Fürstlich beschenkt
Wer die Geschichte mitverfolgt hat, wie ich an meinem Projekt über Nijinsky schrieb, hatte ein wenig Einblick. Ich habe noch nie zuvor so an den Grenzen meiner Belastbarkeit geschrieben, denn da war nicht nur der Zeitdruck, da sollte auch noch der Brotberuf neu aufgebaut werden. Drei Jobs gleichzeitig, dazu ein extrem forderndes Manuskript, viele Nachtschichten. Und dann kam dieser eine Beitrag mit der Champagnerlaune vom 12. Januar, wo ich erzähle, dass ich mir eine Eintrittskarte für die Sommerfestspiele im Festspielhaus Baden-Baden geschenkt habe, um mich für all das zu belohnen. Diese Karte hat eine ganz besondere Bedeutung für mich: Nijinsky hat im Marijnsky Theater gelernt und angefangen - ich kann es nun hören - und es wird ausgerechnet ein Ausschnitt von Diaghilews erstem Opernprogramm im Westen gegeben, von 1908. Das war die rechte königliche Belohnung, dachte ich.
Und dann kam der totale Absturz. Mit dem ich nie gerechnet hatte. Einer der berühmtesten Ballettkritiker hat mein Manuskript gelesen und gelobt, ich schwebte wie auf Wolken - und fast im gleichen Augenblick erfahre ich, dass der Verlag nicht produzieren kann - was mit dem Manuskript nichts zu tun hatte. Dunkelheit. Es gibt nichts Schlimmeres, als ein Manuskript geschrieben zu haben, von dem man sich nicht nur einbildet, dass es gut sei - und zu erleben, dass es das Licht der Welt nicht erblickt. Dass es keiner lesen kann. Gleichzeitig schwebte die ganze Welt im 100-Jahr-Fieber der Ballets Russes. An die Zeit, in der ich darum bangte, meine Rechte schnell wiederbekommen zu können, will ich nicht mehr denken. Aufrecht gehalten hat mich immer diese Eintrittskarte, die für mich ein Zeichen war: Ich konnte nicht davon lassen, ich wollte weiter mit diesem Thema leben.
Damals begann die "Unvernunft". Theoretisch hätte ich die Karte noch zurückgeben können: Kein Buch, keine Belohnung. Stattdessen spielte ich russisch Roulette mit dem Schicksal: Du, Karte, bist jetzt Belohnung, dass ich das tiefste Tief überlebt habe. Und bis zu den Sommerfestspielen spätestens will ich wissen, wie es weitergeht, es muss weitergehen. Also habe ich mir weiteres Recherchematerial gekauft.
Noch habe ich zwar keinen Vertrag (wenn schon Roulette...), aber das Projekt hat sich gewandelt, ist sehr viel größer geworden. Gestern kam dann die Idee mit der Unvernunft dazu. Viel Zeit bleibt mir schließlich nicht mehr - das Konzert findet am Dienstag statt.
Tja, heute (zum Beginn der Festspiele) habe ich spontan die Karte abgeholt, weil ich sie am Wochenende sozusagen körperlich genießen wollte, wegen der Vorfreude. Als ich nachmittags das Festspielhaus betrat, strömten gerade die Musiker des Marijnsky-Theaters in den Bühneneingang, es war ein ganz verzauberter Augenblick. Vor hundert Jahren hätte Nijinsky dabei sein können und mein Manuskript beginnt damit, dass er vor dem Bühneneingang steht, unerkannt... Diese Klänge, diese Sprache - jetzt wurde die Eintrittskarte zum Sinnbild fürs gnadenlose Durchhalten und Weitermachen - koste es, was es wolle.
Endlich hielt ich sie in Händen, ein edel goldenes Ding. Und plötzlich faltete sich das Ding auf und ich sah eine Summe, die ich gar nicht bezahlt hatte. Hatte man mir die falsche Karte gegeben? Nein. Die rund 160 Euro, die da angehängt waren, sind ein Gutschein, weil ich zum ersten Mal gebucht habe. Drei Mal habe ich ungläubig nachgeschaut, nach dem Haken gesucht, aber ich darf tatsächlich diese Summe in Eintrittskarten "verbraten". Das ist Edel-PR zum Heranziehen von Stammgästen! Dafür könnte ich z.B. Hélène Grimaud hören und mir die Hommage aux Ballets Russes von John Neumeier anschauen. Ich spiele schon wieder russisch Roulette... Bei solchen Vorzeichen muss doch das Manuskript zum Buch werden!
Anschließend bin ich dann über einen lieben Kollegen gestolpert, der meine irrsinnige Idee von gestern weniger verrückt fand als ich. Im gemeinsamen Gespräch fielen mir dann drei Leute ein, mit denen ich unbedingt einen Wein trinken muss, um eines Tages vielleicht und dreimal auf Holz geklopft 1884 Kilometer zu überwinden. Sie waren schon da in meinem Leben, ich hatte sie nur übersehen.
Also, werter Monsieur Montaigne, ich freue mich unbändig auf Dienstag, fast zu sehr, als dass es gesund sein könnte. Aber spätestens am Mittwoch fange ich an, mich ganz fürchterlich zu fürchten! Das geht doch alles nicht mit rechten Dingen zu?
Und so freut man sich unbändig mit der Furcht im Nacken. Ständig balanciert man an einem Abgrund, immer wieder kann der Absturz kommen. Vielleicht ist dieser Beruf so ähnlich wie bei den Hochseilartisten? Das Wissen um den Abgrund verhindert das Abheben, hält einen hoffentlich eine Weile auf dem Seil... Und damit es einem dort nicht zu wohl wird, kommen jetzt noch ein paar Wochen knallharter Übersetzerarbeit mit einigen Doppelschichten.
Nun, ich denke mir oft, wie wäre es, wenn ich mein Leben als "Roman" lesen würde. Könnte ich mich da nicht als Leser ärgern, dass da dauernd Vorsätze und Hoffnungen und Wünsche ausgesprochen werden, aber passieren tut am Ende sehr wenig. Das ist dann natürlich recht enttäuschend, weil man sich ja als Leser mehr erwartet.
AntwortenLöschenIch kenne das "Spielchen", dieses, wie weit darf man gehen, ohne dabei als überheblich, arrogant oder aufdringlich zu gelten? Am besten, man hält sich an Künstler, die es in ihrem Leben schwer hatten, die zweifelten, die vielleicht sogar in ihrem Leben scheiterten (um später entdeckt zu werden) und lese ihre Briefe und Autobiografien. Ich bin dann wieder beruhigt, weil ich mich in guter Gesellschaft wiederfinde.
Freilich, wie einfach, einen Kommentar darüber zu verfassen, wie schwierig diese Maxime zu leben. Aber ich gebe mir Mühe. Und das solltest du auch, Petra. Weil es beamtete Schriftsteller der Durchschnittlichkeit mehr als genug gibt ;-)
Wäre das Leben nicht langweilig, wenn wir stets vorsichtig durch selbiges gehen würden? Wir würden so viel verpassen! Sie sehen selbst, was Ihnen geschenkt wurde, dadurch, daß Sie sich selbst belohnt haben. Bleiben Sie mutig. Es lohnt sich.
AntwortenLöschenAnnegret
Danke fürs Motivieren, Annegret! Solchen Zuspruch kann ich vor allem an den Tagen brauchen, an denen ich mir vornehme, nie wieder zu schreiben (zum Glück vergehen solche Tage schnell, weil ich nichts anderes gelernt habe). Ja, langweilig ist mir nie.
AntwortenLöschenRichard, du sprichst etwas an, was mir immer durch den Kopf geht, wenn ich solche Beiträge verfasse. Gleichzeitig frage ich mich nämlich selbst: "Gibt die nicht an wie Münchhausen? Ist dieses Geschwätz nicht ekelhaft vermessen? Was, wenn sie das Opus gar nicht zustande kriegt, wenn "es" einfach nicht reicht?" (Dabei liegen da schon 90 druckreife Seiten).
Die Selbstzweifel lassen bei mir erst mit dem Abgabetermin etwas nach. Aber nur, weil ich weiß, dass ich beim frischgedruckten Exemplar sofort die ersten Fehler und Schwächen finde. Was hätte man alles besser machen können - und stattdessen tönt man vorher so laut herum!
Da hilft nur der Kontakt mit den LeserInnen, wie z.B. online, aber noch besser bei Lesungen. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber die rücken einem den Kopf wieder herrlich zurecht, weil sie einem zeigen, dass man ein Buch auf tausend Arten erleben kann.
Die "beamteten Schriftsteller" finde ich köstlich. Selbst nach dieser Tätigkeit habe ich mich zwischendurch öfter mal gesehnt, weil ich dachte, das ginge weniger an die Substanz. Aber zum Glück haben mir dann immer die richtigen Menschen auf die Finger geklopft ;-)
Falls ich also zwischendurch mal wieder auf Metzgerin umschulen möchte, bitte alle laut protestieren! Oder auch nicht... ;-)
Schöne Grüße,
Petra
Nachtrag: Der fürstliche Gutschein hat sich leider als Computerfehler entpuppt, unvergesslich war das Erlebnis trotzdem!
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