Unter anderen Umständen
Selbst mit dem jetzt preisgekrönten Manuskript habe er für den Feinschliff am Schluss zunächst kein Arbeitsstipendium bekommen. "Wenn Du so ein Buch zu Ende machst und gleichzeitig Wurst verkaufen musst auf dem Kollwitzplatz, das geht nicht zusammen."Mich machen solche Aussagen wütend, obwohl ich ihm im Kern der Sache zustimmen muss.
Nun bin ich eine, die immer wieder die prekäre Lebens- und Arbeitssituation vieler Künstler anprangert; die ganz und gar nicht einverstanden damit ist, wie eine Gesellschaft mit ihrer eigenen Kultur umgeht, während sie Millionen und Milliarden anderswo versenkt. Auf der anderen Seite bin ich genügend Realistin, um zu wissen, dass Außenseiterrollen nie bequem waren - und ausgerechnet darum sogar Chancen bieten. Ich will hier also ganz und gar nicht dem dämlichen, romantisierten Bild vom armen Poeten frönen, der nur ein guter Poet sein kann, wenn er arm ist. Ich bin für gerechte Arbeitsentlohnung.
Aber was ist das bitte für eine Lebenswirklichkeit, bei der das womöglich zu entdeckende literarische Genie auf Stipendien wartet und ohne diese nur schwer Literatur erschaffen kann? Was ist das für ein Lebenskokon, in dem man sich von Stipendium zu Stipendium, von Preis zu Auszeichnung hangelt, ohne auch nur ein wenig Geld selbst verdienen zu können, zu wollen? Raten wir Erfahrenen nicht den Jungen eindringlich, sich um einen Beruf zu kümmern, das Schreiben zunächst als Experiment zu betrachten, das durchaus schief gehen kann? Erzählen mehrfach veröffentlichte Schriftsteller nicht ständig, dass man vom ersten Buch nicht leben kann, und vom zweiten und dritten auch nicht?
Natürlich hätte auch ich gern mal ein Stipendium erhalten, aus einem im internationalen Vergleich mit Stipendien reich bestückten Land - vor allem in Zeiten, wenn ich im Winter mit Handschuhen tippte, weil ich mir neues Heizöl nicht kaufen konnte. Aber ich habe mir von Anfang an keine Illusionen gemacht: Falsches Alter, falscher Wohnsitz, für den richtigen Wohnsitz die falsche Sprache, und und und. Eine erfolglose Bewerbung beim Deutschen Literaturfonds (wie vermessen!) war sozusagen mein persönlicher Schussgag - ich wollte es einfach mal wissen und wusste es doch längst, dass der Formbrief mit der Absage kommen würde.
Habe ich deshalb aufgehört zu schreiben? Nein. Ich habe lieber gefroren, als auf mein Schreiben zu verzichten. Und irgendwann habe ich mir Heizöl erschrieben. Aber es geht mir bei meinem Ärger gar nicht um mich selbst, man könnte ja glauben, mir hingen nur die Trauben zu hoch. Ich ärgere mich vielmehr darüber, dass durch die Worte des Kollegen SchriftstellerInnen in ein Licht geraten, als seien sie gezwungen, mit dem Hut herumzugehen, als seien sie ungebildet, schlecht ausgebildet, nicht fähig zum geregelten Broterwerb.
Solche Aussagen sind meiner Meinung nach ein Schlag ins Gesicht von Leuten, die als Ärzte, Bäcker, Monteure, Lehrer und was es alles an Berufen gibt, den ganzen Tag hart arbeiten und in den wenigen freien Stunden ihre Bücher schreiben. Das wird vor allem vielen dreifach belasteten Schriftstellerinnen nicht gerecht, die sich um Beruf, Familie, womöglich Kinder und ihre Bücher kümmern. Es klammert all die AutorInnen aus, die sich wahrhaft einen Wolf schreiben, um von den ganz und gar nicht prächtigen Honoraren überleben zu können. Und was ist mit all den Künstlerinnen und Künstlern, die im festen Glauben an ihr Werk unerschütterlich daran arbeiten, über finanzielle und seelische Katastrophen hinweg, unter Verfolgung oder Missachtung sogar? Wie machen die das so ganz ohne Stipendium? Warum machen die das?
Es ist traurig, wenn einer am Würstchenverkaufen leiden muss - in der Tat ließe sich als Würstchenbudenbesitzer das Schreiben leichter finanzieren. In der Tat gibt es bei einem Buch Zeiten, in denen man sich von der Welt abschließen muss, wo man Freiräume braucht. Aber ich erinnere mich auch an eine Zeit, in der ich bereit war, für mein Schreiben Spargel stechen zu gehen, nur um schreiben zu können. Sicherlich ein mieser Job, den aber viele Menschen machen müssen, weil auch dieser Job gemacht werden muss - und weil die Spargelesser diese Menschen brauchen. Würde das dem Schreiben wirklich schaden? Sind solche Gelegenheitsjobs nicht auch die Chance für menschliche Erfahrungen, die es einem ermöglichen könnten, endlich aus der so typischen Nabelschau deutscher Literatur auszubrechen? Endlich einmal Bücher nicht über Schriftsteller, Journalisten oder Intellektuelle zu schreiben, sondern über die tatsächlich vorhandene Mischung Mensch?
Manchmal, wenn man sehr schnell Geld braucht oder zu alt ist, sind Gelegenheitsjobs eine gute Zwischenlösung zum Überleben. Aber sie sollten nicht zum Ziel ganzer Schriftstellergenerationen werden, die womöglich viele Jahre auf Universitäten abgesessen haben. Mein Rat an die Jugend, auch auf die Gefahr hin, dass ich wie meine Großmutter klinge: Sucht euch einen "ordentlichen" Brotberuf, einen, der euch auch ein wenig Spaß macht oder Befriedigung verschafft. Wenn Ihr eines Tages mit Büchern so viel verdient, dass ihr fröhlich drauf pfeifen könnt, umso besser. Aber dieser finanzielle Rückhalt gibt euch immer die Freiheit, Nein zu sagen, macht euch unerpressbar. Ohne rasende Existenzangst schreibt es sich leichter. Mit einem Beruf im Rücken kann man in der Buchbranche auf Augenhöhe verhandeln, nicht als Bettler. Und man hat nicht diese ständige Frustration im Nacken, doch nur "jobben" zu können und auch auf dieser Ebene ständig ausgeliefert zu sein.
Manchmal hat man das Pech wie ich, nichts anderes gelernt zu haben als das Schreiben. Und natürlich verfluche ich manche Tage, wenn die Journalistin mit der Übersetzerin und der PR-Frau um Termine ringt, bei denen die Schriftstellerin das Nachsehen hat. Natürlich verfluche ich unkreative, langweilige, stupide Arbeiten. Natürlich hätte ich gern wie andere "vernünftige" Leute nur einen einzigen Beruf, der mich ernährt, anstatt dreimal so viel zu arbeiten wie früher - für noch weniger Geld als einst. Aber ich bin den drei Malocherinnen in mir dankbar, dass sie mich ernähren, dass ich nicht alle vier Monate einen "Roman heraushauen" muss, um zu überleben.
Dafür, dass ich Bücher nicht "heraushauen" muss, würde ich auch an der Kasse sitzen, Spargel stechen, Böden wischen, jederzeit. Aber die Professionalisierung im Brotberuf ist für mich ein Privileg - sie ermöglicht es mir, mein Kreuz nur am Computer kaputt zu sitzen, mich nicht ganz so erschöpft sein zu lassen am Abend, mir die Zeit als Selbstständige frei einteilen zu können - mit all den Zwängen des Geschäfts. Meine Berufe sind befriedigend und machen meist auch Spaß. Das gibt die nötige Energie fürs Bücherschreiben zurück. Und dass sie sich alle perfekt ergänzen, ist fast mehr, als man erträumen kann.
Ich profitiere von ihnen auch geistig. Sie bringen mich mit völlig anderen Themenwelten zusammen, fordern von mir, dass ich mich in mir bisher fremde Gebiete einarbeite, fordern vor allem Professionalität. Und sie konfrontieren mich mit Menschen unterschiedlichster Art, mit Leben. Ohne diesen "Tropf" würde mein Schreiben blutlos werden, drehte ich mich nur noch um mich selbst. In meiner Studentenzeit habe ich Millionären im Luxushotel die Toiletten geputzt oder am Fließband Akkord geschafft. Geschadet hat mir das nicht, im Gegenteil: Ich profitiere in meinem Schreiben noch heute von den Erfahrungen. Ich habe mit drei, vier Schreibberufen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, eher immer wieder die Furcht, das Leben eines Tages zu einseitig zu sehen.
Deshalb drängt sich mir eine provokante Frage auf. Wovon würde ein Schriftsteller letztendlich mehr profitieren: Von drei Monaten Stipendium in der Villa Literara oder von drei Monaten Würstchenverkauf auf dem Kollwitzplatz?
Völlig richtig! Wie könnte man schreiben, ohne zu leben? Ohne zu erleben? Aber eine Frage bleibt trotzdem: Warum erhält ein Autor 5% für 95% der Arbeit?
AntwortenLöschenAber selbst ein Ken Follett hat als Versicherungsvertreter angefangen und täglich nur 30 Minuten schreiben können, weil er seine Familie ernähren musste. Für mich sind die Bücher der Quereinsteiger die interessantesten, und nicht die der Studierten. Aber manche, vom Genius angefallen geglaubte, sehen das anders. LG Nikola
Chapeau Madame!
AntwortenLöschenEin sehr schöner Beitrag.
Ich muss unweigerlich an den Schweinehälften schleppenden Bukowski, Henry Millers Kosmodämonische Telegrafen-Gesellschaft und an den jungen Djian denken, der an der Tankstelle jobbt und nachts Stories schreibt...
Aber ich bin auch Romantiker...
Viel wäre ja gewonnen, wenn wir uns diese dualismushörige Ausschließlichkeit im Denken abgewöhnen könnten. "Wir" sage ich bewusst, weil ich mich selbst damit immer wieder schwer tue.
AntwortenLöschenBesteht das ideale Schriftstellerleben darin, sich völlig frei und unabhängig dem Schreiben widmen zu können? Oder ist es besser, sich durch (empfundene oder reale) Sachzwänge, Brotjobs und sonstige Ablenkungen zu leben, um davon schreibend zu zehren, daran zu wachsen?
Oder ist es vielleicht einfach so, dass es dazu keine auf alle Menschen passende Antwort geben kann, weil der Eine an Widerständen wächst und der Andere an Freiheiten? Weil wir als Menschen alle verschiedene Phasen durchleben, und mal das Eine, mal das Andere ersehnen und brauchen?
Ich denke, finanzielle Sicherheit ist keine hinreichende Bedingung für das Entstehen von Literatur. An dem Satz von Wawerzinek bin ich deswegen auch hängengeblieben. Und trotzdem halte ich das freie, literarische (nicht an kommerziellem Erfolg orientierte) Schreiben im heute real existierenden Schreibbetrieb für unterbezahlt und gleichzeitig romantisch verklärt. Da ist kein Leben drin.
Aber wenn wir da weiter denken, dann sind wir schnell bei der Frage, warum ein Banker mehr verdient, als ein Altenpfleger. Und dieses Faß mache ich heute nicht mehr auf ;-)
@Dedalus
AntwortenLöschenDanke! Da gibt es sicherlich noch mehr Beispiele dieser Art.
@Rabenblut
Ich denke, genau hier liegt der Knackpunkt: Wo Arbeit wertig entlohnt wird, stellen sich Fragen nach Hilfskonstruktionen nicht.
Das betrifft aber keineswegs nur Schriftsteller, sondern ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.
Keine Frage: Die Entwertung von Text nimmt rasant zu - das kann man auch im Journalismus unter Freien spüren. Aber haben es Ein-Euro-Sklaven in anderen Berufen besser?
PS: Ein Autor lebt nicht allein von 5% (bei HC sind die Tantiemen außerdem höher). In den meisten Fällen handelt man Vorschüsse aus, die als Garantiehonorare bezahlt werden - die allerdings bei kleinen Verlagen und in der Hochliteratur eher gering oder gar nicht vorkommen. Dazu kommen Honorare für Lesungen oder Auftritte ö.ä., einige Autoren unterrichten auch Schreiben oder haben verwandte Tätigkeiten.
Und da muss man leider sagen, dass ausgerechnet KollegInnen, die um jeden Preis lesen wollen, nämlich umsonst, die Preise für diejenigen kaputtmachen, die davon leben müssen (für sich selbst natürlich auch). So hilfreich und wichtig Stipendien sein können - diesen Preiskampf verdecken sie ein wenig.
Ich lese gerade ein Buch über die künstlerische Avantgarde zwischen 1900 und 1930. Fazit: Es gibt heute bedeutend mehr Stipendien und Förderungen, es gibt mehr gehypte und damit völlig überbewertete Kunst. Aber am Umgang mit Künstlern und einer gerechteren Bezahlung hat sich überhaupt nichts geändert, im Gegenteil. Die Avantgarde damals hatte weitaus mehr Möglichkeiten, nebenher einmal Geld zu verdienen - sogar steuerfrei.
Trotzdem wollte ich nicht tauschen...
@simona
AntwortenLöschenDas Fass könnte aber spannend werden, wenn wir weiter nachdenken, ob Kunst ewig in der herkömmlichen Art bezahlt werden muss! Der Kulturmanager denkt in seinem Blog (s. blogroll) öfter darüber nach, wie Kunst- und Kulturinstitutionen sich bei schrumpfenden Förderungen am Leben erhalten können. Deutschland hat im Gegensatz zu vielen anderen Ländern eine sehr ausgeprägte Förderkultur, die Krise macht sich da also umso deutlicher bemerkbar.
Ich glaube, gerade weil es in der Schriftstellerei so unterschiedliche Phasen und Bedürfnisse gibt, sollte man Honorierungsysteme inkl. Stipendien durchaus einmal ganz gewagt unter die Lupe nehmen. (Ich finde es z.B. abstrus, dass ich mit einem in zwei Monaten hingehauenen Roman ein Vielfaches eines in zwei Jahren hart recherchierten Sachbuchs verdienen kann).
Mich faszinieren neue Ansätze der Musikbranche etwa in den USA, wo neue Honorierungssysteme zwischen Musiker und Publikum direkt getestet werden, über die man natürlich auch streiten kann. Noch sehe ich kaum Möglichkeiten einer Übertragung auf Autoren. Aber ich bin mir sicher, in ein paar Jahren ließe sich da einiges entwickeln.
Mich interessieren völlig neue "Beteiligungssysteme", die mehr Möglichkeiten bieten könnten als herkömmliches Sponsoring oder Mäzenatentum - übrigens auch für Verlage. Da wird in den nächsten Jahren einiges kommen, wetten?
Ich denke selbst ständig darüber nach: Wie lassen sich schriftstellerische Gesamtkonzepte entwickeln, die mir ein Leben für statt gegen das Schreiben ermöglichen, ohne dass ich Stipendien beantragen, reich heiraten, gut erben, Würstchen verkaufen oder "brotberuflich" schreiben muss.
Also: Wie kann eine Berufung brotberufliche Qualitäten bekommen? (In anderen Berufen geht das ja auch).
Liebe Frau Cronenburg,
AntwortenLöschenauch ich zeichnete im Wintermantel und mit Handschuhen um Kohlen zu sparen. Auch heizte ich mal mit Büchern, was nicht zu empfehlen ist, da sie nur schlecht brennen, wenig Wärme abgeben aber eine Unmenge von Asche zurücklassen.
Doch zum grundsätzlichen Ihres Themas: Nun, wo sich heutzutage jeder Flickschuster staatlich subventionieren lässt, sollte dies auch dem Schriftsteller recht sein. Und wenn er mangels Subvention seine Schreibe einstellt, soll es ebenso recht sein.
Mäzenatentum war schon immer ein Treibmittel der Kultur. Heute geht das "demokratisch" über Preise und Stipendien.
Das eine - Allimentation - korrumpiert genauso wie das andere - Marktkonformität -. Freigeister leben vom Brotberuf oder vom Erbe oder von der Gelegenheitsarbeit oder auch hin und wieder von ihrer Schreibe - so wie wir beide.
Für mich ist die zitierte Aussage symptomatisch für unsere Gesellschaft, die zunehmend dem Tittitainment frönt. - Meine Gesellschaft ist dies nicht.
Matthias Mala - preislos, weil schreibend keine Zeit zum heischen.
"Aber was ist das bitte für eine Lebenswirklichkeit, bei der das womöglich zu entdeckende literarische Genie auf Stipendien wartet"
AntwortenLöschenGerade das kann man Wawerzinek ja nun wirklich nicht vorwerfen, herumgesessen und auf Stipendien gewartet zu haben.
Daß Sie als gelernte PR-Frau einem solchen Satz auf den Leim gehen....
Guten Tag Frau oder Herr Anonym,
AntwortenLöschenfür mein Ohr klingt Ihre anders lautende Meinung zu dem Thema wie ein persönlicher 'Angriff'.
Der Hinweis auf die Qualifikation der Frau van Cronenburg ist bei unterschiedlicher Auffassung, ob etwas ironisch gemeint war oder nicht, völlig überflüssig.
Ebenso überflüssig wie scheinbar Ihr Name, Geschlecht, Beruf oder die Zuordnung früherer Meinungen und Ansichten durch einen dauerhaften Nickname.
Wenn Sie einfach nur Ihre Meinung kundtun, indem Sie schreiben: Ich habe den Satz ironisch aufgefasst, wäre ich trotz Anonymität niemals auf die Idee gekommen, Ihne ein 'böse Asicht' zu unterstellen (oder Sie für einen Feigling zu halten.) ;)
Gruß Heinrich
bitte beachten Sie den ;)
@Petra
AntwortenLöschenIn der Tat, ein interessantes Fass, in das auch ich immer wieder reinschaue. Derzeit (ich bin ja selbst noch auf dem Marsch von Beruf zu Berufung) liebäugele ich mit der Selbständigkeit, dem Lotto-Gewinn (nein, ich möchte dazu keine Statistik sehen, danke) und dem großen Durchbruch mit meinem Erstling, der mir natürlich sofort finanzielle Unabhängigkeit sichern wird. *Ähem*
Und ganz ernsthaft: Ich finde Genossenschaften, Kooperationen und verschiedene Formen der Kollaboration interessant und denke, ich möchte die landläufige Definition von "Arbeit" gern etwas modifizieren. Aber das ist alles noch nicht zu Ende gedacht. Falls Du da interessante Links und Konzeptideen hast, immer her damit.
LG, Simona
PS: Zwischen "auf den Leim gehen" und "zwischen den Zeilen lesen" besteht ein Unterschied - zumal wenn man dann in der Analye verschiedene Sichtweisen einnimmt (statt nur einer) und der grundlegenden Aussage auch noch zugestimmt hat.
"Wovon würde ein Schriftsteller letztendlich mehr profitieren: Von drei Monaten Stipendium in der Villa Literara oder von drei Monaten Würstchenverkauf auf dem Kollwitzplatz?"
AntwortenLöschenIch glaube, ich würde von Letzterem lieber ein Buch lesen ...Als jemand, der seinen Brotberuf nicht aufgegeben hat, als er zu schreiben und zu veröffentlichen begann, finde ich Petras Überlegungen sehr richtig und richtungsweisend. Ist die Aussage mit den Würstchen eine Aussage oder nicht? Wo ist denn da bitte der Leim? Kann sich jemand vorstellen, Menschen in extremen psychischen Situationen zu betreuen und gleichzeitig einen Termin zur MS-Abgabe und ein Lektorat vor sich zu haben? Was ist der "richtige" Brotberuf für einen Autor? Ich empfehle ebenfalls, sich nicht allein auf das Schreiben als Einnahmequelle zu verlassen, weil es, wie Petra immer wieder ganz richtig sagt, abhängig und es einem schwerer macht, auch einmal nein zu sagen. Über die Vergabe von Stipendien weiß ich zu wenig Bescheid, weiß nicht, wer da förderungswürdig ist. Aber, jetzt auch mal provokant gesagt, habe ich nichts dagegen, wenn die Schriftsteller, die es bekommen,
es als eine Art Urlaub oder Auftanken von ihrem schwierigen Job betrachten würden.:-)
Herzlichst
Christa
@Anonym
AntwortenLöschenIch gehe einfach mal davon aus, dass Sie überlesen haben, dass ich Wawerzinek ausdrücklich zustimme und trotzdem die gesellschaftliche Situation kritisiere. Wawerzinek Aussage ist dafür nur ein Aufhänger. Ich habe ihn noch weniger persönlich gemeint als Sie wahrscheinlich mich. Ich beziehe mich aber auf den Sachgehalt seiner Aussage, die ich nicht als PR werte.
Übrigens: Wenn man mir Contra gibt, muss man sich nicht für seinen Namen schämen.
@Matthias Mala
AntwortenLöschenStichwort "Mäzenatentum": Ich denke, da geht womöglich in Zukunft auch anderes als demokratische (?) Stipendien? Müsste man in einem eigenen Beitrag nachdenken.
Korrumpiertes versus freigeistiges Schreiben:
Sind wir querfinanzierten Freigeister wirklich so frei, wie wir tun?
Also ich ertappe mich mit schöner Regelmäßigkeit dabei, ein persönliches Unprojekt hervorzuziehen und zu denken: Mensch, hab dich doch nicht so, das kloppste in acht Wochen in die Tasten und kannst dir dafür soundsoviel Brotberuf sparen.
Und dann lege ich es zum Glück wieder in die Schublade und sage mir, es würde mein "echtes" Schreiben kaputtmachen. Ich frage mich dann oft: Wie käuflich wäre ich? Ich denke über Stipendien wahrscheinlich auch nur so kritisch, weil ich älter bin und weil ich langsam an die Altersversorgung denken sollte ;-)
Trotzdem - der Brotberuf stärkt natürlich enorm das Rückgrat. Aber wie viele Schriftsteller mit Brotberuf lassen trotzdem alles mit sich machen, passen sich an, nur um sich veröffentlicht zu sehen?
Wie man's dreht und wendet...
@Christa
AntwortenLöschenAn solche Menschen wie dich habe ich eigentlich gedacht, als ich schrieb, das wird diesen Autoren nicht gerecht. Ich bewundere es nicht nur, wie du mit diesem Beruf noch Schreibenergie hast; ich kann es mir sogar fast nicht vorstellen, wo man dann noch die innere Ruhe und die Freiräume hernimmt. Und trotzdem schreibst du, trotzdem gibst du deine Bücher pünktlich ab - und der Großteil der Autoren arbeitet so.
Das geht. Ein Problem wird es in dem Moment, in dem das Schreiben vom Aufwand her zur Profession wird und sich der Autor zwischen zwei Vollberufen aufreibt. Stipendien können da kurzfristig Luft geben (aber wer kann dann mal schnell aus dem Job aussteigen, ohne ihn zu verlieren?) - aber sie sind langfristig keine Lösung des Problems, zumal die meisten ja meines Wissens (ich lass mich gern verbessern) gar nicht an die soziale Situation gekoppelt sind.
In den USA oder hier in Frankreich können Autoren dagegen sehr viel leichter zum "Vollberuf" Autor kommen. Die Infrastruktur dafür fehlt in Deutschland leider völlig. Das fände ich als "Förderung" viel wichtiger.
@simona
Ich sammle und denke auch noch herum, vielleicht gibt's mal genügend Stoff für einen Beitrag. Stichworte auf Internetebene wären kachingle oder flattr (funktioniert noch nicht wirklich). Blödsinniges praktisches Beispiel: Wenn einer eine Lesung nicht bezahlen will, rate ich, potente Partner zu suchen und mit denen vielleicht ein größeres "Event" zu stricken. Funktioniert und alle Beteiligten sind glücklich, einschließlich des Publikums, das mehr geboten bekommt.
Kachingle und flattr kenne ich. Flattr nutze ich demnächst, um Nischenblogs zu unterstützen, die es mir wert sind. Das ist fein, aber ich halte es für keinen Ausweg. Um über flattr Einnahmen zu generieren, von denen sich leben ließe, müsste man sich auch dem Zeitgeist/Massengeschmack andienen und für ein hinreichend großes Publikum schreiben. Wirkliche Unabhängigkeit ist das auch nicht, die entsteht anders.
AntwortenLöschenIn Norwegen gibt es offenbar ein funktionierendes System staatlicher Förderung. Dort will man aber auch bewusst die eigene Sprache fördern und tut das auf eine Weise, die nichts mit Alimentierung oder Almosen zu tun hat. Ich werde dazu bei Gelegenheit weiter recherchieren. Aufmerksam wurde ich beim letzten Norwegenurlaub, über einen interessanten Beitrag im Geo-Sonderheft Norwegen.
@Petra: Ich meine, man hätte mir mal ein Stipendium abgelehnt, weil ich zu viel verdiene (ein Stipendium für Baden-Württemberg). Zur Erinnerung: Ich arbeite halbtags, sonst hätte ich dieses semiprofessionelle Schreiben nicht durchhalten können. Und ich bin froh, das mal Pause ist momentan!:-) Dass sich hier in Deutschland diesbezüglich was ändert, ist kaum zu hoffen in einer Situation, in der soziale und Kulturgelder gekürzt werden und sogar überlegt wird, ob man das Wasser im Schwimmbad nicht abkühlen lassen sollte ...
AntwortenLöschenChrista
Sorry, der ist mir vor dem Abdrücken rausgeflattert!
AntwortenLöschenChrista
@Christa
AntwortenLöschenBei den meisten Stipendien entscheidet allein der Text, dazu müssen unterschiedliche Voraussetzungen, wie vor allem Alter und Wohnort erfüllt sein. Deshalb lassen sich Stipendien auch oft "sammeln". Nur wenige fragen nach dem Einkommen, mir ist bei meiner ganzen Recherche noch keins untergekommen, das sich speziell an Schriftsteller in prekären Situationen richtet. Wäre aber schön, wenn es das gäbe.
@simona
Was die staatliche Haltung zu Kunst & Kultur betrifft, so ist die in D. in der Tat jämmerlicher als anderswo, wobei Auswanderung für Spracharbeiter ein nicht zu unterschätzendes Problem darstellt! D. hat sogar eine "Ausländersteuer" für Künstler erfunden (angeblich zur Förderung dt. Kunst), die Leute wie mich bei Lesungen extra besteuert. Das bedeutet weniger Engagements, weil man teurer ist, und keine Lesetourneen, weil es nichts einbringt. Die großen Stars haben natürlich Schlupflöcher.
Seit Jahren protestieren Künstlerverbände gegen diesen verteckten Verstoß gegen das Doppelbesteuerungsabkommen, umsonst. Die Finanzminister verweisen seit 2004 (!) auf die "Krise".
Irland verlangt von Schriftstellern keine Steuern (wie lange noch bei der Pleite?), in Polen zahlten Künstler mit wenig Einkommen in den Neunzigern einen Sondersteuersatz von nur 7% (wie das heute sein mag?), was zu einer Auswanderungswelle vor allem von deutschen Schauspielern und Bildenden Künstlern führte.
In Frankreich sind Kunst & Kultur staatstragend. Man wird nicht nur als Mensch in diesen Berufen besser behandelt und angesehen, sondern hat auch Vorteile. Etwa dass ausnahmslos alle Menschen renten- und arbeitslosenversichert sind, auch Selbstständige, auch Künstler. Künstler bekommen also eine Grundsicherung bei fehlenden Verträgen oder Saisonarbeit.
Minderverdienende an sich sind steuerlich entlastet (wie lange noch?). Und wir haben sowas wie die Künstlersozialkasse, die aber ebenso wie die Krankenkasse keine Pauschalbeträge einzieht, selbst wenn kein Honorar fließt, sondern vom Gewinn rechnet.
Und wir haben ähnlich wie in den USA mehr Möglichkeiten, durch Auftritte, Engagements, in den Medien oder durch Lehre und verwandte Arbeiten Geld zu verdienen und uns auch ausbilden zu lassen.
Das klingt schön, aber Sarkozy tut seit einigen Jahren alles, vor allem die Kleinen und Unabhängigen in Kunst & Kultur kaputt zu kriegen und dieses System auszuhöhlen.
Beachten sollte man außerdem, dass solche Systeme nur in der Sprache des Landes funktionieren. Für Autoren bedeutete das Arbeit in einer Fremdsprache - nicht so einfach wie beim Musiker.
Es ist mir ein Rätsel, in welchen Orkus meine Antworten von heute geflattert sind, ich werde sie später mal suchen...
AntwortenLöschenOk, mir war tatsächlich nicht bewusst (oder ich wollte es nicht wahr haben), dass mein Heimatland samt Muttersprache mir und anderen Schreiberlingen die Sache etwas schwerer machen, als anderswo. Aber Deine letzten Anmerkungen erinnern mich nun an mein Gefühl der Enttäuschung oder Überraschung, als ich vor einer ganzen Reihe von Jahren frohgemut aus dem Auslandssemester (NYC) zurück kehrte und zunächst noch dachte "So, dann jetzt flott ein paar Veröffentlichungen in einschlägigen Literaturmagazinen, und dann geht's los... !" Erst langsam wurde mir klar, dass hier einiges anders läuft, als dort drüben. Nachdem ich neulich die Recherche wieder mal aufnahm, entstand dann auch diese Randnotiz in meinem Blog (http://blog.donci.de/2010/07/la-recherche.html).
AntwortenLöschenNicht, dass man sich davon ernsthaft abhalten ließe, das nicht. Aber zu wissen, dass es anderswo einen ganz anderen literarisch-kulturellen Geist mit ganz anderen Möglichkeiten gibt, das ist zwischendurch auch schon mal etwas frustrierend.
Wie schön, dass es Blogs wie Deinen hier gibt, in dem man sich darüber austauschen kann.
Meine Orkusmail ist vor der Orkusfrage wieder aufgetaucht, wundersam.
AntwortenLöschen@Simona
Danke, ich genieße es auch sehr, dass ich hier nicht Monologe absondern muss, sondern Austausch mit so vielfältigen KommentatorInnen habe!
Dein Beitrag entspricht leider der Realität, die meisten solcher Projekte werden in Selbstaufopferung geschaffen und irgendwann geht es ohne Geld nicht mehr - oder wie bei einigen nur online. Deshalb kann man auch als Autor dort kein Geld verdienen wie in den USA, aber durchaus je nach Titel Renommé ernten. Eine Veröffentlichung in den richtigen Blättern kann durchaus Türen öffnen - und das ist auch viel wert.
Tja, wie gehe ich damit um, dass es diese Unterschiede gibt? Ab und zu fluche ich ganz laut, dass ich in Polen mit meinem Beruf so angesehen wäre, dass ich ins Parlament kommen könnte. Dann sage ich ebenso laut: Du Dussel, du willst doch in gar kein Parlament.
Wenn etwas nicht funktioniert, frage ich mich, wie man es funktionierend macht. Meine kulinarischen Lesungen habe ich mir in Frankreich abgeschaut, habe in D. zuerst erstaunte Blicke geerntet, dann aber schnell die passenden Veranstalter gefunden. Inzwischen gibt es überall Lesungen mit irgendeinem "Eventcharakter" und keiner denkt sich mehr etwas dabei.
Ich schau mir immer gern an, wie die KollegInnen es im Ausland machen und frage mich: Was ließe sich davon übertragen? Immerhin bin ich so weit, dass ich Schulungen in F. besuchen kann. Nur werde ich wahrscheinlich nie Bücher auf Französisch schreiben.
Ich denke, gerade in einem Umfeld, in dem man immer alles so macht, wie man es schon immer gemacht hat, gibt es jede Menge Chancen, neue Ideen durchzusetzen! Es macht vielleicht mehr Mühe, aber es fällt auch besser auf.
Also nur nicht entmutigen lassen!