Hitzereader
Heute geht's um das Thema "Auffallen": Wie viel Öffentlichkeit wollen wir eigentlich oder sollten wir lieber brav den Rasen mähen?
Fast wie ein Nachruf wirkt ein Artikel im Flavorwire über die Schriftsteller des 20. Jhdts., die am zurückgezogensten lebten: "In Defence of Privacy". Sie hätten weder getwittert noch ihr Face in Facebook zur Schau gestellt und wurden trotzdem verdammt berühmt. Ob Marcel Proust oder Thomas Pynchon, Cormack McCarthy oder Harper Lee - bei ihnen sprachen wohl die Texte für sich.
Ein Spektakel, bei dem Schriftsteller wie heiße Würstchen auf einer Silberplatte präsentiert und aufgeschnitten werden, ist dagegen der Bachmannpreis. Aber ausgerechnet Preisträger Peter Wawerzinek erzählt uns jetzt, dass es Illusion sei, daran zu glauben, Texte würden für sich sprechen können. "Zu wenig Chancen für Querdenker" betitelt die Kleine Zeitung das Interview mit ihm. Ob Autoren weniger neidisch seien als Kritiker, wie er sagt, sei dahingestellt. Aber dass auch der Hochliteraturbetrieb seine ausschließenden Spielregeln hat, über die er sich leider ausschweigt, klingt einleuchtend.
Fällt mir eine Begebenheit ein, bei der ich einmal zwei wichtige Mitglieder dieses Betriebs belauschen konnte. Zwei Raben in rabenschwarzen Anzügen lieferten sich ein wahres intellektuelles Feuergefecht, bei dem es darum zu gehen schien, ihr Gegenüber durch die Anzahl hochkomplizierter, unbekannter, akribisch gelesener Literaturen (nebst Titel, Autor, Verlag) und verschwafelten Eigenphilosophien dazu k.o. zu reden. Das Gespräch endete mit der freundschaftlichen Versicherung, man könne sich noch Stunden zuhören, aber die Welt rufe leider, die Welt. In dem Moment war mir klar, warum aus mir nie eine Literatin werden würde (das letztmögliche Stipendium habe ich auch verpatzt). In meinem Schrank hängt kein einziges schwarzes Kleid. Nicht einmal echte Tarnung habe ich drauf!
Das können russische Spione viel besser, so richtig wie aus dem James-Bond-Bilderbuch. Die FAZ hat einen vergnüglichen Artikel über "Die auffällig Unauffälligen" geschrieben, der auch das amerikanische Wohnmonster "Suburbia" enttarnt. Mich hat das Ganze an die Sorte Aussteiger erinnert, die nachher zu 180%igen Bürgern werden - so etwas muss doch verdächtig wirken! Also aufgepasst, wenn das nächste Mal wieder ein nuschelnder Schriftsteller im schwarzen Rollkragenpulli, mit Stipendium und Literaturpreis, zur Lesung erscheint. Solche Typen können heutzutage und nach David Lynch unmöglich echt sein.
Und geben wir zu doch ehrlich zu, alles ist Selbstinszenierung. Ob wir uns vor den Medien oder der Enttarnung verstecken, ob wir uns beim Bachmannpreis oder bei Twitter produzieren, wir wollen doch nur eins: dass unsere Texte bei den Lesern ankommen, sich womöglich einbrennen.
Wobei die Sache mit dem Einbrennen gestern war. Heute kann man auch da nachhelfen. Mit der Nadel nämlich. Das Blog Contrariwise stellt Addicts vor, die mit ihrer Haut Literatur zu Markte tragen. Im Gegensatz zu jedem E-Reader ist das die wasserfesteste, strandresistenteste und hitzebeständigste Version des Lesens überhaupt.
Was für gräßliche Raben es doch gibt! Muß ein anderer Schwarm sein, als der meine.;)
AntwortenLöschenAnscheinend ist selbst der Buchmarkt nicht für Leisetreter geeignet. Ich habe, nach Ihrer Anregung, in meinem Kleiderschrank gestöbert: Bisher kein "kleines Schwarzes" gefunden, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Sollte ich eins entdecken, werde ich mich gleich befördert und berufen fühlen.;)
Liebe Grüße,
Nikola
P.S. Fraglich ob empfindsame und schüchterne Charaktere wie z.B. Chopin in der heutigen Zeit erfolgreich wären. Wenn Texte nicht für sich sprechen dürfen, wie ist es dann mit der Musik?
Ich denke mal, es wird alles nicht so heiß gegessen, wie es im Feuilleton verbraten wird. ;-)
AntwortenLöschenHat irgendwer vor Harry Potter etwa gewusst, wie eine Mrs Rowling aussieht? Und wie viele Homestories gewährt sie heute? Trägt Cornelia Funke eigentlich Schwarz, die sich erst auf Englisch hat übersetzen lassen müssen, um in Deutschland wahrgenommen zu werden?
Und ich kenne einige "namenlose" Autoren, die brav ein Buch nach dem anderen veröffentlichen und recht gut davon leben können, während so mancher Preisträger Auflagen wie im Selbstverlag verkauft.
Die Welt ist also zum Glück bedeutend bunter, als uns die Medien das glauben machen wollen.
Wenn's tröstet - ich bin ein unerschütterlicher Optimist (Idealist?) - ich glaube, dass man Erfolg neben der gehörigen Portion Glück, die nötig ist, vor allem durch zwei Dinge befördern kann. Durch harte, beharrliche und gute Arbeit. Und dadurch, dass man authentisch ist und bleibt. Alles andere rächt sich irgendwann bitter.
Schöne Grüße,
Petra
PS: Ich habe mal eine Klassikerlesung als "Frau vom Dorf im Billigflieger" inszeniert, im geblümten Billigfetzchen mit schröcklich unpassendem Schal. Kam super an! Soviel zur Kleidungsfrage. ;-)
Ganz platt, was für ein schwarzes Kleid spricht:
AntwortenLöschenMan(n) und f(F)rau sieht eine Kleidergröße dünner aus. Wer will das nicht? Wer hat das nicht nötig?
Darf ich platt dagegen, liebe Sabine? ;-)
AntwortenLöschenSchwarz sieht zu gewissen Teints unmöglich aus, es erschlägt oder lässt einen - wie in meinem Fall - älter und krank aussehen. Mich gibt's im Kleinen nur in Blau ... und ich wuchere da mit jedem Pfund meiner Sommersprossen ;-)
Ach, danke schön. Ich bin gerührt angesichts des Lobes und der ausführlichen Würdigung.:) Liebe Grüße tiniaden
AntwortenLöschenDas hast du dir redlich verdient! Ohne deine Links bei Twitter wäre meine morgendliche Frühstückslektüre nur halb so spannend. Viele Artikel würde ich sonst gar nicht finden.
AntwortenLöschenSchöne Grüße,
Petra