Prima Klima

Sagt man eigentlich Höllenglut oder Paradieswetter? Egal. Gestern war einer jener Tage, die man gern im Terminkalender ausreißen möchte, noch bevor sie stattgefunden haben. Ausgerechnet am sonnigen Nationalfeiertag hatte ich unliebsame Termine in einer deutschen Stadt, von der ich immer froh bin, wenn ich nicht hinfahren muss, und noch froher, wenn ich sie verlasse. Ausgerechnet gestern stiegen gegen unsere läppischen 34 Vogesengrade die Temperaturen am Rhein bedenklich. In meiner alten Karre ohne Klimaanlage wurde das Durchqueren von 30er-Zonen zur Qual und ich überlegte mir ernsthaft, ob ich den Inhalt meiner Wasserflasche lieber trinken oder über mich schütten sollte. Die Termine dauerten länger als gedacht und ich hatte nur noch eine Vision: die heimische Dusche. Nichts wie weg, zurück nach Frankreich, den Rest des Feiertags genießen.

Irgendetwas stimmt jedoch in letzter Zeit nicht mit mir. Mein Willenszentrum gehorcht mir nicht mehr. Ob es daran gelegen haben mag, dass ich die Gefühle eines Bratfischs erlebte, der in einer erhitzten Sardinenbüchse gelandet war? Jede rote Ampel wirkte wie ein Belastungs-EKG. Nichts wie heim in den schattigen Wald, schon war ich auf der Straße zum Rhein, nur noch eine Abfahrt! Der Kreislauf legte sich aufs Gaspedal. Um ihn wieder ein wenig näher an mich heran zu holen, drehte ich das Radio voll auf. Das Orchester des Marijnsky-Theaters donnerte Rachmaninows Paganini Rhapsodie (s. Video nebenan mit einer ruhigeren Passage).

Mein Kreislauf schwebte auf Streicherwolken und es war so schön und ich fuhr entspannt und der Fahrtwind säuselte zärtlich in die offenen Fenster und ich war irgendwie auf einer völlig falschen Straße. So falsch, dass selbst eine Blinde Kuh hätte merken müssen, dass sie sich um 180 Grad gedreht hatte. Ich fuhr diametral von der Grenze weg und die Musik war so schön und der Name des Orchesters war an einer Brücke ausgeschrieben, Rosenkaskaden empfingen mich, die Fassaden wirkten wie Turin oder Florenz, es wurde immer heißer, aber es war eben schön und ich war nun mal da.

In einer Stadt, deren beschattete Wetterstation sage und schreibe 38,9 Grad Celsius zeigte und in deren italienisch anmutenden Straßen nur Französisch gesprochen wurde. All die Elsässer, die ich zu Hause auf den verdächtig leeren Straßen vermisst hatte, schienen versammelt zu ein und ein paar Busse auf Kunstreise kamen noch dazu. "Das ist ja, als hätte man Bordeaux gar nicht verlassen", sagte einer und eine Frau jubilierte: "Die sprechen hier alle fließend Französisch, was für eine französische Stadt!" Jedem seine Stadt, Weltenwechsel pur, in einem Ambiente aus Belle Époque und Fin-de-siècle.

In solch einem Moment war mir danach, etwas völlig Dekadentes und Marodes zu tun. Ich grinste Monsieur Dostojewskij zu, der auch diesmal seine Büste mit keiner Mimik verzog - lief ein Weilchen und setzte mich schließlich ungefähr an die Stelle, an der Monsieur Turgenjew seine bissigsten Szenen für den Roman "Der Rauch" aufgesammelt haben muss. Die von ihm beobachteten skurrilen Typen flanierten immer noch unter riesigen Palmen vor griechischen Säulen und glutroter Dahlienpracht. Wären dahinter der Strand gewesen und kleine Badehäuschen mit gestreiften Markisen, man hätte wie Thomas Manns Aschenbach die reine Schönheit und reife Erdbeeren genießen können, um in der Gluthitze des Scirocco lustvoll dahinzusterben. Fast schien es, als würden die Felsen, die am Horizont aufragten, ebenfalls dahinschmelzen.

Aber nur Männer sterben in der Gluthitze, bestattet mit Anzug und Krawatte. Frauen benutzen wieder die in solchen Rüschenzeiten erfundene Taschenklimaanlage, die reibungslos und ohne Strom und absolut ökologisch für Kühlung sorgt. Am Abend kann sie sich sogar in eine Flirtmaschine verwandeln, mit einer vielsagenden Körpersprache. Die Rede ist vom Fächer. Gestern habe ich nicht nur zum ersten Mal seit Urzeiten Sonnenschirme und zweckentfremdete Regenschirme gesehen, sondern so viele Fächer wie noch nie. Pech hatten die französischen Touristinnen, die sich ganz schnell so ein Ding zulegen wollten, weil es sie an Spanienurlaube oder an die eigene Großmutter erinnerte. Außer den Billigdingern aus dem Asienshop findet man schöne Fächer eher im südlichen Ausland oder bei Versteigerungen. Denn noch sind sie ein Geheimtipp.

Den meinen habe ich aus Frankreich, in einem Tabakladen erstanden. Es ist eine Nachbildung des Fächers von Georges Sand. Ich finde, wenn man sich als Schriftstellerin schon einen Tag stiehlt und eine falsche Straße dazu, dann kann man das stilecht tun. Und wie das so ist an solchen Weltenwechseltagen, bekam ich anschließend die römischen Thermen kostenlos dazu: Meterhoch dampften die Straßen unter dem Schauer eines Gewitters.

2 Kommentare:

  1. Liebe Frau Cronenburg,
    fächern ist nicht nur für die Damenwelt gedacht. In Spanien gibt es sehr schöne Herrenfächer aus Zedernholz mit Leinen oder Seide bespannt. In verschiedenen monochromen Tönen. Ich habe ein halbes Dutzend davon.
    Sehr zu empfehlen, wenn man sich unter Menschen damit zufächert, ein wenig Parfüm auf den Fächer zu stäuben, damit man sich nur die Duftwolken unter die Nase fächelt, die man auch dulden mag.
    Ach ja, trotzdem noch was zur Fächersprache vergangener Zeiten. Da konnte ein Weibsbild mit ein wenig Wedelei sehr präzisse mitteilen, wann und wo es seinen Galan treffen möchte.
    Schöne Sommertage und gute Gründe zu wedeln.
    Matthias Mala

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  2. Da wedle ich also mit einem Herrenfächer - einen aus duftendem Zedernholz habe ich nämlich auch.
    Die Idee mit der Duftfächelei ist wunderbar, denn im Moment gibt es nichts Schlimmres als das vor allem in Menschenmengen bevorzugte Deo "Old Schweiß" (muss ein Sonderangebot gewesen sein).

    Flirten UND fächeln? Ich fürchte, ich stelle mich schon bei einem von beidem dumm an ;-)
    Ihnen auch viele schöne Fächeltage!

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