ist schuld. Joe Jackson ist schuld. Eine Begegnung am gestrigen Tag ist schuld, die mir von einem erzählte, der nach einem Todesfall in der Familie endlich einen Wunschtraum nicht mehr nur träumte, sondern ins Leben brachte. Christa ist schuld, weil sie in ihrem Blog laut darüber nachdenkt, von welchen Fragen sich Autoren ablenken lassen können, ohne zu merken, dass manche Ideen in der Schublade liegen. Rachmaninow ist schuld, weil Musik oft schöner ist als jeder vernünftige Vorsatz. Immer sind andere schuld.
Wie praktisch, dass man alles Mögliche bis hin zum eigenen Leben immer wieder auf andere schieben kann. Auch ich habe Jahre damit vertan, mir Fragen wie die folgenden zu stellen: Was muss ich tun, um einen Verlag zu finden? Was muss ich tun, damit mich eine Agentur nimmt? Was muss ich tun, dass mich mein Verlag mag? Was muss ich tun, damit mich die Leser mögen? Was muss ich schreiben, dass...? Was muss ich tun...?
Bald hatte mich die Wirklichkeit gelehrt, dass dies die falschen Fragen sind, weil sie sich an der Essenz vorbeimogeln und weil ich sie gar nicht beeinflussen kann. Weil ich mich vor den eigentlichen Fragen damit nur drücke. Denn schon der erste Verlag ging zur Unzeit ein. Und meine wunderbare Agentur gibt es leider auch nicht mehr. Trotzdem lebe und schreibe ich noch, trotzdem gibt es noch ein paar Bücher von mir. Also tatsächlich die falsche Art des Fragens.
Ich kann nicht genau sagen, wer oder was wirklich schuld war - ich fürchte, ich stecke selbst dahinter. Jedenfalls ging mir gestern auf, dass auch die Frage "was will ich?" noch nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Es fehlt ihr nämlich das klitzekleine Partikelchen, das Hélène Grimaud so treffend beschreibt: Was will ich - und was muss ich tun, damit dieses Wollen ins Sein tritt?
Der Prozess begann schleichend. Mich interessierten Fragen nach Verlagen, Agenturen, Märkten und all dieser Kram überhaupt nicht mehr. Nur noch die Themen, die Leidenschaft war wichtig. Leidenschaft kann man manchmal teilen, aber man kann sie nicht nach fremden Bedürfnissen zurechtbiegen oder klein fragen. Aber immer dann, wenn man sich das Feuer bewahrt, trifft man eines Tages auch auf Menschen, mit denen man solche Pläne verwirklichen kann. Gestern kam mir eine verwegene Idee dieser Art. Es geht um mein nächstes "Opus", für das ich zwar einen Vertrag aufgelöst, aber noch keinen neuen geschlossen habe. Da ich es sowieso schreibe, koste es, was es wolle - denn ich kann gar nicht anders - interessieren mich die früheren Fragen gar nicht mehr. Ich rechne damit, dass alles klappt. Ich weiß es.
Stattdessen ist mir die Idee gekommen, mir einen völlig verrückt erscheinenden Traum zu verwirklichen, einen, der nach Joe Jacksons Zitat klingt. Ohne zu wissen, ob das Sujet zum gedruckten Buch wird, habe ich mir fest vorgenommen, an einem gewissen Ort mit dem fertigen Buch eine Lesung zu veranstalten. Also frage ich mich: Was muss ich tun, um dort eine Lesung mit dem Ding zu bekommen? Gar nicht so einfach umzusetzen, meine Idee, höchst aufwändig sogar. Es scheint ein Ding der Unmöglichkeit, aber genau das fordert mich heraus. Schließlich war es auch nicht unmöglich, dass ich heute mit meinem Hund friedlich und in Eintracht mit einer dreiköpfigen Storchenfamilie über die Wiesen wanderte!
Lesetipps:
Hélène Grimaud: Wolfsonate, blanvalet - die Geschichte einer Künstlerkarriere mit wertvollen Einblicken in die Bedeutung des Künstlerdaseins
Joe Jackson: Ein Mittel gegen die Schwerkraft, Satzwerk - hinter der Autobiografie der ersten Wanderjahre verbirgt sich die Auseinandersetzung mit einem Leben zwischen Kunst und Kommerz
Liebe Petra, selbst im Sommerloch schreibst Du mit verlässlicher Regelmäßigkeit motivierende Inspirationalien, wie schön! Ja, wem wir die Schuld geben, dem geben wir auch die Macht. Und meistens sind wir es doch selbst. Also die mit der Schuld (Macht). Eine gewisse Portion Renitenz soll ja helfen, das einmal Beschlossene auch in die Tat umzusetzen... Ich wünsche Dir viel Erfolg dabei.
AntwortenLöschenLG, Simona
PS. Der auf Deine Empfehlung angeschaffte Gennadij Gor traf wohlbehalten bei mir ein und hat sich ganz gut eingelebt. Ich habe mir schon erlaubt, im entsprechenden Pfad kurz zu berichten ;)
Lieeb Petra,
AntwortenLöschenja, du hast es mit solchen Beiträgen immer wieder geschafft, mich meinen roten Faden wiederfinden zu lassen.
Manchmal denke ich auch tagsüber oder abends darüber nach, was hier in den Blogs so
geschrieben und kreiert wird ...
Mal sehen, was es bei mir weiterhin auslösen wird ...
Herzlichst
Christa
Hach ist das schön, tut das gut - danke an das motivierende Kleeblatt! ;-)
AntwortenLöschenGestern meinte nämlich jemand, ich würde so häufig bloggen, dass man das unmöglich lesen könne, ob es denn ständig so viel sein müsse. Meine Antwort: Ich verstehe mein Blog wie eine Zeitung mit Themenmix. Nicht immer ist für jeden etwas dabei, aber jeder sollte wenigstens hin und wieder einen Beitrag finden, der ihn interessiert. Umso schöner, dann zu sehen, dass die Beiträge, die man selbst für unwichtig hielt, Echo hervorrufen.
Simona, du bist immer so geheimnisvoll: was und wo ist der Pfad?
Vielen Dank für den Chopin-Tipp, Nikola - das Buch wurde mir schon in Polen empfohlen (in Chopins Villa), nur konnte ich damals nicht genug Polnisch, um es zu lesen. Fein, dass es eine Übersetzung gibt!
Das sind übrigens meine heimlichen "Ratgeber": Künstler(auto)biografien. Aus deren Fehler und Wirren lerne ich mehr als durch "Man nehme"-Bücher.
Und ja, man wird mit dem Alter gelassener, man weiß eher, worauf es einem selbst ankommt. Das macht im Ernstfall aber auch wieder ungeduldiger. Ich fühle mich selbst zwar ganz jung, aber die Beschäftigung mit der eigenen Endlichkeit nimmt schon zu. Daraus resultiert irgendwann die Einsicht, dass man nur dieses Leben hat und jeden Tag nutzen sollte, anstatt seine Träume aufzuschieben. Das gibt eine ungeheure Freiheit - falls man sie sich nimmt.
Trotzdem ist das nicht altersabhängig. An den Lebensläufen vieler Künstler kann man sehen, dass sie von frühester Jugend an oft zielstrebig, hartnäckig, manchmal fast größenwahnsinnig an ihr Ziel glaubten (insofern habe ich Jahrzehnte vertan). Grimaud beschreibt das sehr eindrücklich, wie sie als Kind in die Ecke der Zwangsneurose gesteckt wurde, bis sie herausfand, dass der innere Zwang des Künstlers etwas anderes ist und sehr gesund.
Ich glaube inzwischen auch an ein (nicht größenwahnsinniges) "Think Big". Ich habe mir viele meiner Projekte früher zu klein gedacht. Viel zu viel Angst und zu wenig Selbstvertrauen gehabt.
Als ich gestern mein Vorhaben hier "in Schrift goss", bin ich auch fürchterlich erschrocken. Plötzlich steht es so real da.
Und dann ist etwas ganz Lustiges passiert - mir fielen ein paar Leute ein, die ich dazu kontaktieren könnte. Und die habe ich alle in ähnlichen Spinneritis-Anfällen kennengelernt, wenn das Projektschwärmen mit mir durchging. Na, ich bin mal gespannt. Ist noch ein harter, sehr weiter Weg...
Schöne Grüße,
Petra
Ja, Petra, ich denke, es ist wichtig, seine Illusionen aufs Papier zu bringen, um sich dann vielleicht sogar ein wenig davor zu fürchten. Dabei fällt mir ein, dass ich Montaigne im neuen Buch zitiere und das lautet:
AntwortenLöschen"Es erfordert Mut, sich zu fürchten."
Ich halte mich an die (lapidare) Maxime "von nichts kommt nichts". Und vielleicht ist es gerade dieser Kommentar, oder dein Blog-Beitrag, den ich gelesen habe, der mir eine neue Türe zeigt, die ich wiederum zu öffnen habe (von allein geht da natürlich nichts).
Ich schätze, man muss sich trauen. Dumm, dass dieser Mut in der Gesellschaft nicht sonderlich honoriert wird. Aber am Ende der Reise, wenn wir es versucht, vielleicht umgesetzt haben, dieses Wollen, dann dürfen wir zufrieden sein. Ja, ja.
Hmm, war ich wieder zu kryptisch ;) Mit "Pfad" meinte ich Deinen Blogpost zu Gennadji Gor aus dem Juni. Ich hab da noch mal rumkommentiert...
AntwortenLöschen"Es erfordert Mut, sich zu fürchten."
AntwortenLöschenDem stimme ich voll zu. In mir ist Streit und Furcht, beides zugleich, innen wie außen - Streit und Furcht.
Deshalb tu ich mich mit dem "Think big" auch noch etwas schwer. Allerdings habe ich ja nichts zu verlieren, so als Möchtegern ...
"Daraus resultiert irgendwann die Einsicht, dass man nur dieses Leben hat und jeden Tag nutzen sollte (...)"
Danke für diesen Freiheitsgedanken, bisher fühle ich mich einfach nur egoistisch wenn ich schreibe und weniger Zeit für Mann und Söhne habe. Das ist sicher etwas, das mit dem Alter reifen muss, vielleicht auch, weil die Verantwortlichkeiten sich verändern, man selbstbezogener Leben kann.
Liebe Grüße,
Nikola
Nikola, ich fürchte, das ist oft eine weit verbreitete Frauenkrankheit? Kenne ich aus allen Selbstständigen- und Unternehmerinnenkreisen, dass es Frauen immer noch schwerer haben, die Rollen zu sprengen und sich Freiräume trotz Familie zu schaffen - bei Männern nimmt man das selbstverständlicher hin. Eine Kollegin könnte dir vielleicht Mut machen, die mal erzählte, ihr Kind habe in der Schule Mutter so definiert: "Eine liebe Mami sitzt am Computer und schreibt ganz viel."
AntwortenLöschenEs ist natürlich schwierig, wenn das Schreiben noch eine Art Hobbycharakter hat und man ein wenig komisch klingt, wenn man auf Arbeitszeiten pocht.
Richard, du scheinst mir immer mutiger als ich, ich bin ein ganz schlechter Türklopfer - aber deine Maxime stimmt natürlich auch. Wobei es gerade in dem Beruf immer eine Gratwanderung ist: Wie viel darf man selbst pochen, wo sollte man pochen lassen. Ja, wenn man zu mutig ist, gilt man schnell als arrogant bis größenwahnsinnig... (In Frankreich ist das wieder ganz anders).
Ich freu mich jedenfalls, was dieser Beitrag anrichtet, ein anderer Kollege sagte mir heute, er habe nun auch einen unvernünftigen Vorsatz gefasst.
Schöne Grüße,
Petra